Replays: R.E.M. :: Lifes Rich Pageant
Es war Zeit aufzuwachen. Die ersten drei R.E.M.-Alben waren keine reinen Träumereien, sie deuteten immer Schismen und Konflikte in der amerikanischen Gesellschaft an, aber im Grunde hielten sie doch den Südstaaten-Mythos hoch – es wimmelte von skurrilen Charakteren, der Sound war sumpfig verwaschen, alles klang wie verzaubert. Wunderbare Alben, aber mit der Wiederwahl Ronald Reagans im Jahr 1985 schlug die Realität auch in Athens, Georgia ein. „Let’s begin again“, sang Michael Stipe 1986 gleich im ersten Song „Begin The Begin“, und das galt auch für die Band selbst.
Don Gehman, der zuvor John Mellencamp produziert hatte, gab R.E.M. einen klareren Sound, und er mischte den Gesang deutlich in den Vordergrund. „Unsere Bryan-Adams-Platte“ nannte Gitarrist Peter Buck „Lifes Rich Pageant“ (nur echt ohne Apostroph) deshalb später mal und gab noch später zu, dass das vielleicht doch ungerecht ist: Gehman zwang R.E.M. nur zum nächsten logischen Schritt. Stipe passte sich an und sang plötzlich viel im Plural. Beim programmatischen „These Days“ erfand er die Zeilen, die heute noch alles zusammenfassen, was R.E.M. ausmacht: “ We are young despite the years/ We are concern/ We are hope despite the times.“ Natürlich sind hier trotz Hinwendung zur Welt auch noch die schönsten R.E.M.-Charakteristika zu finden: Bucks jangelnde Gitarre, Bill Berrys knochiges Schlagzeug, der Hintergrundgesang von Bassist Mike Mills, der dem von Stipe oft entgegenläuft. Das himmelstürmende „Fall On Me“ gehört immer noch zu ihren größten Songs, „I Believe“ und „Cuyahoga“ haben ähnlich hymnische Qualitäten.
Die „25th Anniversary Edition“ bietet neben der digital remasterten Version des Albums, Postkarten und Poster noch eine zweite CD mit den „Athens Demos“. Die meisten Stücke sind einfach Rohversionen der späteren Tracks, manche mit Nonsens-Gesang oder Gesumme. Doch wer kein Bootlegkäufer ist, findet hier auch erstmals das etwas gleichförmige „Wait“ und andere inzwischen bekannte Stücke („Bad Day“, „Mystery To Me“), die mit gutem Grund nicht auf „LRP“ gelandet sind.
Anthony DeCurtis schrieb damals im US-Rolling Stone: „Für R.E.M. endet hier der Underground.“ Was allerdings auch daran liegt, dass R.E.M. den Underground veränderten: Sie haben gezeigt, dass es möglich ist, stur zu bleiben und doch Erfolg zu haben, Hits zu schreiben und sich doch nicht billig zu verkaufen. „Lifes Rich Pageant“ war der erste Schritt, im folgenden Jahr brachte „Document“ dann den ersten Top-Ten-Song: „The One I Love“.