Schon gezahlt, Kinder? Der Ärger mit der GEMA

Hat die GEMA ihren miesen Ruf wirklich verdient? Eine umfassende Spurensuche unter Feinden, Freunden, Popstars und Paragrafenreitern.

Erste Beschwerden gab es wie immer pünktlich zu Halloween und den Laternenumzügen. Kurz nach Weihnachten 2010 kam dann der Hammer: Jetzt kassiere die Gema auch noch bei Kindertagesstätten ab, meldete die Deutsche Presse-Agentur. Mehrere 10.000 Kitas hatten Ende Dezember Post von der Musikrechte-Verwertungsgesellschaft bekommen. In dem Brief wurde daran erinnert, dass das Kopieren von Notenblättern und Liedtexten leider Gebühren koste. 56 Euro plus Mehrwertsteuer für 500 Singzettel wurden veranschlagt.

Und obwohl die Gema nach den ersten Klagen noch klarstellen ließ, dass sie das Kopiergeld nur im Auftrag der Verwertungsgesellschaft Musikedition eintreibe, war die Entrüstung größer denn je: „Bürokratie-Irrsinn in deutschen Kitas: Die Verwertungsgesellschaft Gema fordert eine Kinderlieder-Gebühr!“, ereiferte sich „Bild“, treu guckende Vorschüler wurden gezeigt, das Wort „Abzocke“ etablierte sich. Bei YouTube kann man einen TV-Beitrag zum Thema anschauen, in dem erläutert wird, wie die Heuschrecken von der Gema über trällernde Kinderscharen herfallen. Aufgebrachte Kommentatoren des Clips verteufeln den Verein als „parasitäre Lebensform“ und „großendeutschen Wegelagerer“.

Die Hitparade der Verfehlungen, die der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema) nachgesagt werden, ist lang und abwechslungsreich. Sie bietet Anklagen über absurde Gebühren, penetrante Außendienstmitarbeiter, übervorteilte Mitglieder, verschwendete Gelder, undurchsichtige Vereinsstrukturen und Gebührenrazzien in Altersheimen. Rapper, die zu viel für ihre Samples berappen müssen, beklagen sich ebenso wie Techno-Produzenten, die zu wenig für ihre Clubhits kassieren.

Dazu gibt es öfter mal Neuigkeiten zum andauernden Zank der Gema mit der virtuellen Gratis-Videojukebox YouTube: Nachdem die zwei Parteien sich nach monatelangen Verhandlungen nicht darauf einigen konnten, wie viel Lizenzgebühren in Zukunft pro angeklicktem Musikstück fällig werden sollen, verschwinden immer mehr Clips von der Plattform. „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar“ bekommen enttäuschte Nutzer oft zu lesen. Und wechseln auf ein anderes Portal, denn MyVideo oder Dailymotion haben kein Gema-Problem.

Das Dilemma der Gema

Die große Frage ist, worin genau das besagte Problem eigentlich besteht – denn über die Idee, die dem Laden zugrunde liegt, lässt sich seriös kaum streiten. Die Gema ist ein Verein, dessen Aufgabe darin besteht, für Textdichter und Komponisten das Geld einzusammeln, das andere mit ihrer Arbeit – direkt oder indirekt – verdienen. Anders formuliert: Die Gema sichert, im Idealfall, Künstlern die Lebensgrundlage.

Darüber sollte sich keiner beschweren. Geschieht hier also Rufmord an einer ehrenwerten Organisation? Wird da ein großer Generationenkonflikt ausgefochten, zwischen rückständiger Tradition und befreiter Sicht aufs überholte Copyright? Handelt es sich vielleicht nur um ein Kommunikationsproblem – oder greifen die Künstler in wirtschaftlich unsicheren Zeiten selbst zu immer rabiateren Mitteln und schicken einfach die Gema vor? Fest steht, dass das Image des Vereins in weiten Teilen der Bevölkerung bedenklich schlecht ist. Die Gema erreicht in der Regel ähnliche Popularitätswerte wie die Stasi.

Karsten Jahnke ist ein Bilderbuch-Hanseat und einer der ganz Großen der Konzertveranstalterbranche. Er spricht und formuliert behutsam, aber bestimmt. Erst recht, wenn es um die Gema geht, denn auf sie ist auch er dieser Tage nicht gut zu sprechen. In seinem Büro in den Hamburger Grindelhochhäusern serviert er grünen Tee und stellt einleitend fest, dass er die Gema für eine „sehr gute Gesellschaft“ hält. Aber zanken muss sich der 72-Jährige nun doch mit den Leuten von der Rechteverwertung. „Die sind zurzeit völlig kompromisslos“, sagt er enttäuscht.

Jahnke ist ein Musikfan, der seit 40 Jahren kleine, große und sehr große Konzerte veranstaltet. Er betreut obskure amerikanische Indie-Bands, aktuelle Bestseller wie Lady Gaga und Klassiker von AC/DC bis Herbie Hancock. Seine Leidenschaft ist der Jazz, und regelmäßig veranstaltet er in diesem Bereich Konzerte, die weit hinter den Hoffnungen zurückbleiben. Gejammert hat Jahnke trotzdem nie. Aber was die aktuellen Forderungen der Gema an die Konzertveranstalter betrifft, ist auch bei ihm die Toleranzgrenze erreicht.

Unverständliche Schwierigkeiten

Die Ursache der Probleme, die er und der Verband der deutschen Konzertdirektionen – deren stellvertretender Präsident Jahnke ist – nun mit der Gema haben, sei für ihn „unverständlich“. Über Jahre hätten die Konzertveranstalter und die Verwertungsgesellschaft ein „super Verhältnis“ gehabt. Man traf sich alle zwei Jahre, debattierte gesittet über angemessene Erhöhungen der Tarife. „Und auf einmal wollen die zehn Prozent der Einnahmen“, sagt Jahnke, immer noch entgeistert.

„Man ist happy, wenn man bei einem Konzert überhaupt zehn Prozent verdient. Wenn wir an die Gema künftig so viel abtreten müssten, kämen alle Veranstalter in Schwierigkeiten.“ Trotzdem rauften sich die Vertreter der Parteien zusammen, man einigte sich auf vorerst 4,2 Prozent, die sich im Lauf der nächsten Jahre auf 7,65 Prozent erhöhen werden. Als die Donner-Rock-Veteranen von AC/DC 2010 in Hannover das Messegelände erbeben ließen, wurde für Jahnke eine Gema-Gebühr von ungefähr 195.000 Euro fällig. Viel Geld, keine Frage. Aber da waren auch mehr als 80.000 Menschen, die jeweils um die 60 Euro berappten für ihre Eintrittskarten. Wenn am Ende auch Komponisten und Textdichter ihren Anteil an dem warmen Regen bekommen, sei das „in Ordnung“, meint Jahnke.

Beliebt sind Institutionen, die andere zur Kasse bitten, nie. Trotzdem führte die Gema lange ein dezentes Schattendasein und wurde von Menschen, die wenig mit Musik zu tun hatten, kaum wahrgenommen. Wann genau die Gema zum Buhmann wurde, ist so genau nicht mehr zu bestimmen. Aber eine Ursache dieser Probleme liegt wohl in der rasanten Evolution der Tonträgermedien. Früher waren die Zielobjekte der Gema noch überschaubar: Es gab Radio, Filmmusik, Konzerte und Schallplatten, die den Löwenanteil aller Einnahmen ausmachten.

Heute fällt es dagegen schon richtig schwer, den Überblick darüber zu behalten, wo Musik überall eingesetzt wird – umso komplizierter die Überlegung, wie das alles Gema-technisch erfasst und abgerechnet werden kann. In diesem Jahrtausend reicht das Spektrum von CDs, DVDs und Vinyl bis zu MP3-Dateien, von Blogs, dem iTunes-Shop bis zu Streamingdiensten wie Spotify oder zaOza. Dazu kommen Online-Videoclipkanäle wie Youtube, Vimeo oder tape.tv, die die Nachfolge von MTV und Viva angetreten haben.

Nicht zu vergessen all die Handyklingeltöne und Videospiel-Soundtracks. Musik spielt in diesem Jahrtausend überall: auf dem Anrufbeantworter des Orthopäden, beim Online-Auftritt des Yoga-Zentrums. Und eben auch beim Kita-Sommerfest. Die Vielfalt mag verwirrend sein, aber das eigentliche Problem dieser schnellen Ära besteht darin, dass sich große Teile der Bevölkerung daran gewöhnt haben, dass Musik frei verfüg- und nutzbar ist, im Sinne von gratis und umsonst. Die Millionäre von Metallica oder Pink Floyd sollen sich halt nicht aufregen, denken sich manche – aber die schmerzt eine Raubkopie, wenn überhaupt, höchstens in ihrem Stolz.

Dafür leidet die Mittel- und Unterschicht der Musikschaffenden umso mehr. Die britische Musicians’ Union hat zum Jahresende gemeldet, dass 87 Prozent ihrer Mitglieder weniger als 16.000 Pfund im Jahr verdienen. Die Performing Rights Society, die britische Gema, fügt hinzu, dass es bei 90 Prozent ihrer Mitglieder sogar nur 5000 Pfund sind. Für viele Musiker nimmt die Gema den Status einer Lebensversicherung ein. Syd Barrett, legendärer erster Pink-Floyd-Sänger, soll bis zu seinem Tod 2006 jährlich mehrere Millionen Pfund an Songwriter-Tantiemen erhalten haben, obwohl er sich schon Anfang der Siebziger ganz aus dem musikalischen Leben zurückgezogen hatte.

Gema sucht neue Erlösquellen

Nun ist die gesamte Branche gefordert, irgendwie mit dieser drastischen Situation umzugehen. Weil die schwindenden Erlöse aus dem rückläufigen Tonträgergeschäft aufgefangen werden sollen, sehen die Gema-Verantwortlichen logischerweise zu, andere Quellen zu finden, um ihre Mitglieder angemessen zu vergüten – vor allem im vermeintlichen Online-Eldorado, bei YouTube und Konsorten.

Das führt zu einem weiteren Problem: Früher waren auch Gewinnspannen viel klarer definiert. Es war eindeutig geregelt, wie viel die Gema vom Verkauf eines Tonträgers abbekam, ähnlich bei Konzerten. Heute dagegen ist längst nicht mehr durchschaubar, wer womit wie viel verdient. So werden Verhandlungen um Beteiligungen und Abgaben abstrakt, spekulativ und oft frustrierend.

Der Musiker und Produzent Matthias Arfmann wirkt eher nicht wie ein Gema-Typ. Der 46-Jährige sitzt in Hamburg-Ottensen in einem Café vor einem Latte Macchiato, blättert in einem Bildband, den Udo Lindenberg mit Widmung und Grüßen vorbeigeschickt hat, und sagt: „Bei der Gema haben viele Beschäftigte die Aufgabe, so GEZ-mäßig jede Kneipe auf St. Pauli daraufhin zu überprüfen, ob sie auch korrekt ihre Gebühren entrichtet. So was freut keinen.“

Arfmann ist ein Veteran der jüngeren deutschen Independent-Musikszene. Der gebürtige Bremer startete 1983 mit Katrin Achinger die Kastrierten Philosophen, mit denen er bis Ende der 90er-Jahre recht erfolgreich war. Groß raus kam er in den letzten Jahren als Produzent einheimischer HipHop-Kräfte. Er verantwortete das Bestseller-Album „Bambule“ der Absoluten Beginner und betreute von Beginn an die Solokarriere von Jan Delay als Produzent, Autor und mittlerweile Manager. Arfmann kennt beide Seiten der Musikerexistenz: das Leben als klammer Indie-Hipster wie auch die Freuden, die Media-Control-Charts aufzurollen und bei „Wetten, dass …?“ im Rampenlicht zu stehen.

Seine Haltung ist klar: „Die Gema ist der Schutzpatron der Künstler. Ohne Wenn und Aber.“ Als er einst mit seiner Band loslegte und ihm dämmerte, dass er der Musikbranche länger erhalten bleiben könnte, waren es ältere, erfahrene Musiker, die ihn drängten, Mitglied der Gema zu werden. Das war zwar eher unhip, doch auch ein Weg, sich ein regelmäßiges Einkommen zu sichern. Die Gema ist ein Verein, dem man beitreten kann, aber nicht muss. Für einen Künstler ist es allerdings fast unmöglich, alle Rechte selbst wahrzunehmen und zu kontrollieren.

Auch wenn es wie ein Klischee klingt: Vielen Musikern ist es schlicht zu mühselig, den kleingedruckten Wust von Abrechnungen und Verträgen im Detail zu studieren, geschweige denn zu verstehen. Und selbst wer sich darauf einlässt, dürfte seine Schwierigkeiten damit haben, Radiotantiemen aus Australien einzufordern. Die Gema sei auch in Verruf geraten, weil kaum einer genau wisse, worum es bei ihrer Arbeit eigentlich gehe, sagt Arfmann: „Aber alle meine Musikerfreunde und Kollegen in Hamburg sind Gema-Mitglieder. Ohne Ausnahme.“

Arfmann ist seit 28 Jahren dabei und hat „unfassbar viele Songs“ gemeldet. Auch wenn ein Lied irgendwo am Ende der Welt nur drei Cent einspielt, bekommt er irgendwann einen Beleg dafür. Seit einigen Jahren bemüht sich die Gema auch selbst darum, ihr zerschundenes Image aufzupolieren. Verteilt einen Musikautorenpreis oder tingelt mit dem sogenannten „Gema-Campus“ durch Schulen und Hochschulen. Toni Malten zum Beispiel hält bei eher jugendorientierten Veranstaltungen wie dem Reeperbahn-Festival Vorträge über die Funktion der Verwertungsgesellschaft. Mit Erfolg, sagt er.

Der Textdichter Frank Dostal ist so etwas wie der Lautsprecher unter den Gema-Gewaltigen. Der gebürtige Flensburger wuchs in Hamburg auf, musizierte in den 60er-Jahren mit Achim Reichel bei den Rattles. In den 70er-Jahren wechselte Dostal hinter die Kulissen und lieferte die Texte für deutsche Hitparaden-Knaller wie „Das Lied der Schlümpfe“, „Du, die Wanne ist voll“ und „Yes Sir, I Can Boogie“, was ihm den Weg in eine schmucke Villa in Hamburg-Harvestehude ebnete.

Ihn habe schon immer interessiert, was in Verträgen steht: Seine Gema-Beitrittserklärung habe er erst unterschrieben, nachdem er mehrfach angerufen und nachgefragt habe, sagt er. Das war vor ungefähr 40 Jahren. Seit 2009 ist der 65-Jährige inzwischen stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Gema, und immer, wenn mal wieder die Wellen der Empörung hochschlagen, hält Dostal sein Gesicht in die Kameras und verteidigt mit dröhnender Inbrunst das Urheberrecht.

Streit mit YouTube geht weiter

Auch bei den Verhandlungen mit neuen Gema-Sparringspartnern wie YouTube sitzt er gern mit Pokerface am Tisch. „Heutzutage äußern sich zunehmend halb- oder uninformierte Leute zu Themen, von denen sie keine Ahnung haben. Ich rede ja auch nicht über den Bauplan eines neuen Mercedes“, sagt er.

Bei YouTube wurden Clips mit Liedern, die Dostal dichtete, mehr als 100 Millionen Mal angeklickt, weiß er und beklagt, dass er dafür kein Geld gesehen habe. Bereits der alte Vertrag zwischen Gema und YouTube habe demnach auf einem Versprechen basiert, das nie gehalten wurde.

Der Zwist um eine Einigung dauert an, und beide Seiten rücken nicht damit heraus, was genau ihre Forderung beziehungsweise ihr Angebot ist. Da man sich bislang nicht einigen konnte, so Dostal, musste sogar „der Sheriff“ eingreifen: die Schiedsstelle beim deutschen Patentamt. Wird deren Empfehlung nicht angenommen, zieht die Gema gegen YouTube vor Gericht. Dostal findet es „unappetitlich“, dass diejenigen, die die Inhalte vieler Clips zum Beispiel bei YouTube lieferten, am Erfolg nicht beteiligt werden. Immerhin stehe hinter dem Video-Anbieter der milliardenschwere Konzern Google.

Mit den Google-Jungs traf sich Ende Oktober 2010 der umtriebige britische Premierminister David Cameron und verkündete danach, seine Regierung überprüfe derzeit das geltende Copyright, um es „fit für das Internetzeitalter“ zu machen. Zweck sei es, durch eine potenzielle Lockerung in England endlich die kreativen Kräfte freizusetzen, die schon in den USA weltbeherrschende Konzerne wie Google, Facebook und Co. an den Start brachten.

Auch in Deutschland tobt der Streit, ob das Urheberrecht im digitalen Zeitalter eher Schutz oder Fessel für kreative Kräfte sei. „Eine Gesellschaft muss ihre Künstler schützen, sonst vertrocknet sie“, sagt Dostal beschwörend und empört sich über jeden Plan, das Gesetz zu sehr zu modifizieren. „Lieder sind wie Äpfel. Manchmal schmeckt ein geschenkter oder geklauter Apfel einfach besser. Aber nur, weil er die Ausnahme ist.“

Der Berliner Rapper Marten Laciny alias Marteria wird von etlichen Spezialisten als kommende Größe seiner Zunft gehandelt. Die Fantastischen Vier haben ihn schon mit auf Tour genommen, das Album „Zum Glück in die Zukunft“ ist vom Publikum sehr gut aufgenommen worden. Die Single „Verstrahlt“ war immerhin schon bei Youtube ein echter Hit mit vier Millionen Klicks – bis die zuständige Plattenfirma Sony den Stecker zog und das Filmchen sperren ließ.

Der frustrierte Künstler kann das nicht nachvollziehen. „Ich verstehe den Streit, aber für Newcomer wie mich ist YouTube enorm wichtig“, klagt er. Besonders rätselhaft sei, dass andere, weniger populäre Marteria-Clips noch zu sehen seien: „Ich kapiere nicht, was gesperrt wird und was nicht. Aber natürlich müsste YouTube Gema-pflichtig sein, wenn man logisch denkt“, ergänzt er. Mitglied ist Marteria „selbstverständlich“.

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