Die 100 größten Musiker aller Zeiten: Die Essays Platz 50 bis 41

ROLLING STONE präsentiert: Die 100 größten Musiker und Bands aller Zeiten. Essays u.a. von Marilyn Manson, Tom Petty, Rosanne Cash, Lucinda Williams und Shirley Manson.

Rund 50 Jahre nachdem Elvis in den Sun-Studios „That’s All Right“ einspielte, hat der ROLLING STONE das erste halbe Jahrhundert des Rock’n’Roll im großen Stil gefeiert. 2004 baten wir ein Gremium aus 55 Musikern, Autoren und Plattenfirmen-Managern, die einflussreichsten Musiker dieser Ära auszuwählen. Die Liste der 100 Musiker, die 2011 aktualisiert wurde, ist ein Beitrag zur Rock-Historie. Sie umfasst die Beatles ebenso wie Eminem. Sie reicht vom Rock-Pionier Chuck Berry bis zum Blues-Mann Howlin’ Wolf.

Die Essays über die 100 Besten stammen aus prominenter Feder: Ezra Koenig von Vampire Weekend zollt dem Rapper Jay-Z Tribut. Britney Spears verneigt sich vor „Godmother“ Madonna. Rock’n’Roll hat eine glorreiche Vergangenheit.

Lesen Sie hier, die Plätze 50 bis 41.

the_band_shadow_gimp.jpg50. The Band

Von Lucinda Williams

Ich nenne The Band immer als Beispiel für meine eigene Karriere. Als ich auf der Suche nach meinem ersten Plattenvertrag war, wussten die Leute nicht, wie sie mich vermarkten sollten, weil mein Sound in keine Schublade passte. Doch The Band, die spielten ein klein bisschen von allem. Ich weiß noch, als „Music From Big Pink“ herauskam. Man konnte die Musik der Band nicht einordnen, aber sie war sehr organisch – ein wenig Country, ein wenig Roots, ein bisschen Mountain, ein bisschen Rock –, und in Gesang und Harmonien waren sie anders als alle anderen.

Als sie Dylan unter dem Namen The Hawks auf seiner 66er-Tour begleiteten, waren das Sternstunden des Rock’n’Roll. Die Band ermöglichte Dylan, stilistisch vielseitiger zu werden. Er bewegte sich weg von den schweren, metaphysischen Songs auf „Blonde On Blonde“ und schrieb stattdessen coole, kleine Stücke.

Ihre Songs kann man nicht covern – wer könnte Richard Manuels unglaublich hohe Stimme nachmachen? –, aber wir haben es versucht. Jedes Mal, wenn wir zusammensaßen und sangen, klampfte unausweichlich jemand eine Version von „The Night They Drove Old Dixie Down“. Mein Lieblingssong war „It Makes No Difference“ von „Northern Lights – Southern Cross“. Das Gefühl dahinter ist so herzzerreißend und die Darbietung so ehrlich. Dieser Typ, der erzählt, dass seine Geliebte ihn gerade verlassen hat und er total am Boden zerstört ist.

Man ist traurig, trotz der wunderbaren Musik, wenn man „The Last Waltz“ sieht. Richard Manuels Tod war wirklich tragisch. Garth Hudson habe ich später persönlich kennengelernt, er spielte auf einem Demo, das ich Mitte der Achtziger machte. Ein sehr stiller Mann, sehr nett. Und er spielte wie ein Engel.

Photo of Elton JOHNElton John live in the 1970’sIM49. Elton John

Von Billy Joel

Elton John sieht sich als Rockstar, und er lebt das auch so richtig. Sagen wir besser: als Rockstar wie im alten Rom. Bei unseren gemeinsamen Tourneen sah ich im Backstagebereich junge Männer in Togas mit kleinen Feigenblättern um den Kopf. In seiner Garderobe hat Elton 1000 Sonnenbrillen, 100 Paar Schuhe und um die 50 Versace-Anzüge zur Auswahl. Der Mann ist ein verdammter König, und ich finde das großartig. Meine Garderobe sieht eher aus wie das Hinterzimmer einer Imbissbude. Mit einer Wurstplatte, über der die Möwen kreisen.

Am Klavier ist Elton der Hammer. Er ist einfach fantastisch, wie eine Mischung aus Jerry Lee Lewis, Fats Domino und Little Richard. Seine Spontaneität und sein Improvisationsvermögen sind für mich eine echte Herausforderung. Mit seinem musikalischen Können hat er die Rockmusik bereichert. Vor ihm gab es im Rock nur so James-Taylor-mäßiges Singer-Songwriter-Zeugs mit Gitarre. Elton brachte das Klavier wieder ins Spiel. Und ließ es krachen. Er weiß, was sein Instrument kann. Das Piano ist ein perkussives Instrument – wie eine Trommel. Und Elton hatte immer diesen rhythmischen, afrikanischen, synkopierten Stil, für den man von Gospel und gutem R&B etwas verstehen muss. Zusammen mit Bernie Taupin hat er in der ersten Zeit ihrer Karriere auch brillante Songs abgeliefert, vom Debüt bis „Goodbye Yellow Brick Road“.

Als wir uns das erste Mal begegneten, waren wir in Holland, in einem Hotel in Amsterdam. Das war Mitte der Siebziger, als er auf dem Gipfel war. Ich fing als „Piano Man“ grade erst an. Ich gestand ihm, was für ein großer Fan ich von ihm war, und er sagte, er kenne meine Sachen auch. Ich fand das so cool: Es gab Tausende von Gitarristen, aber von unserer Sorte nur zwei. Den englischen Klavierspieler und den amerikanischen Klavierspieler. Und wir wussten beide, dass Rock’n’Roll nicht nur aus Gitarren bestand. Als Elton in seiner ersten Band Bluesology spielte, glaubte er nicht daran, ein richtiger Rockstar werden zu können. Mir ging es damals genauso. Ich sah nicht aus wie Mick Jagger, Paul McCartney oder Jim Morrison. Wir dachten eher, dass wir als Klavierspieler in irgendwelchen Bands enden würden, doch auf einmal stand Elton mit riesigen, blöden Brillen und in verrückten Kostümen da oben; ich machte auch jede Menge Unsinn auf der Bühne – und beide waren wir Rockstars.

Und er macht ja immer weiter. Ich habe seit 1993 keinen Song mehr geschrieben, und er fragt mich: „Billy, warum schreibst du nicht endlich wieder neue Songs?“ Und ich sage: „Elton, warum schreibst du nicht endlich weniger neue Songs?“ Für 200 Dollar Eintrittspreis kann man den Leuten nicht den ganzen neuen Kram aufzwingen.

Er hat ja so großartige Sachen geschrieben. „Rocket Man“, „Tiny Dancer“, „The Bitch Is Back“. Das wollen die Leute hören. Jeder Songwriter steht in der Schuld von Elton, dem überragenden Melodiker. John Mayer, Alicia Keys… Ich kriege ja nichts mehr mit, ich kenn die neuen Bands überhaupt nicht, aber jeder, der ein Keyboard spielt und Melodien mag, muss sich bei Elton bedanken.

rundmc-greatisthits.jpgRun DMC Together Forever CoverRun DMC Together Forever CoverBMG Ariola48. Run-DMC

Von Chuck D

Run-DMC waren die Beatles des HipHop – Run und DMC waren Lennon und McCartney, und Jam Master Jay war George und Ringo in einer Person. „Raising Hell“ ist das erste echte Rap-Album, ein vollständiges Kunstwerk statt einer Sammlung von Singles oder so einer Krimskrams-Platte. Rock spielt darauf eine Rolle, aber der Rap gibt den Ton an – er liegt nicht drunter, sondern sitzt oben drauf. Jay-Z, Outkast, Black Star, die Roots: Jeder, der heute HipHop macht, hat Run-DMC in der Ahnentafel.

Sie besaßen eine ganz neue Energie, die den HipHop revolutioniert hat. Ältere Musiker wie Grandmaster Flash trugen Disco-Klamotten, kamen aus der Bronx und wirkten anders. Run-DMC kamen aus Hollis, Queens, nur eine Viertelstunde von dem Ort entfernt, an dem ich wohnte. Hollis war ein Vorort, keine Großstadt mehr, aber Run-DMC sahen aus wie richtige street cats.

Als ich College-Radio bei WBAU auf Long Island machte, haben wir Run-DMC zum Durchbrach verholfen. Sie waren ein Vorbild für Public Enemy – wir machten beide superlaute Platten, die für Stadien gedacht waren, nicht für Clubs. Sie mussten brüllen, um ihre Beats und Gitarrenriffs zu übertönen. In einem Stadion kannst du nicht leise rappen.

Ich war gerade zu Hause, als ein Typ im Fernsehen sagte, Jay sei ermordet worden. ,Das war der totale Schock. Schwarze Musiker sind nicht immun gegen das, was in unserer Gesellschaft schiefläuft. So was hören die Leute nicht gern, aber es ist die Wahrheit, und wir müssen etwas dagegen tun, um solche Tragödien zu vermeiden.

Noch eine kleine Geschichte: 1984 erzählte ich Jay, dass ich nach Philadelphia ins Spectrum kommen würde, um mir die erste „Fresh Fest“-Tour anzusehen. Als ich zum Hintereingang kam, schickte ich ihm eine Nachricht und fragte, ob er mich reinlassen könnte. Und tatsächlich, mitten in einem Konzert vor 20.000 Leuten ging er von der Bühne, vorbei an den Sicherheitsleuten, und brachte mir zwei Tickets. Ich werde ihn nie vergessen.

Patti Smith – HorsesPatti Smith – HorsesPatti Smith – HorsesArista / Sony47. Patti Smith

Von Shirley Manson

Ich war 19 oder so als ich zum ersten Mal eine Platte von Patti Smith hörte. Das war „Horses“. Ich weiß noch, dass mich der Klang ihrer Stimme faszinierte, dieses Wilde darin. Später gefiel mir vor allem der intellektuelle und politische Gehalt ihrer Texte. Und ich mochte ihr Image, diesen völlig unglamourösen Look mit der Nagelscheren-Frisur.

Sie ist eine Folksängerin, auf dieselbe Weise wie Bob Dylan. Mir gefiel, dass sie auch Gedichte schrieb, malte und fotografierte. Für sie war Musik nicht alles. Und sie wusste, was für eine Kraft in ihrem Image steckte, dass sie richtig sexy war und wie sie das in ihrer Kunst einsetzen konnte. Was Madonna macht, das hat Patti von Anfang an gekonnt. Bloß geht es Madonna immer nur darum, sich zu verkaufen. Bei Patti hatte ich dagegen das Gefühl, dass sie mit ihren Sachen Trost und Freude spenden wollte – mir ganz persönlich. Bei den ersten Worten von „Revenge“ auf dem Album „Wave“ kriege ich heute noch eine Gänsehaut: „I feel upset/ Let’s do some celebrating.“

Vor vier oder fünf Jahren spielte ich mit Garbage bei einem Festival in Athens. Patti war auch dabei und gab mir ein Autogramm auf eine Setliste: „Power to the people, Patti Smith.“ Das ist ein Klischee. Aber Patti weiß, dass Klischees funktionieren können. Vor Kurzem unterhielt ich mich mit einem Jungen, der sich aus Prinzip weigert, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Ich kann seinen Standpunkt verstehen, aber ich glaube auch, dass es auf jeden Einzelnen ankommt. Ein einziger Mensch kann entscheidend sein. Wenn Patti „People Have The Power“ singt, bewegt mich das, weil ich weiß, dass ich nicht die Einzige da draußen bin, die so denkt. Es muss Millionen geben, für die sie singt, die so fühlen wie ich.

Wenn ich mir heute die Charts ansehe, welche Frauen die meisten Platten verkaufen und die meiste Presse kriegen, dann wird mir richtig schlecht. Weil all diese Frauen von männlichen Vorstellungen kontrolliert werden, wie eine Frau sein sollte und was es bedeutet, sich gegen etwas aufzulehnen. Wenn Christina Aguilera ernsthaft als Rebellin betrachtet wird, haben wir ein Riesenproblem. Ich bin nur froh, dass Patti immer noch bereit ist, sich da oben hinzustellen und zu kämpfen. Dann fühle ich mich weniger allein.

janisjoplin.jpgJanis JoplinSony Music46. Janis Joplin

Von Rosanne Cash

Janis Joplin betrat völliges Neuland. Sie war nicht nur eine der tollsten Frauen der Rockmusik – zu ihrer Zeit war sie die Frau in der Rockmusik. Sie schuf eine ganze Welt von Möglichkeiten für Frauen in dem Bereich: Ohne Janis gäbe es keine Melissa Etheridge, keine Chrissie Hynde, keine Gwen Stefani, niemanden.

Ich ging noch zur Highschool, als ich sie für mich entdeckte. „Pearl“ war das erste Album, das ich kaufte. Ich weiß noch, dass es mir irgendwie Angst machte. Ich würde mal sagen: Wenn Joni Mitchell mir klarmachte, dass eine Frau öffentlich über ihr Leben singen konnte, dann erkannte ich durch Janis, dass eine Frau ebenso öffentlich ein wildes Leben leben konnte. Ich war ja damals ein braves katholisches Mädchen, aber das hielt mich nicht davon ab, Janis’ Platten zu kaufen – und am Tag, als sie starb, ein schwarzes Armband in der Schule zu tragen.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie unglaublich schockierend Janis damals war. Da musste man schon zu den Bluessängern gehen, die nach Europa geflohen waren, um etwas so Wildes und Ungehemmtes zu finden – und selbst die waren noch ein bisschen zugeknöpfter als Janis. Sie schien immer kurz davor zu sein, völlig außer Kontrolle zu geraten. Ich habe mir letzten Sommer zum ersten Mal nach langer Zeit den Film vom Monterey Pop Festival wieder angesehen und fand Janis absolut atemberaubend. Sie war ein Spektakel, eine Explosion, die über das Publikum hereinbricht. Im Film sieht man, wie Mama Cass am Ende von Janis’ Performance nur den Kopf schüttelt, aufsteht und applaudiert, als wollte sie fragen: „Oh mein Gott, was war das denn?“

Sie stand unerschütterlich zu ihrer persönlichen Wahrheit, egal wie destruktiv, komisch oder verkehrt die sein mochte. Sie war eine absolute Individualistin in der Art, wie sie sich anzog, wie sie sang, wie sie lebte. Sie liebte ihren Whiskey, und machte draus keinen Hehl. Eine einzigartige Frau – ohne Stylisten, Publizisten oder Imageberater. Einfach Janis.

Die Schönheit und die Kraft der Sängerin Janis Joplin liegen darin, dass sie absolut keine Angst hatte. Sie hielt nichts zurück. Sie ging jedes Mal an die Grenze, jedes Mal wenn sie den Mund öffnete. Sie konnte einen auch fertigmachen, wenn sie ihr Herz offenlegte wie zum Beispiel in „Me And Bobby McGee“, wo man plötzlich das kleine Mädchen dahinter sah. Nur richtig froh wurde sie nie. Sie lebte nicht lang genug, um so weit zu kommen. Sie war ein gleißend helles Licht, das viel zu schnell abbrannte.

The Byrds – Front.jpg45. The Byrds

Von Tom Petty

Die Byrds sind unsterblich, weil sie so hoch flogen. Und für mich sind sie immer noch weit, weit oben. Sie haben tiefe Spuren hinterlassen. Zum einen waren sie die erste wirklich gute Antwort auf die British Invasion. Und jede Art von Folkrock – um es mal so zu nennen – entstammt direkt der Musik, die die Byrds gemacht haben. Sie waren jedenfalls die Ersten, die Country-Elemente in die Rockmusik einführten. Als wäre das alles nicht genug, trugen sie auch wesentlich dazu bei, dass Bob Dylan populär wurde. Und ich will ja nicht oberflächlich sein, aber – sie waren außerdem die bestangezogene Band weit und breit. Das spielte sogar damals schon eine Rolle.

Ich werde nie vergessen, wie ich „Mr. Tambourine Man“ zum ersten Mal im Radio hörte – der Klang der 12-saitigen Rickenbacker-Gitarre und der unglaubliche Chorgesang. Roger McGuinn sagte mir, er habe den Gitarrensound aus „A Hard Day’s Night“, aber er war eben Banjospieler, und darum spielte er die Rickenbacker in diesem rollenden Fingerpicking-Stil. George Harrison gab zu, dass „If I Needed Someone“ seine Variante von „The Bells Of Rhymney“ von den Byrds war. Sie waren die einzige Band, mit der die Beatles sich austauschten. Die Byrds in Urbesetzung existierten nicht lange, aber in dieser kurzen Zeit veränderten sie die Welt. Und dass sie Rockstars wurden, passte eigentlich überhaupt nicht zu ihnen. Chris Hillman kam vom Bluegrass. McGuinn hatte in Folkgruppen gespielt und mit Bobby Darin. David Crosby kam auch aus der Coffeehouse-Szene, und Gene Clark war bei den New Christy Minstrels. McGuinn erzählte mir, dass die Byrds sich richtig anstrengen mussten, um als Band Rock’n’Roll zu spielen. Sie mussten es lernen. Man stelle sich vor: Ein Haufen Folkies bemüht sich rauszukriegen, wie man die Leute zum Tanzen bringt.

Die Byrds repräsentierten Los Angeles genau wie die Beach Boys, sie waren nur das Gegenstück – L.A.s abgedrehte Beatniktruppe. Sie lenkten meine Aufmerksamkeit auf Los Angeles und waren einer der Gründe, weshalb ich in einer eigenen Band spielen wollte. Ich sah sie einmal beim West Palm Beach Pop Festival, die Stones spielten da auch. Am Anfang war das die Grundidee der Heartbreakers – wir wollten eine Mischung aus den Byrds und den Stones sein. Denn was konnte cooler sein als das?

publicenemy.jpgPublic Enemy Promo-BildPublic Enemy PromoPublic Enemy44. Public Enemy

Von Adam Yauch

Niemand hat den HipHop auch nur annähernd so politisiert wie Public Enemy. Ich stelle sie auf dieselbe Stufe wie Bob Marley und eine Handvoll anderer Leute, die großartige Musik machen und gleichzeitig eine politische und soziale Botschaft haben. Doch wo Marleys Musik dich sanft einlullt und die Message dann hintenrum anbringt, packt dich Chuck D beim Kragen und zwingt dich zuzuhören.

Ich weiß noch, wie ich das erste Mal „Rebel Without A Pause“ hörte. Wir waren auf Tour mit Run-DMC, und eines Tages legte Chuck D ein Tape ein, das gerade fertig geworden war. Sie hatten zum ersten Mal diese kreischenden Bläser mit diesem unglaublich fetten Beat kombiniert – so etwas hatte ich noch nie zuvor gehört. Als später „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ rauskam, hörte ich immer wieder „Black Steel In The Hour Of Chaos“. Die Aussage, dass das Strafvollzugssystem in den USA heute viele Parallelen zur Sklaverei aufweist, war ebenso der Wahnsinn wie die Musik: das Isaac-Hayes-Sample und Chuck Ds Reime über den Ausbruch aus der Gefangenschaft. Das ist bei ihnen oft so, du kommst dir vor, als wärst du in einem Film.

PE haben die Szene musikalisch völlig verändert. Keiner machte HipHop mit purem Krach und atonalen Synthesizern, keiner mischte Sachen von James Brown und Miles Davis, keiner war bis dahin so hart gewesen. Sie waren auch die erste Rap-Truppe, die sich wirklich auf ihre Alben konzentrierte – man kann „Nation Of Millions“ oder „Fear Of A Black Planet“ von Anfang bis Ende durchhören, das sind nicht nur ein paar willkürlich zusammen-geschmissene Songs.

Für mich ist Chuck D der wichtigste MC im HipHop. Was sein MC-Talent angeht, gehört er ganz klar zu den Besten. Seine Power und Rhythmen in Zeilen wie: „Yes/ The rhythm, the rebel/ Without a pause/ I’m lowering my level“, da kommt keiner ran. Und wenn man bedenkt, was er da eigentlich sagt, dann kann ihm sowieso keiner das Wasser reichen. Er und Flavor Flav sind ein unschlagbares Team. Chuck ist so straight und direkt, und Flav steuert dieses wilde, unberechenbare Element bei. Sie ergänzen sich perfekt.

Public Enemy haben HipHop gemacht, der mehr war als nur Unterhaltung. Sie haben viele Leute ermutigt, daran zu glauben, dass man mit Musik Dinge verändern kann.

Photo of Sly & The Family STONE and Bobby WOMACKUNITED STATES – JANUARY 01: Photo of Sly & The Family STONE and Bobby WOMACK; with Sly Stone (Photo by Ebet Roberts/Redferns)IM43. Sly and the Family Stone

Von Don Was

Sly and the Family Stone brauchten nicht zu sagen: „Warum können wir nicht alle in Frieden leben?“ Man brauchte sich bloß diese Band anzuschauen und ihren Sound hören, um zu begreifen, welche Einstellung sie vertraten. Auf den frühen Alben gab es überhaupt keine Anspielungen auf das Thema Hautfarbe, sie waren durch und durch utopisch, erfüllt von einem Idealismus, der in Songs wie „Everyday People“ und „Hot Fun In The Summertime“ laut und deutlich zum Ausdruck kam.

Solche Botschaften brauchen die Menschen. In diesen Alben steckten ein ungeheurer Optimismus und echte Überzeugung. Die Band selbst war wie die Besatzung einer Arche Noah: Schwarze und Weiße, Männer und Frauen. Wenn man diese Band sah, der ethnische Herkunft so egal war und die so viele Schichten der Gesellschaft abdeckte, fühlte man sich wie ein entferntes Familienmitglied. In musikalischer Hinsicht war die Family Stone eine erstaunliche Band, aber dass Sly Stone der Anführer war, daran bestand kein Zweifel. Er ist ein einzigartiger Funk-Arrangeur, wahrscheinlich nur mit Duke Ellington zu vergleichen. Niemand hat verschiedene Elemente des Funk so virtuos miteinander verbunden wie Sly. Diese frühen Alben waren auf sehr progressive Art orchestriert – ein bisschen Gitarre, die zu etwas anderem hinführte, das dann wieder etwas anderes auslöste. Später verwandte er dissonantere Farben, wurde so eine Art Cézanne des Funk.

Irgendwann, so etwa zur Zeit von „There’s A Riot Goin’ On“, kam die Desillusionierung. Wahrscheinlich wurde ihm klar, dass dieses utopische Modell zwar in seiner Band funktionierte, er aber immer noch nicht in eine Bar in Alabama gehen konnte, ohne dass es zu einer Schlägerei kam. „Fresh“ ist das Werk eines Mannes, der verstanden hat, dass niemand das Rad der Geschichte schneller oder langsamer drehen kann. Qué será, será. „Fresh“ ist ein sehr tiefgründiges Werk. Hier spricht jemand, der ganz oben angekommen war und jetzt in der Erkenntnis, dass er eigentlich nichts unter Kontrolle hat, ganz tief fällt.

Ohne Sly würde die Welt ganz anders aussehen. Ohne ihn gäbe es keinen George Clinton, keinen Prince. Alles, was im R&B nach ihm kam, war durch diesen Mann beeinflusst. Die „Revolution“ der 60er, die haben wir vielleicht verloren, aber Sly gewann seine ganz eigene Revolution, musikalisch und in den Köpfen des Publikums. Ich hoffe nur, dass er das weiß und dass es für ihn okay ist.

van_morrison-its_too_late_to_stop_now_live_cd_large.jpg42. Van Morrison

Von Peter Wolf

1968 war das The Boston Tea Party die erste Adresse für Rockbands. Meine Band, die Hallucinations, probte in dem Club, wann immer er zur Verfügung stand. Wir hatten alle das Kunststudium abgebrochen, schworen auf R&B und Chicago-Blues und spielten eine sehr ruppige, ungehobelte Musik. Einmal waren wir gerade beim Proben, bereiteten uns auf einen Auftritt im Vorprogramm des großen Howlin’ Wolf vor, als ich einen Fremden in der Tür stehen sah. Ich hatte keine Ahnung, wer das war und was er wollte, also ging ich rüber und sprach ihn an. In breitem irischem Akzent fragte er, wo man denn in Boston spielen könne.

Als mir aufging, wer da in der Tür stand, war ich erstens ganz aufgeregt und zweitens perplex. Aufgeregt, weil ich Vans Musik von seinem Chartdebüt mit der Band Them kannte und bewunderte. Perplex, weil der Junge so verloren wirkte. Er hatte es trotz seines jüngsten Top-40-Erfolgs mit „Brown Eyed Girl“ nicht leicht, sich als Solokünstler zu etablieren, aber das war ja kein Grund, so schlecht drauf zu sein.

Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, stellten wir fest, dass wir eine Leidenschaft für dieselbe Art von Musik teilten. Van taute allmählich auf, und wir schmiedeten Pläne, wann wir uns wieder treffen würden. Wir sahen uns dann regelmäßig bei dem Radiosender, bei dem ich damals eine All-Night-Show moderierte. Wir hingen viel zusammen ab, zechten die Nächte durch, trieben jede Menge Unfug und gerieten manchmal in mehr Schwierigkeiten, als uns lieb war.

Van lebte in einer winzigen Wohnung im Erdgeschoss eines alten Hauses in der Green Street in Cambridge. Er, seine Frau und ihr kleiner Sohn. Sie waren völlig pleite. Die Wohnung wirkte trist, kahl, sie hatten nur eine Matratze auf dem Boden, einen Kühlschrank, eine akustische Gitarre und ein Tonbandgerät. Er lebte im Exil, hatte eine Familie zu ernähren, kein Geld, keine Band, keinen Plattenvertrag und keine konkreten Aussichten auf einen legalen Ausweg aus der Misere. Warum er überhaupt nach Boston gekommen war, blieb mir ein Rätsel.

Immer wenn Van aus beruflichen Gründen telefonieren musste, lief er einige Blocks weit zu mir. Ich glaube, für ihn war das immer auch eine kleine Flucht aus seinem problembeladenen Leben. Stundenlang stöberte er in meiner Plattensammlung. Immer wieder lauschten wir „dem Gospel“, wie er es nannte, von Jackie Wilson, Hank Williams, Louis Jordan, Billy Stewart, Elvis und John Lee Hooker. „Das sind die wahren Könner“, sagte Van. Gene Chandlers Liveversion von „Rainbow ’65“ legte er so oft auf, dass ich eine neue Nadel für meinen Plattenspieler kaufen musste.

Wir schauten uns alle möglichen Clubs an, Abend für Abend, aber kaum jemand kannte Van. Manchmal kam er zu den Gigs meiner Band. Einmal, als wir das Intro zu seinem Song „Gloria“ spielten, rief ich ihn auf die Bühne. Er zierte sich, aber dann kam er und legte einen brillanten Auftritt hin. Leider gefiel es dem Publikum nicht, dass da so ein „unbekannter“ Sänger einen vertrauten Song einfach abwandelte.

Schließlich bekam Van eine akustische Zweimannband zusammen und organisierte sich einen Termin in einem Jazzclub, den ich nur als unterirdisch bezeichnen kann. Er lag drei Stockwerke unter einem Billardsalon, war feucht und dunkel. Der Name des Ladens passte: The Catacombs. Ägyptische Muster zierten die gelben, von Rauchflecken verschmutzten Wände. Ich lieh mir eine Bandmaschine, um das Konzert aufzunehmen. Was er dann an diesem Abend spielte, war der Songzyklus, aus dem das bahnbrechende Album „Astral Weeks“ werden sollte. Nur eine Handvoll Leute hörten zu, aber nach dem letzten Song war wohl allen klar, dass sie gerade etwas ganz Besonderes miterlebt hatten.

Letzten Sommer stand ich am Bühnenrand und sah Van vor mehreren Tausend Fans spielen. Mit derselben urwüchsigen Kraft und Leidenschaft, die er vor über 30 Jahren in den lang vergessenen Catacombs demonstriert hatte. Einmal mehr bewunderte ich seine mysteriöse Gabe, alles Chaos zu transzendieren, alle Verzweiflung, die ihn so leicht hätte lähmen können. Er wurde ein Meister seiner Kunst und schuf ein Werk, das reflektiert, nie imitiert. Erhebende Songs. Es ist Vans Gospel: „Turn it up, a little bit higher/ You know it’s got soul“ und „It’s too late to stop now!“

The DoorsThe DoorsThe DoorsThe Doors41. The Doors

Von Marilyn Manson

Jim Morrison sagte es treffend: „All the children are insane“, und er meinte es so, wie auch ich es meine. Wir sind Kinder, die sich abgestoßen fühlen von dem, was die Leute für gesund und normal halten. Als Jim tobte, und zwar ganz schön abgründig: „Rock & roll is dead“, und: „Hitler is alive… I slept with her last night“, da wusste er damals schon, woran wir heute ersticken.

In der zehnten Klasse sagte mir jemand, ich müsse unbedingt „No One Here Gets Out Alive“ lesen, die Biografie von Jim Morrison. Alles, womit ich mich heute beschäftige – mit dem Buch fing es an. Nachdem ich es gelesen hatte, wollte ich Schriftsteller werden und begann, einige Kurzgeschichten zu verfassen. Wir wissen nicht, was in Morrisons Kopf alles ablief, aber ich hatte Spaß daran, es zusammen zu puzzeln.

Die Unsterblichkeit seiner Worte, das Geheimnis seiner Existenz sprachen meine Fantasie an. Ich fand „Moonlight Drive“ beängstigend und sexuell verwirrend, als würde Ted Bundy Glückseligkeit preisen. Ich las das Gedicht in der Englischstunde vor der Klasse. Worte wie „mute nostril agony“ und „carefully refined and sealed over“ brannten sich mir tief ein.

Ich denke, die Doors passen heute immer noch, weil sie von Anfang an nie gepasst haben. Sie hatten keinen Bassisten. Die Musik hatte oft überhaupt nichts mit Morrisons Texten zu tun. Die meisten Bands kommen auch dann noch ganz gut durch ihre Show, wenn sich der Keyboarder den Finger bricht – nicht die Doors. Robby Krieger spielte sehr eigentümliche Gitarrenparts, wenn man ihn beispielsweise mit Jimmy Page oder Keith Richards vergleicht. Und doch entstand aus der Kombination all dessen etwas ganz Einzigartiges, das die Aufmerksamkeit der Leute erweckte.

Morrisons Stimme war wie ein schöner Teich, in den man alles Mögliche reinschmeißen konnte. Was immer er sang, wurde so tief, wie er selbst es war. Er hatte dieses Unbenennbare, das die Menschen immer anziehen wird. Ich sehe die Doors immer als die erste Punkband, noch vor den Stooges und den Ramones. Sie klangen überhaupt nicht wie Punkrock, aber wenn es darum ging, zu rebellieren und sich nicht nach anderer Leute Regeln zu richten, dann übertraf Morrison alle anderen. Es gibt eine Menge Bands, die versuchen, wie die Doors zu klingen – aber die sind blasse Kopien von Kopien. Wenn du so sein willst wie Jim Morrison, dann darfst du eben genau nicht so sein wie er. Du wirst niemals so sein wie er. Es geht darum, seinen eigenen Platz in der Welt zu finden.

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