Robert Altman – der Mann, der den Amerikanern zeigte, wer sie sind
Am 20. Februar wäre der große Ensemble-Regisseur Robert Altman 90 Jahre alt geworden. Mit Filmen wie "M.A.S.H.", "Nashville", "Shortcuts" oder "The Player" schrieb er Filmgeschichte und hielt den Amerikanern mit scharfsinnigen Satiren den Spiegel vor.
Mit einem letzten, kraftvollen, beschwingten Meisterwerk die Bühne verlassen – auch wenn es vielleicht (wieder) nur die wenigsten bemerken –, das dürfte einer der großen Träume eines jeden Autoren oder Bilderzauberers sein: Robert Altman, dem großen amerikanischen Filmregisseur, ist dieses Kunststück mit „A Prairie Home Companion“ (2006) gelungen – nur wenige Monate bevor er starb.
Das gesamte Können dieses Meisters der aufmerksamen Sozialkritik und des facettenreichen, multiperspektivischen Erzählens flammte hier für die Dauer eines Spielfilms noch einmal auf. Die Liebeserklärung an die ‚good ol’ days’ des Radios, als das Programm noch in Form einer aufwändigen Revue live eingespielt wurde, ist zugleich auch eine kaum versteckte Verbeugung vor einem Kino, das längst selbst – wie die von der Einstellung betroffene Radioshow im Film – vom Aussterben bedroht ist.
Von seinem Durchbruch mit der bitterkomischen Kriegssatire „M.A.S.H.“ (1970), die der in Kansas City geborene Regisseur erst im Alter von 44 Jahren realisierte, bis hin zu „The Company – Das Ensemble“ (2004) drehte Altman ausgesprochen vielfältige ‚Autorenfilme’, die sich oftmals jeder Zuordnung widersetzten, aber doch allesamt eines gemeinsam hatten: den scharfsinnigen und doch zärtlichen Blick auf die im Angesicht des eigenen Schicksals taumelnden Menschenkinder.
Altman wollte in seinen Filmen das Leben als Ganzes und in all seinen Farbspektren spiegeln
Vielleicht ist es ein Missverständnis, wenn Altman auch heute noch der „New Hollywood“-Bewegung um Steven Spielberg, Francis Ford Coppola und Martin Scorsese zugeordnet wird. Zwar teilte er mit den genannten Regisseuren den Anspruch, unter Verwendung der außergewöhnlichsten ästhetischen Mittel mit jedem neuen Film zu überraschen und zu unterhalten – doch der gelernte Fernsehinszenator, der einst ausgerechnet mit der kreuzsentimentalen Westernserie„Bonanza“ zum ersten Mal von sich reden machte, verstand seine Werke vor allem als Versuch, das Leben als Ganzes und in all seinen Farbspektren zu spiegeln. Etwas pathetischer ausgedrückt könnte man sagen, dass ihn der Fortschritt der Menschheit wesentlich mehr scherte als der Fortgang des Kinos.
Mit „Nashville“ (1974), einer Hommage auf die vitale Country- und Folkszene der USA, ist ihm vielleicht sein größter Wurf gelungen. Noch heute wirkt der bestechend komplexe Film taufrisch, weil er den Versuch unternimmt, vor dem Hintergrund eines Attentats bei den Feierlichkeiten für den 200. Geburtstag der Vereinigten Staaten, die Geschichte eines unübersichtlichen Arsenals von 24 Figuren völlig gleichberechtigt zu erzählen. Durch eine völlig losgelöst anmutende Handlungsverknüpfung gewinnt der Film außergewöhnliche Spannung und eine geradezu dokumentarische Tiefenschärfe.
Fortan galt Altman als Ensemble- und Schauspielerregisseur und spielte dieses Talent mit Sozialpanoramen wie „Short Cuts“ (1993) oder „Gosford Park“ (2001) hintersinnig aus. Nie ging es ihm um eine berechenbare Methode oder einen signature style, auch wenn eine neue Dokumentation („Altman“, 2014) von Ron Mann, die nun zu seinen Ehren ins Kino kommt, vom ‚Altmanesken’ philosophiert und behauptet, dass seine Erzähltechnik und seine Fähigkeit, mit Schauspielern umzugehen, inzwischen als genuine Filmsprache aus dem Repertoire der Leinwandhistorie nicht mehr wegzudenken sind.
Geschichten, die sich vom Würgegriff der Plotpoints befreit haben
Stattdessen bemühte sich Altman um Komplexität, Widersprüchlichkeit und Transgression. Er erzählte keine aufregenden Geschichten, sondern inszenierte Menschen, Strukturen und Landschaften selbst als raffinierte Erzählungen. Immer wieder verwendete er alltägliche Sujets wie eine Hochzeitsfeier in „Eine Hochzeit“ (1977) oder zur Gewohnheit gewordene Genrekonventionen wie in dem genialen Westernverschnitt „McCabe & Mrs. Miller“ (1971), um gesellschaftlichen Umständen auf den Zahn zu fühlen und das Funktionieren der amerikanischen Gesellschaft, mithin auch ihre (Alb-)Träume, offenzulegen.
Dieses Storytelling, das sich vom Würgegriff der Plotpoints befreit hat, wird auch heute noch von jungen Filmemachern herbeizitiert, freilich aber selten mit gleichwertiger Chuzpe in Angriff genommen. Altman nahm dafür auch in Kauf, dass einige seiner Ideen gnadenlos zu scheitern drohten. Natürlich wird „Popeye“ (1980), dieses kunstvoll misslungene Comic-Musical mit Robin Williams in der Hauptrolle, in Erinnerung bleiben. Wie überhaupt die 80er mit albernen Streifen wie „Black Cats“ (1985) oder angestrengten Fingerübungen wie der Harold-Pinter-Adaption „Basements (Der stumme Diener/Das Zimmer, 1987)“ durchaus wie Pech an Altman hafteten.
Mit „The Player“ (1992) holte der Regisseur Anfang der 1990er noch einmal zum großen Schlag aus und drehte eine immer noch unerreichte, bis hin zur Schlusssequenz pointierte satirische Abrechnung mit dem Hollywood-System. Stars wie Sydney Pollack, Dean Stockwell oder Whoopi Goldberg wurden hier selbst für winzige Nebenrollen eingespannt und spielerisch gegen den Stich gebürstet – ein Kunstgriff, der inzwischen von eigensinnigen Epigonen wie Steven Soderbergh, Paul Thomas Anderson oder Wes Anderson lustvoll zitiert wird.
Ein Filmemacher wie Altman fehlt uns heute
In beinahe 50 Jahren Schaffenszeit waren dem selbsterklärten Filmhandwerker Robert Altman, der vor seiner Zelluloid-Karriere sein Geld auch schon als Bomberpilot und Versicherungsvertreter verdiente, fast doppelt so viele Filme vergönnt; zuletzt wurden sie im Ausland durch einen Trademark-Titel („Robert Altman’s Last Radio Show“) gestärkt. Mit Altman ist einer gegangen ist, der nicht so leicht zu ersetzen ist. Oder anders gesagt: Wir haben die satirischen Komödien und subtilen Gesellschaftspanoramen dieses bedeutenden Filemachers heute nötiger denn je.
Am 20. Februar 2015 wäre Robert Altman 90 Jahre alt geworden.