Van Dyke Parks – „Song Cycle“
Ich führe im Foyer eines Essener Hotels ein Interview, als ein schnauzbärtiger, weißhaariger Mann mit der Statur eines leicht dicklichen Katers sich zu uns setzt, um bei meinen Interviewpartner eine Zigarette zu schnorren. Er schaut auf den Interviewplan und wendet sich mir zu: „M-A-I-K... is that you?“ Ja. Das bin ich.
„Hm. You’ve got as strange name, but I’ve got a strange name, too. My name is Van Dyke.” Es ist tatsächlich Van Dyke Parks, der mir da gegenübersitzt. Im Verlauf des kurzen Gesprächs erfahre ich, dass er schon seit einiger Zeit genügend Songs für ein neues Album beisammen hat, aber bisher keine Plattenfirma gefunden hat, die ihm die Musiker für die Aufnahmen zahlt und den Vertrieb übernimmt.
Das war nicht immer so. 1967 glaubte Warner Bros. mit der Verpflichtung von Van Dyke Parks den großen Coup gelandet zu haben. Immerhin hatte Parks als Studiomusiker, Arrangeur und nicht zuletzt durch seine Arbeit als Co-Autor von Brian Wilson beim legendären „Smile“-Projekt schon einige Meriten. Er wollte auch mal mit dem für die Monkeys abgelehnten Stephen Stills eine Band gründen, von der dann aber nur noch der Name überlebte: Buffalo Springfield. Nun erhoffte sich die Plattenfirma vom ersten Soloalbum des genialischen Wirrkopfs ein zweites „Sgt Pepper’s“ – mindestens. Als man schließlich die Rechnung über die Aufnahmen bekam, wurde dem ein oder andern Verantwortlichen bei Warner aber zum ersten Mal leicht mulmig: 48 302 Dollar! Das war damals eine Rekordsumme. Als schließlich das Album erschien, hagelte es von der Kritik zwar Lobpreisungen, verkaufte aber gerade mal 10 000 Exemplare. Warner ging also in die Offensive und bewarb das Produkt mit einer wohl beispiellosen Kampagne: „How we lost $35,509.50 on ‚The Album of the Year’(Dammit)“. Mit dem Hinweis, dass man sich um die Plattenfirma deswegen aber keine Sorgen machen müsse, denn sie würde ja mit Acts wie Peter,Paul and Mary genügend Geld verdienen, um diesen Verlust wieder wettzumachen. Es tue ihnen halt nur Leid für die Hörer, die das „Album des Jahres“ verpassten. Als auch diese Kampagne nichts half, ging man noch einen Schritt weiter: „Two weeks later, and it still looks black for ,The Album of the Year’” – jeder, der das Album bereits besaß, konnte es, zurückschicken und bekam, wenn er zusätzlich einen Penny beilegte, dafür zwei Exemplare zurück. Eines für sich und eines, um Freunde zu missionieren.
Doch „Song Cycle“ verschließt sich bis heute den „I Want Genuss sofort“-Hörgewohnheiten des Pop. Dass dieses Album kein Topseller werden würde, musste jedem klar sein, der es sich einmal angehört hatte. Es beginnt mit einem alten, rauschenden Bluegrass-Stück. Die „Basement-Tapes“ von Bob Dylan und The Band kommen einem in den Sinn, dieser seltsame Genre-Begriff „Americana“. Doch schon geht das Stück in Parks verquere Version von Randy Newmans „Vine Street“ über. Ein mehr als ironischer Blick auf das Musikbusiness. „I sold my guitar today – never could play much anyway.“ Stattdessen Streicher, Bläser, Chöre, Steel Guitar, Akkordeon und der quengelige Gesang von Van Dyke Parks, Vaudeville, Country, Folk, Bluegrass, Avantgarde, George Gershwin, Rodgers and Hart, Volkslieder – – alles über-, unter- und nebeneinander. Es ist, als wenn man zu nahe vor einem Gemälde steht und nur die Tupfer und Striche, nicht aber das Gesamtbild erkennen kann. Man hört zu Donnergrollen den alten Song „Van Dyke Parks“ (Autorenangabe: Public Domain) und darauf den Song „Public Domain“ von Van Dyke Parks: „Our lowly liquor lobby longs to back a road to old time songs.“ Dann die Schönheit von „Donovan’s Colours“. Kaum hat man es sich in einer Harmonie bequem gemacht, bricht der Song schon wieder in eine neue Richtung auf.
„Song Cycle“ scheint nicht in diese Zeit zu gehören – aber auch in keine andere – und doch ist es mindestens genauso in den amerikanischen Traditionen, Mythen und Legenden verwurzelt wie sagen wir: „Sweetheart Of The Rodeo“ – doch auch das alte Europa hört man hier deutlich heraus. „Song Cycle“ ist ein Trip durch das Amerika Mark Twains, John Steinbecks, die Musicals von Busby Berkeley und John Fords Western. Man hört das Pfeifen der Züge und denkt daran, wie sie die Weite Amerikas durchmessen, aber man erkennt eben auch den Beginn von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: „Ich fragte mich, wie spät es wohl sei; ich hörte die Eisenbahnzüge, das – mehr oder weniger weit fort wie ein Vogellied im Wald – die Entfernungen markierte und mich die Weite der öden Landschaft erraten ließ, durch die sich der Reisende zur nächsten Station begibt; der kurze Weg, dem er folgt, wird in sein Gedächtnis eingegraben bleiben durch die erregende Neuheit der Stätten, die ungewohnten Dinge, die er tut, ein Gespräch, das er eben geführt hat, oder den Abschied unter einer fremden Lampe, der ihm noch nachgeht in der Stille der Nacht, die nahe Süße der Heimkehr.“ Besser als Proust kann man „Song Cycle“ nicht beschreiben.
Warner Bros., 1968