ROLLING STONE in der Küche: Die neue Lust am Fleisch
Lust am Fleisch: Die Zubereitung des Tiers ist das neue Statussymbol des Machos
Vielleicht muss die Geschichte von Lady Gaga neu geschrieben werden. Als sie sich 2010 für die MTV Awards in ein Kleid aus rohem Fleisch hüllte, lobten nicht wenige ihre künstlerische Chuzpe. Was aber, wenn die Performance nicht provokativ, sondern bloß der, nun ja, fleischgewordene feuchte Traum einer schnell wachsenden Schar von Küchenmachos war? Denn von Pop- und Kulturkritik fast unbemerkt, hat sich im Windschatten der Neuen Bürgerlichkeit eine eigenartige, etwas spießige Avantgarde herausgebildet, deren Leidenschaft das Kochen und deren Fetisch das Fleisch ist und die heute die Gasdüsen ihrer 2.000-Euro-Grillstation genauso skrupellos aufbohrt wie früher die Zylinderköpfe ihrer Mopeds. Diese Jungs – so darf man beim Durchblättern des Magazins „BEEF!“ vermuten – denken bei Fleisch längst nicht mehr an Frauen, sondern an japanische Wagyu-Rinder, deren dunkelrotes, fein marmoriertes Filet quasi den Höhepunkt ihrer kulinarischen Begierden darstellt. Im Zentralorgan des ambitionierten Koch-Cowboys räkeln sich Würste, Schweinebäuche und Kalbsbrüste wie Playmates im Fotostudio, und sogar die Frühkartoffeln als Sättigungsbeilage werden als „blutjung und willig“ angepriesen.
„Wir sind ein Männermagazin“, erklärt Chefredakteur Jan Spielhagen. „Aber während der ,Playboy‘ anachronistisch und obsolet ist, setzen wir die Tradition auf intelligente und ironische Weise fort.“ Renate Künast dürfte also eher nicht zur Zielgruppe zählen, die Spielhagen als „keineswegs prollig“ beschreibt. „Unsere Leser sind gesettelte Männer mittleren Alters mit einem Einkommen, das es ihnen erlaubt, 50.000 Euro in eine Küche zu investieren oder auch mal 350 Euro für ein Kilo Fleisch auszugeben.“
Klingt nach der Sorte hyperaktiver, aber im Karrierestau steckender Manager, die Rainald Goetz in seinem Roman „Johann Holtrop“ vorführt und die nun, statt mit der Akkreditierung für die Boxengasse zu wedeln, stolz ihre mit Pacojet und Kombigarer bestückte High-End-Küche präsentieren – womöglich aber auch nur „BEEF!“ auf den Coffee Table packen, wo vorher das Harley-Davidson-Magazin „American Iron“ lag.
Weniger martialische Menschen dürfte das zwischen Rammstein-Schwulst und Pirelli-Kalender changierende Design des Magazins eher abschrecken. Was schade ist, denn fachlich ist „BEEF!“ höchst professionell gemacht, neben spannenden Reportagen gibt es durchaus auch einen Blick auf die Problematik des Fleischkonsums. Jetzt hat die Redaktion auch einen opulenten Bild-und-Rezept-Band zum Thema „STEAKS“ herausgegeben, in dem gleich auf einer der ersten Seiten ein tribaltätowierter Metzger einem von der Decke baumelnden Rind die Kehle durchschneidet.
Zarter besaitete Gemüter sollten da besser zum „Ginger Pig Meat Book“ des britischen „Schweineflüsteres“ Tim Wilson greifen, der Aufzucht und Verzehr von Tieren als ganzheitlich und als Naturereignis begreift. Fairerweise muss man sagen, dass die Machos von „BEEF!“ da ehrlicher sind. Und trotz aller spätpubertären Anwandlungen hat der dreifache Familienvater Spielhagen durchaus auch Verständnis für die Nöte des einfachen Mannes: „Unter der Woche einfach öfter mal asiatisch kochen“, rät er. „Eine deutsche Fleischportion hat zweihundert, eine asiatische nur sechzig Gramm.“ Bei einer vierköpfigen Familie macht das pro Mahlzeit einen Unterschied von weit mehr als einem Pfund.