Marilyn Manson
Rockmusiker, Schauspieler, Satansdiener: Wie der bleiche Imperator über diverse Rollen wieder zu sich selbst fand
Er taucht am liebsten erst auf, wenn es dunkel ist, aber dann erweist sich Marilyn Manson, der Schrecken aller Spießbürger, als ausgesucht höflicher Mann. „Die erste Dame, die heute mit mir sprechen will!“, sagt er erfreut, lässt die dargebotene Hand lange nicht los und rückt dann einen bequemeren Sessel heran – „du sollst dich ja wohlfühlen!“ In einer Berliner Bar will er über sein neuntes Album, „The Pale Emperor“, reden, das Mitte Januar erscheint. Statt Absinth trinkt der 45-Jährige momentan lieber Wodka, in kleinen Schlucken. Seiner Stimme hört man die überlebten Exzesse immer noch an, aber er sieht tatsächlich fast gesund aus. Den „little Hitler haircut“, der noch von seiner Neonazi-Rolle in „Sons Of Anarchy“ übrig ist, versteckt er unter einer Baskenmütze, die schwarz ist wie alles andere an ihm auch – bis auf die bleiche Haut und den blutroten Lippenstift.
Seit dem letzten Album sind drei Jahre vergangen, in der Zwischenzeit hast du viel als Schauspieler gearbeitet. Hat das deine Arbeitsweise verändert?
Verändert hat sie sich vor allem dadurch, dass ich beim Drehen der Serie „Californication“ Tyler Bates kennengelernt habe (der jetzt offiziell Marilyn-Manson-Gitarrist ist). Er hat mich in sein Studio eingeladen, wo wir sofort den Song „Birds Of Hell Awaiting“ schrieben. Wir haben gar nicht darüber geredet, was wir wie machen wollen – wir haben einfach Stück für Stück alles gemeinsam aufgenommen. Zwei Männer mit einer tiefen inneren Verbindung – auch wenn das irgendwie klingt, als hätten wir einen homosexuellen Porno gemacht. Ich habe ihm völlig vertraut, alles war im Fluss. Hm, das klingt jetzt wiederum, als würde ich mir gleich eine Blume ins Haar stecken … Ich schätze, die Leute nennen es einfach „Jammen“. Ich konnte das früher nie. Vielleicht werde ich jetzt zum Blues-Typen – von der Einstellung her, nicht musikalisch natürlich.
Musikalisch gibt es weiterhin heftige Rockmusik, gepaart mit ebenso finsteren Texten. Wo findest du heutzutage Inspiration?
Zu Beginn meiner Karriere habe ich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um der werden zu können, der ich jetzt bin. Bei den letzten zwei, drei Alben ging ich dem Teufel aus dem Weg, deshalb hat er bei mir angeklopft und mir klargemacht, dass ich ihm noch etwas schulde. Dies ist also meine Rückzahlung – to keep the devil off my ass. Nicht sexuell, sondern spirituell, damit das klar ist. Ich habe mich zu lange selbst verleugnet, das musste ich wieder in den Griff kriegen.
Der Teufel hat angeklopft – wie hat man sich das vorzustellen?
Meine Mutter starb, ausgerechnet am Muttertag. Es war keine Überraschung, und vielleicht war es auch gar nicht der entscheidende Katalysator. Mir wurde einfach bewusst, dass ich nicht mehr dieser aggressive, selbstsichere Draufgänger war wie früher – einer, der nicht aufhört, bis er das Maximum geschafft hat. Für andere mag das immer noch gereicht haben, aber nicht für mich. Ich bin sowieso nie zufrieden mit mir selbst. Vielleicht kommt diese Einstellung daher, dass mein Vater ein Verkäufer war, der mir immer gesagt hat, dass ich nie etwas gut machen würde. Ich wollte es ihm immer zeigen.
Kann man mit Musik überhaupt noch schockieren, wenn es Fernsehserien gibt, die so viel brutaler sind, als Songs es je sein können?
Ganz genau, das ist das Problem. Also bin ich bei diesen Fernsehserien eingestiegen! (lacht) Ich spiele bei „Sons Of Anarchy“ den Kopf der Aryan Brotherhood, im Knast vergewaltige ich einen Typen, ich morde und sage viele schlimme Dinge. Wie kann man das toppen? Übrigens habe ich dem Typen, den ich da vergewaltigen musste, danach ein Gedicht vorgelesen, wie auch dem, den ich umbrachte – das schien mir angemessen, ich bin ja ein Gentleman … Ich wollte niemals bloß schocken. Ich wollte immer Chaos sein, Veränderung. Nicht der Held sein, sondern der, der die Regeln bricht. Als Musiker, als Künstler, als Maler, als was auch immer. Zunächst ging es mir auch gar nicht um die Musik, ich hatte nur diesen Namen: Marilyn Manson. Nachdem ich meine erste Show gebucht hatte, fiel mir erst auf: Fuck, ich brauche ja auch Songs! Mir war vor allem wichtig, die Leute nicht zu langweilen. Aber es ist schwer – meine alte Plattenfirma wollte jahrelang alles verwässern. Es war, als würde man sich einen ganzen Abend lang zurechtmachen, und dann kackt einer auf dein Outfit und sagt: Prima, jetzt kannst du damit rausgehen.
Aber muss man im Film- und Fernsehgeschäft nicht noch viel mehr Kompromisse schließen?
Als Schauspieler bin ich froh, wenn man mir konkrete Anweisungen gibt. Sie sagen mir, was ich anziehen soll, was ich machen soll, was ich sagen soll. Ich muss mich endlich mal um nichts kümmern, nur den Dialog lernen und überlegen, wie ich ihn rüberbringe. Charlie Hunnam, der Hauptdarsteller in „Sons Of Anarchy“, hat mir dafür einen guten Tipp gegeben: „Spiel einfach so, als wärst du verrückt, weißt es aber nicht – wie in echt also.“
Hast du je überlegt, fürs Schauspielern deinen bürgerlichen Namen, Brian Warner, zu benutzen?
Ich habe oft Regisseure oder Produzenten gefragt, ob ich das machen soll – ob es die Figur beschädigt oder von ihr ablenkt. Aber keinen hat es je gestört. Und ich freue mich immer so, wenn bei „Sons Of Anarchy“ der Name Marilyn Manson gezeigt wird. Wie ein Kind.
Du stammst aus Ohio. Empfindest du Los Angeles inzwischen als Heimat?
Ich lebe ja erst seit 2010 dort. Ach Quatsch, seit 1998. Mein Zeitgefühl lässt zu wünschen übrig! Aber ich bin sowieso immer unterwegs. In L.A. mag ich mein Haus, meine anderen Zufluchten und meine Freunde, wie Johnny Depp und Tyler Bates. Physische Besitztümer brauche ich gar nicht, ich könnte auf all den Bullshit verzichten. Bücher, Filme und Bilder sind mir wichtig, als Inspiration. Mehr brauche ich nicht.
Stimmt es, dass du zum Einschlafen immer einen Fernseher laufen hast?
Unbedingt, das brauche ich. Letzte Nacht im Hotel auch, aber da lief nur Mist. Ich brauche das Geräusch. Das war schon in meiner Kindheit so, es liegt also nicht daran, dass ich Tinnitus hätte oder so. Ich höre überraschenderweise noch gut. Musik kann ich zum Einschlafen nicht hören, die beeinflusst meine Träume. Gestern hatte ich einen sehr seltsamen Traum: Ich wurde von einer kahl rasierten Version meiner selbst angegriffen, und ein nackter Mel Gibson war auch dabei. Er trug nur einen G-String und spielte in einem OP-Zimmer Hitler. Muss an Deutschland liegen. Ich brauchte nach dem Aufstehen erst mal einen French Toast, um mich zu erholen.