„Im Geheimdienst ihrer Majestät“: James Bond, ein Mensch wie Du und ich
Der Agent will heiraten, erkennt seine Schwächen und möchte den Job hinschmeissen – so menschlich war James Bond noch nie.
Manche bezeichnen den vorletzten James-Bond-Film, „Skyfall“ von 2012, als vielschichtiges Porträt des Geheimagenten, sie loben Bonds Selbsterkenntnis als alkoholkranker, körperlich angeschlagener Mensch, vor allem als einer, der ein Kindheitstrauma zu bewältigen hat – und in Kauf nimmt, dass sein Elternhaus in Schutt und Asche gelegt wird. Daniel Craig in der Rolle als 007? Keiner war je besser.
Solche biografischen Erweiterungen erscheinen als nötig, sind doch gerade die James-Bond-Episoden am schwächsten, in denen der Secret-Service-Mann am wenigsten von sich preisgibt: Darunter gehören zum Beispiel alle Filme mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle. Dabei waren schon die früheren Bond-Produzenten um Albert „Cubby“ Broccoli darum bemüht, ihrem Agenten Tiefe zu verleihen.
Verliebter Bond
Als im Dezember 1969 „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ in die britischen Kinos kam (1970 lief der Film auch bei uns an), war man vom Ergebnis geradezu geschockt. Erstmals verliebt sich James Bond (George Lazenby). Die erste Hälfte des mit mehr als 140 Minuten bis dato längsten Werks der Reihe, dreht sich um die Liaison mit Teresa „Tracy“ di Vicenzo (Diana Rigg). Wir sehen die zwei Turteltauben beim Schlittschuhfahren, dazu führt Bond melancholische Gespräche mit seinem Schwiegervater in spe.
Die Doppelnull, der wichtigste Mann im Kampf gegen den Schurken Blofeld (Telly Savalas), hängt am Ende gar seinen Job an den Nagel und heiratet seine Contessa. Der Mann wollte zur Ruhe kommen, ein Großteil des Films spielt, ungewöhnlich für den Jet Setter Bond, nur an einem Ort, Piz Gloria in den Schweizer Alpen. Insgesamt wohl zu wenig Action, und eine zu starke Geduldsprobe für seine Fans: Der sechste Bond-Film wurde ein Misserfolg, fiel bei Publikum und Kritik durch.
Dabei bot „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ einen gelungenen Kontrast zum überdrehten, geradezu Pop-artigen Vorgänger „Man lebt nur zweimal“ (1967). Wenig Klimbim-Effekte und Explosionen, und auch Bösewicht Blofeld, zuvor von Donald Pleasence verkörpert, war nun kein unfreiwilliger Komiker und Katzenliebhaber mehr (Mike Meyers sollte ihn später in seiner „Austin Powers“-Reihe als „Dr. Evil“ parodieren), sondern wurde durch Telly Savalas zum nüchternen Psychopathen. Mit Diana Rigg als Teresa hatte Bond zudem erstmals eine Gespielin, die nicht nur wesentlich geheimnisvoller, sondern vor allem intelligenter war als der Geheimagent.
Die eindrucksvollste Personalie war natürlich 007 selbst: George Lazenby trat die Nachfolge von Sean Connery an, der sich schon ab Film Nummer drei, „Goldfinger“ (1964) zum Weitermachen hatte überreden lassen müssen und immer zynischer aufgetreten war. Im Bond-Kanon gilt der lange Australier Lazenby dennoch als Fehlbesetzung. Allein schon, weil er Australier ist und kein Brite.
007, der Schokoriegel
Vielleicht trat der damals 30-Jährige nicht ganz so charmant und weltmännisch auf wie Connery, allerdings hatte er die Jungenhaftigkeit auf seiner Seite, und eine stärkere physische Präsenz. Die Macher waren froh überhaupt jemanden gefunden zu haben, auch nachdem Patrick McGoohan („The Prisoner“) mehrmals für die Hauptrolle abgesagt hatte. Auf Lazenby jedenfalls wurde Produzent Broccoli aufmerksam, als er ihn in einer TV-Werbung für Schokoriegel sah.
„This never happened to the other fellow“ – „Das war dem anderen Kerl nie passiert“ ist einer der markantesten Sätze in der Geschichte des Bond-Franchise. Es war auch einer der ersten Sätze Lazenbys im Film, nachdem er im Prolog – einer des am besten fotografierten der gesamten Serie – zunächst Teresa vom Selbstmord durch Ertrinken abhält und danach einen Killer ausschaltet, nur um zuzusehen, wie die Frau schnurstracks mit dem Auto vom Strand davonbraust.
„Das war dem anderen Kerl nie passiert“ – die Niederlage, die Connery nie zugelassen hätte, macht den neuen Bond nur menschlicher.
Zu dieser Liebesgeschichte, die hier schon ihren problematischen Anfang nimmt, komponierte John Barry seinen wohl schönste Bond-Score („Diamonds Are Forever“ sollte 1971 eine ähnliche, geradezu traumartige Qualität aufweisen). Louis Armstrongs weises „We Have All The Time In The World“, bis heute die Krönung aller Bond-Songs, führt als Motiv durch den Film.
Bond wird den Titel am Ende zitieren, er entpuppt sich dann als die tragische Vorausschau einer unmöglichen Liebe. Später sollte Regisseur Peter R. Hunt zu Protokoll gegeben haben, dass das Hauptdarsteller-Duo nicht wirklich miteinander klar kam. Diana Rigg, durch ihre Rolle in der TV-Serie „The Avengers“ längst ein Star geworden, soll sich über die rüden Manieren des Filmdebütanten Lazenby aufgeregt haben, der Emporkömmling zeigte wohl schon bei den Dreharbeiten erste Allüren.
Eher kurios als wirklich gelungen erschien dagegen der Versuch, mit „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ den Zeitgeist einzufangen. 1969 war eines der aufregendsten Jahre überhaupt, es gab die Mondlandung, in der Kultur regierte die Psychedelia, freie Liebe wurde eine Option, Drogen gab es überall, auch in Vietnam. Das Bond-Filmplakat verkündete, in der Sprache seiner Zeit, „Far Up! Far Out! Far More!“. Blofelds „Engel des Todes“ sollten dieser neuen Freizügigkeit Tribut zollen. Zwölf freundliche Frauen aus der ganzen Welt, die vom Schurken in Trance versetzt und danach helfen sollen Biowaffen rund um den Globus zu verteilen.
Im Film treten die „Engel“ wie Angestellte eines Harems auf, Bond kann hier noch seinen Frühsechziger-Macho-Charme ausspielen. Aus heutiger Sicht könnte man sich vorstellen, wie er die letzte Tür für „Mad Men“ Don Draper aufhält.
Mittlerweile wird „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ positiver beurteilt als zu seiner Premiere 1969, selbst George Lazenby, es sollte bei diesem einen Agenten-Einsatz bleiben, ist rehabilitiert. Damals ließ sich ja nicht erahnen, was nach ihm kommen würde: eine weitere Mission für Sean Connery, noch älter, noch müder; sowie für sieben Filme (1973-1985) Roger Moore. Der führte Bond in den Pop, in noch mehr Frauen und in die Welt der Gimmicks.
Nie wieder würde James Bond vor den Traualtar treten.