Haftbefehl: Die Reime, die Musik, die Wut
Er ist der Rapper der Stunde. Zu Besuch bei Haftbefehl in Offenbach. Das Porträt, in ROLLING STONE 1/2015.
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Haftbefehl: Die Reime, die Musik, die Wut
Gangsta-Rap war ein totes Genre in Deutschland, eine hohle Beschimpfungsmaschine. Seine Protagonisten suchten ihr privates Glück in Villenvierteln und Kleinfamilien. Doch im Untergrund brodelte es weiter. Ein Offenbacher Ex-Dealer stellt nun alles wieder auf die Füße. Die Reime, die Musik, die Wut. Er nennt sich Haftbefehl.
Haftbefehl hat die seiten gewechselt. In jeder Hinsicht. Geografisch: von Offenbach ans gegenüberliegende Mainufer. Ökonomisch: vom eigenen Indielabel, Azzlackz, zur größten Majorfirma, Universal Music. „Wir haben einen sehr guten Deal bekommen“, sagt Aykut Anhan. „Ich wollte mich mehr um meine Musiker kümmern. Darum habe ich die Verwaltung meiner eigenen Musik an die abgegeben.“ Der ehemalige Drop-out und Drogendealer ist jetzt Unternehmer. Sein Künstlername stammt aus den chaotisch-kaputten Jugendjahren. „Haft“ oder „Hafti“, wie Kumpels und kumplige Fans ihn nennen, muss seine Geschichte immer wieder erzählen: Koks, Crack, Gewalt, Jugendhaft, Bahnhofsviertel. Und HipHop als rettende Hand. Ein hessischer Kurde, der sich aus einer verpfuschten Jugend windet. Eine Brennpunktstory der Popkultur, was in Deutschland immer so wirkt, als hätte ein findiger Produktmanager sie sich am Telefon ausgedacht. Anhan grinst. Alles echt. Kein Angebertyp.
Eher entwaffnend offen, mit einem Tick Selbstironie. Haftbefehl, der nachdenkliche Typ. Auf seinem aktuellen Album lässt er in der biografischen Trilogie „1999“ alles Revue passieren. Ein geloopter Kinderchor, ein rollender Rhythmus und eine hochgepitchte Stimme, die mahnend „Oh Junge“ sagt. Dann beginnt die Saga in Schwarz-Weiß, die für ihn mit 14 rund um die „Hermann-Steinhäuser-Straße“ begann. Der Titel einer alternativen Stadtführung durch die Gegend lautet „Ghetto oder Kiez“. Eine Frage der Perspektive, die Haftbefehl in ihren Extremen erfahren hat: „Kanaken stehen Sparkasse Richard-Wagner“, rappt er. Die Tristesse des Normalen. Echte Brüder, echte Adressen, echte Gefühle. Am Ende fällt ein Schuss.
Das vollständige Porträt: