Jahresrückblick 2010. Die Dinge, an die wir uns erinnern: Der Beatles-Apfel
Frisches Obst für junge Sauger! Pünktlich im Jubiläumsjahr wurde das Werk der Beatles zum digitalen Download freigegeben - ein Triumph für Steve Jobs, der sich an sensationellen Downloadzahlen ablesen ließ.
Zugebissen: Seit dem 16. November – nach zähen Verhandlungen zwischen der Musikfirma Apple Corps. und der IT-Firma Apple Inc. – sind die regulären Studioalben sowie weitere Veröffentlichungen der Beatles auf der Plattform iTunes als Download erhältlich. Man sah ein großes Foto der Fab Four auf der Startseite, und die Gedanken kreuzten sich. Erstens: iTunes ist das Symbol für modernen Musikkonsum, für Verfügbarkeit, schnellen Zugriff, aber eben auch für den Verlust von Kontext. Dass die Kunden das Lied kennen, aber nicht das Album, geschweige denn das Gesamtwerk des Künstlers, ist eine Binsenweisheit.
Doch sind die Beatles nun mal kein aktueller Act: Selbst der nachgeborene Hörer wird bei ihnen etwas mehr historisches Interesse mitbringen als zum Beispiel bei Lady Gaga. Gleichzeitig wohnt Apple (der IT-Firma) noch immer der Nimbus des Neuen, Spielerischen und Grenzüberschreitenden inne. Da sind John, Paul, George und Ringo ein schöner Schmuck. Dass der bekennende Fan Steve Jobs um den 16. November ein so übertriebenes Bohei machte, zeigte, dass es hier auch um Selbstvergewisserung und eine Art Beatles-Washing geht: Seht her, wir haben doch Ideale!
Der iTunes-Coup passte gut ins Beatles-Jubeljahr 2010. Gründung vor 50 Jahren, Auflösung vor 40, John Lennons 70. Geburts- und 30. Todestag, alles jährte sich, alles wurde gefeiert, betrauert und bedacht. In Liverpool ehrten Cynthia und Julian Lennon den toten Ex-Mann/Vater mit der Enthüllung einer Friedensskulptur. Der Hamburger Indra-Club beging den 50. Jahrestag des ersten deutschen Beatles-Konzerts im August mit einigen Konzerten der extra gegründeten Tribute-Band Bambi Kino (mit Musikern von Nada Surf und Maplewood). Im benachbarten Beatles-Museum konnte man sich einen Pilzkopf frisieren lassen. Der „Spiegel“ brachte einen langen Text und zeigte auf dem Titel eine Illustration von Klaus Voormann. Und die EMI molk ihre beste Kuh mit diversen Remasters, Remixes und Boxsets des Lennon-Solo-Oeuvres. In mindestens zwei Museen waren seine Kinderkritzeleien zu sehen: Gucken Sie mal! Der war damals schon kreativ.
Weil die Musikwelt aktuell kaum geeignete Künstler hat, die so wirken, als könne man sie nachhaltig verehren, und weil die Beatles eben so viele schöne Lieder haben, taugen sie auch weiterhin zur Dauer-Marketing-Sause. Das Obst scheint jedenfalls noch zu schmecken: In der ersten Woche wurden offenbar zwei Millionen Songs und etwa eine halbe Million Alben heruntergeladen. All you need is love – and iTunes.
Jörn Schlüter