Metapher für Freiheit und ästhetisches Weiterkommen: Kraftwerk veröffentlichen ‚Autobahn‘
Was "Autobahn" so reizvoll macht, ist auch die Auseinandersetzung mit spezifisch deutscher Kultur: Die Zukunft scheint hier schon wieder vergangen, eine sonderbare Wehmut und Romantik klingt an. Vor 40 Jahren veröffentlichten Kraftwerk das Album, das ihnen den Durchbruch bescherte
Der Produzent Conny Plank war überrascht, als ihm ein Journalist des „Record Mirror“ 1975 mitteilte, Kraftwerk hätten in England Platz elf der Single-Charts erreicht: „Ich wusste gar nicht, dass ‚Autobahn‘ als Single veröffentlicht wurde“, stammelte der 1987 verstorbene Großmeister der deutschen Studio-Elektronik damals überrascht. Auch in den USA erreichte der gut dreiminütige Edit des über 22 Minuten langen Albumtracks die Charts. Erstaunlich, denn die Mischung aus melancholischer Minimal-Musik, Kühlschrank-Atmosphäre und Konzeptkunst widersprach allem, was Mitte der Siebziger als Konsens galt. „Wir versuchen, die Geräusche des täglichen Lebens in Musik umzusetzen. „Für ‚Autobahn‘ fuhren wir wochenlang über Autobahnen, nahmen die Fahrtgeräusche auf, und verarbeiteten sie zu Musik“, erklärte Florian Schneider seinerzeit sogar der „Bravo“.
„Autobahn“ war das erste der stilbildenden Konzept-Alben von Kraftwerk. Die vorherigen Platten waren noch mit herkömmlichen Instrumenten eingespielt worden, nun leistete sich die Band einen Mini-Moog-Synthesizer. Noch immer gab es wenig Gesang, aber die experimentelle Musik der Anfangstage war einer völlig neuen, minimalistischen Popmusik gewichen. Bowie, Depeche Mode, Joy Division, Giorgio Moroder – alle haben sie von den Düsseldorfern gelernt, die damals aus Florian Schneider, Ralf Hütter, Wolfgang Flür und Klaus Röder bestanden (letzterer wurde bald von Karl Bartos abgelöst). Was „Autobahn“ so reizvoll macht, ist auch die Auseinandersetzung mit spezifisch deutscher Kultur: Die Zukunft scheint hier schon wieder vergangen, eine sonderbare Wehmut und Romantik klingt an. „Der Krieg hatte die Menschen ihrer Kultur beraubt und ihnen einen amerikanischen Kopf aufgesetzt“, erklärt Ralf Hütter in einem Interview mit der Musikzeitschrift „Creem“. „Wir sind die erste deutsche Gruppe, die für sich selbst eine mitteleuropäische Identität entwirft.“
Derartige Thematisierungen des Deutschtums waren nicht jedermanns Sache – gerade in Verbindung mit der Nazi-Erfindung Autobahn. Doch schon der Titel des nächsten Albums, „Radio-Aktivität“ zeigte, dass Kraftwerk auf intelligente Weise mit Vorurteilen und Erwartungen spielten. Und so ist auch die urdeutsche „Autobahn“ letztlich nichts anderes als eine Metapher für Freiheit und ästhetisches Weiterkommen – Monotonie des Alltags inklusive.