Kampf um die Zukunftsmusik
Die neue Chefin Susan Wojcicki liegt im Clinch mit den Indie-Labels: Wohin steuert YouTube?
Es ist mal wieder Zeit für Halbjahresmeldungen wie diese: „Musikstreaming wächst weiter. Verdopplung von Umsatz und Nutzung“ lautete jüngst eine Mitteilung des Bundesverbandes der Musikindustrie. 57,4 Millionen Euro haben Marktführer Spotify sowie Rdio, Juke, Simfy, Deezer und Co in den ersten sechs Monaten des Jahres an Labels und Künstler ausgeschüttet. Eine satte Steigerung um 91 Prozent. Etwa fünf Milliarden Streams (und somit einzelne Songs) wurden im ersten Halbjahr angehört. 15 verschiedene Dienste stehen aktuell in Deutschland den Musikhörern zur Verfügung. Wobei ökonomisch längst nicht alles rund läuft bei den oftmals mit Venture Capital vorfinanzierten Anbietern. Das deutsche Unternehmen Simfy etwa hat mit dem Umzug von Köln nach Berlin im April 2013 das Team erheblich verkleinert und am Geschäftsmodell herumgeschraubt. Nicht nur die Auguren der Tekkie-Fachpresse rechnen damit, dass letztlich nur große internationale Portale marktrelevant bleiben und somit profitabel betrieben werden können. Auf den Wildwuchs folgt nach den eisernen Regeln des Kapitalismus der Verdrängungswettbewerb mit Übernahmen und/oder Pleiten.
Nun will auch das seit Oktober 2006 zum Google-Imperium gehörende Videoportal YouTube in das mit harten Bandagen geführte Geschäft mit den Audio-Streamings einsteigen. „Music Pass“ soll das neue Baby des Netz-Giganten heißen, mit dem an die Konkurrenz verlorenes Neugeschäft nun zurückgeholt werden soll. Diese Strategie, die vornehmlich mit den drei verbliebenen Majorlabels Universal, Sony und Warner Music ausgehandelt worden ist, hat in den letzten Wochen zu einem erbitterten Streit mit den unabhängigen Musikfirmen geführt.
Diese Vertragsbedingungen seien „ungünstig und nicht verhandelbar“, heißt es etwa in einer Mitteilung des Verbandes Unabhängiger Tonträger (VUT). Diese fühlten sich überrollt und weigerten sich strikt, die neuen YouTube-Lizenzbedingungen für einen werbefreien Streaming-Aboservice zu akzeptieren. Daraufhin sollten die Inhalte dieser „Verweigerer“ binnen weniger Tage auch von der YouTube-Videoplattform verschwinden, drohte der Google-Konzern laut „Financial Times“ noch im Juni. Hauptstreitpunkt: Die mit der Macht eines Quasi-Monopolisten vorgegebenen Bedingungen von besagtem Premium-Streaming-Service. Angeführt vom europäischen Branchenverband Impala wandten sich die Indies deshalb an die Europäische Kommission in Brüssel. „Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia hat bereits betont, wie wichtig die Mitwirkung von Indie-Musikfirmen sei“, sagt Impala-Direktorin Helen Smith. „Wir stehen gerade vor einem entscheidenden Moment für die Entwicklung des Online-Musikmarkts. Doch welche Rahmenbedingungen will Europa diesen Unternehmen geben? Wie möchte Europa seine Künstler und Konsumenten behandelt wissen? Von daher ist es Zeit für eine Rote Karte.“
YouTube schade sich mit so einem Durchmarsch nur selbst, sagte Protestbarde Billy Bragg und stellte die rhetorische Frage, ob Musikfans für ein halbgares Angebot zahlen würden, das ohne Indie-Repertoire an den Start geht. „Ich glaube nicht“, gibt er gleich selbst die Antwort. Laut Ed O’Brien, Gitarrist bei Radiohead und Vizechef der Featured Artists Coalition (FAC), gäbe es dann nur noch ein „Internet der Superstars und Großindustrie“, würde YouTube nach Gutsherrenmanier verfahren und mit seiner „Indie-Sperre“ ernst machen.
Doch dann, Anfang Juli, ruderte YouTube erst einmal zurück. Die Video-Sperre als finales Druckmittel werde vorerst nicht angewendet. Der internationale Proteststurm war der bislang der breiten Öffentlichkeit eher unbekannten Chefin Susan Wojcicki offenbar zu heftig. Erst im Februar 2014 hatte die studierte Harvard-Historikerin den bisherigen CEO Salar Kamangar abgelöst. Das US-Fachblatt „Adweek“ nannte Wojcicki einmal „die wichtigste Frau im Werbegeschäft“ und „die wichtigste Googlerin, von der nie noch jemand gehört hat“. Die Mutter von vier Kindern ist mit Google-Manager Dennis Troper verheiratet, Schwester Anne gehört zum Gründerteam der umstrittenen amerikanischen DNA-Test-Plattform 23andMe („Find out what your DNA says about you and your family“).
Gerade in den USA steht das Geschäftsmodell von YouTube nach Bekanntgabe eines Jahresumsatzes von „nur“ 3,5 Milliarden Dollar unter scharfer Beobachtung der Analysten. Auf die Gretchenfrage „How to make money on YouTube“ antwortete der Branchenmonitor „Watch“: „Die Zahl der Anzeigenkunden, die TrueView-Instream-Formate nutzen, muss stark gesteigert werden und/oder das Budget, das sie bei YouTube lassen, muss nachhaltig steigen, oder eine Menge armer YouTube-Partner werden zum Winter hin eine harte Entscheidung treffen müssen: Bleiben wir Hungerleider-Künstler oder suchen wir uns einen weiteren Brot-Job, der zumindest Kost und Logis abdeckt?“ Einige Wochen später gab es beim Symposium „Video Summit“ in San Francisco bereits eine zentrale Rede unter der Überschrift „Ist YouTubes Geschäftsmodell am Ende?“ Das Branchenblatt „Hollywood Reporter“ begleitete Wojcickis erste Videokonferenz als YouTube-Chefin schnippisch: Sie habe bislang nur wolkige neue Features vorgestellt, die YouTube zwar für TV-Clip-Produzenten attraktiver machen soll – doch wüsste keiner genau, ob diese Minishows wirklich neue Zielgruppen locken. „Genau wie bei iTunes Radio sind die YouTube-Lizenzverträge wirklich nicht schön“, sagt der Ex-VUT-Anwalt Stephan Benn. „Eher respektlos gegenüber Musik und Künstler.“