Mythos Rock, Regie: Dave Grohl
Der Chef der Foo Fighters dreht eine TV-Serie, bereist die wichtigsten Städte der USA und jammt mit Joe Walsh und Lorde
„Der Moment, der wirklich ans Eingemachte geht“, sagt er, „ist immer der letzte Tag der Woche.“ Dave Grohl weilt gerade in New Orleans und ist auf dem Sprung, mit seinen Foo Fighters in ein örtliches Studio zu gehen. Ein neuer Song wird dort live eingespielt und gleichzeitig von einem Kamerateam festgehalten. „Ans Eingemachte“ geht ihm die Situation deshalb, weil er einen Song singen muss, den er erst gestern geschrieben hat. Er ist das Resultat einer einwöchigen Spurensuche in New Orleans und bildet den Höhepunkt einer Episode der achtteiligen HBO-Serie „Sonic Higways“. Die TV-Serie, von Grohl erdacht und als Regisseur umgesetzt, folgt den Foo Fighters auf ihrer Expedition in die Geschichte, Kultur und Besonderheit von acht amerikanischen Musik-Metropolen – darunter Chicago, Nashville, Austin, Seattle und Washington. Jede Episode kulminiert in einem Song, in dem Grohl seine Eindrücke dieser spezifischen Stadt verarbeitet. Die acht Tracks werden auf dem gleichnamigen Foo-Fighters-Album vertreten sein, das zeitgleich zur TV-Serie im Herbst erscheint – gerade noch rechtzeitig zum 20-jährigen Jubiläum der Band.
„Ich schreibe den Text erst am Tag, bevor ich ihn singe“, sagt er mit dem ihm eigenen Enthusiasmus, „manchmal sogar erst am selben Morgen. Es ist gleichzeitig auch so etwas wie eine heilsame Eruption, weil ich vor Ort die Inspirationen geradezu aufsauge.“ In Washington bedeutete das beispielsweise, Lokalitäten aufzusuchen, die er in seiner Jugend als Hardcore-Punk frequentiert hatte. In Nashville sprach er mit Countrysängern über die Wur zeln ihrer Musik in der kirchlichen Tradition, während er in New Orleans R &B-Ikonen wie Allen Toussaint oder Trombone Shorty traf, seine Band gegen die Preservation Hall Jazz Band anspielen ließ und mit ihnen zu alten Foo-Fighter-Hits wie „This Is A Call“ jammte.
„Bei diesen Burschen kommt man ganz schön ins Schleudern“, gesteht Drummer Taylor Hawkins. „Ihr Schlagzeuger Joe Lastie trommelte direkt neben mir und spielte die verrücktesten Sachen. Ich hab nur noch versucht, den Takt zu halten, weil ich gleichzeitig zu kapieren versuchte, was er da überhaupt spielte.“
„Nein, ich hab nicht vor, die Jungs in eine Zydeco-Band zu transformieren“, lacht Grohl, „ich mag meine Foo Fighters so, wie sie sind. Aber wenn dir ein Joe Lastie die Evolution des Rhythmus erklärt oder Cyril Neville den Einfluss des Schaufelrad-Dampfers auf den Rhythmus der Stadt, färbt das unweigerlich auf dich ab.“
Grohl erwähnt eine Bemerkung, die Woody Guthries Tochter Nora im Gespräch mit ihm machte. „Sie meinte, dass Woody letztlich ein Reporter war. Er schrieb auf, was er sah. In ‚Sonic Highways'“, sagt er, „sind wir die Reporter“. (Übrigens wurde auch der Autor dieses Artikels für das Projekt interviewt -Anm. d. Red.)
Die Serie ist die Fortsetzung von Grohls gefeiertem Regiedebüt „Sound City“, mit dem er dem legendären Studio in L. A. ein Denkmal setzte, indem viele Klassiker der Rockgeschichte aufgenommen wurden, darunter Neil Youngs „After The Gold Rush“,“Damn The Torpedoes“ von Tom Petty and the Heartbreakers und nicht zuletzt Nirvanas „Nevermind“.“Was den Leuten an ,Sound City‘ offensichtlich gefiel, war die Menschlichkeit und Bodenständigkeit, die aus den Aufnahmen spricht -die Geschichten, die die Beteiligten dort erzählen. Ich dachte mir: Dann lasst uns doch das Gleiche mit Studios im ganzen Land machen.“
Ursprünglich wollte Grohl sogar weltweit filmen und Studios in Johannesburg und São Paulo besuchen, „was sich dann aber doch als finanziell unrealistisch entpuppte. Außerdem kommen wir nun mal aus Amerika: Wir wären nicht die Band, die wir sind, wenn es nicht diese Städte und ihre Musik geben würde.“
Was Produktionsaufwand und redaktionelle Betreuung betrifft, „so ist dieses Projekt ohnehin schon so aufwendig wie acht ,Sound Cities'“, sagt er. Grohl trägt den größten Teil der Finanzierung selbst, HBO steuert den Rest bei. Grohl erwähnt die zwei Stadion-Gigs, die die Foo Fighters im letzten Winter in Mexiko-Stadt spielten: „Für die Band gab’s dort nichts zu verdienen – das Geld wanderte direkt in die Produktionskosten der Serie.“
Nina Rosenstein, Vice President von HBO, stand bei den Dreharbeiten „praktisch in täglichem Kontakt zu ihm. Man bekommt seinen Enthusiasmus wirklich hautnah mit.“ Der Unterschied zwischen „Sound City“ und „Sonic Highways“ sei seine persönliche Perspektive, mit der er den Handlungsablauf präge. „In der Chicago-Episode geht’s nun mal um die Blues-Szene“, so Rosenstein, „aber dann schlägt er plötzlich einen Haken und spricht mit seinem Neffen darüber, sich Naked Raygun anzusehen“ – eine frühe Punkband aus dem Chicago der 80er-Jahre -, „und plötzlich spürt man, wie bei ihm ein Lämpchen angeht: ,Ja, das ist die Person, die ich bin, die Person, die ich wirklich sein will.'“
Zusammen mit Produzent Butch Vig und den Foos – Hawkins, Bassist Nate Mendel und den Gitarristen Pat Smear und Chris Shiflett – begann Grohl mit der Vorproduktion im vergangenen Jahr. „Es war ein kniffliger Prozess“, sagt er. „Ich studierte die musikalische Geschichte einer Stadt und legte mich auf einen thematischen Schwerpunkt fest. Dann schaute ich mir all die Musik an, die ich im Lauf der letzten Jahre geschrieben habe – und brachte den Schwerpunkt mit der Musik in Einklang.“
All das aber war nur Rohmaterial, da jede Stadt die Musik auf ihre ganz eigene Weise prägte. Grohl holte lokale Größen ins Studio und Experten vor die Kamera, um in jeder Stadt originäre Ideen und Inspirationen zu finden. Hawkins vergleicht den Aufnahmeprozess mit dem „Frisieren eines Autos: Zunächst wird eine super Hi-Fi-Anlage eingebaut, dann kommen geile Felgen drauf. Wir hatten durchaus eine grobe Vorstellung, wie der Song klingen sollte, aber dann kommt Dave und sagt in letzter Minute: ,Lass uns doch einen Go-Go-Beat in den Mittelteil einbauen‘, damit die Nummer noch etwas fetziger wird.“
„Das Album wird zwar nur acht Songs umfassen“, so Grohl, „aber trotzdem eins unserer längsten sein, weil ein paar epische Jams dabei sind. Wenn man mit Joe Walsh raus in die Wüste fährt“ – er spielt auf eine Session im kalifornischen Joshua Tree an -, „dann wird dabei keine dreiminütige Pop-Single rausspringen. Es ist schon ein bisschen abgehobener.“
An einem Tag der Dreharbeiten machte Grohl allerdings blau, um sich noch einmal hinters Schlagzeug zu setzen und mit Smear und Bassist Krist Novoselic ein paar Nirvana-Songs zum Besten zu geben. Der Anlass war die Aufnahme in die „Rock and Roll Hall of Fame“ im April, bei der Cobain am Mikro durch vier verschiedene Frauen ersetzt wurde: Joan Jett, Kim Gordon, St. Vincent und Lorde. Es war eine beeindruckende Performance, eine der besten in der Geschichte der „Hall of Fame“ – und gleichzeitig eine gelungene Demonstration, wie man der Vergangenheit Respekt erweist, indem man ihr einen neuen Rahmen gibt. In dieser Beziehung, so Grohl, sei seine TV-Serie tatsächlich aus dem gleichen Holz geschnitzt. „Man kann die ständige Evolution gar nicht genug betonen“, sagt er. „Es ist natürlich einfach und durchaus auch angenehm, sich zurückzulehnen und Legenden zuzuhören, die schon seit Jahrzehnten immer die gleichen Sachen spielen. Was den Rock’n’Roll aber nach wie vor aufregend macht, ist die Neugier, mit der man um die nächste Ecke zu schauen versucht. Lorde mag vielleicht schon ein Superstar sein, aber, Mann: Diese Frau hat’s wirklich drauf! Ich hatte gerade mal Zeit, zwei Worte mit ihr zu wechseln. Sie kam von irgendwoher eingeflogen, probte den Song einmal mit uns und ging auf die Bühne. Es war fast schon wie bei Nirvana“, sagt er lachend: „Kurz proben, nicht viel reden – und ab dafür!“ Kaum sind sie von ihrer Rundreise zurück, werden die Foo Fighters schon bald wieder auf brechen, um das Resultat zu promoten und das gleichnamige Album auf die Bühne zu bringen. „Wir vermissen das Spielen“, sagt er mit kaum verhohlener Ungeduld. „Der gestrige Abend in der Preservation Hall fühlte sich einfach so gut an. Die Vorstellung, gerade Amerika bereist zu haben, um nun gleich wieder auf Tour zu gehen, mag für Außenstehende vielleicht unverständlich sein, aber ich bin Feuer und Flamme.“
Grohl ist sogar schon so weit, sein nächstes Projekt aus dem Zylinder zu ziehen: „Ich hab eine verrückte Idee, die bislang noch niemand umgesetzt hat“, schwärmt er. „Ich hatte die Erleuchtung vor etwa sechs Wochen – und alle sagten nur: ,Alter, nun mach mal halblang. Erst mal müssen wir dieses Projekt über die Runden bringen.‘ Ok, ich kann mich zwar wirklich nur vor jedem Musiker verneigen, der sich vor ein Mikro stellt und ,Aufnahme‘ drückt. Aber an diesem Punkt in meinem Leben reicht mir selbst das einfach nicht mehr. Es ist an der Zeit, nach Alternativen zu suchen.“