Filmstart der Woche: „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ von Oskar Röhler
Tobias Moretti als Schauspieler Ferdinand Marian und Moritz Bleibtreu als "mephistophelischer Hinkefuß" Josef Goebbels unter der Regie von Oskar Röhler. Oliver Hüttmann ist nicht wirklich überzeugt. Kritik und Trailer.
Ob das Gift des Antisemitismus, der manipulierende, menschenverachtende Ton des Originals auch heute die Massen erreichen würde, kann man zwar bezweifeln. Veit Harlans Machwerk von 1940 ist nach filmischen Kriterien aber zu perfekt um es dem Vergessen überantworten zu können. Er ist der große Propagandafilm geworden, wie Joseph Goebbels ihn gewünscht hatte, ein nachhaltiges Dokument der nationalsozialistischen Rassenideologie. Die Beteiligten standen deshalb nach dem Krieg vor Gericht. Und natürlich wollte es keiner gewesen sein. Über die Verstrickungen gibt es viele Aussagen und Meinungen, eindeutig geklärt ist wenig.
So bleibt auch Roehlers Spielfilm über die Entstehung des Films eine Interpretation. Der Regisseur stützt sich recht lose auf Friedrich Knillis Biografie „Ich war Jud Süß“ über den Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti). Der Frauenschwarm ist bestürzt, als ihn Goebbels (Moritz Bleibtreu) für die Hauptrolle auswählt. Seine Frau Anna (Martina Gedeck) versteckt im Gartenhäuschen einen jüdischen Kollegen, der vom SS-Freund (Robert Stadlober) ihrer Dienstmagd verhaftet wird. Marian versucht der Titelfigur sympathischere Züge zu verleihen, als Harlan (Justus von Dohnányi) es vorgesehen hat, doch Goebbels ist begeistert. Trotz oder wegen des Erfolgs wird Marian zum Trinker und rast 1946 mit seinem Auto gegen einen Baum.
Von Marians anfänglichem Ehebruch bis zu seinem Tod hat Roehler ein Melodram nach allen Regeln des Genres inszeniert. Politische Haltung, Aufklärung gar interessiert ihn nicht. Statt dessen menschelt, emotionalisiert, dramatisiert er wie im Schmierentheater. Sex ist wie stets bei ihm die Triebfeder der Handlung. Einer Schlüsselszene aus „Jud Süß“ nachgestellt, vögelt Marian wie im Delirium eine Bewunderin (Gudrun Landgrebe) und fällt beim eifersüchtigen Goebbels in Ungnade. Der Freudsche Kunstgriff wirkt eher lächerlich als bedrückend.
Unnötig fiktiv spitzt Roehler zudem die bedrohliche Lage für Marian zu, indem er Anna auf Goebbels‘ Befehl ins KZ bringen lässt. Auch Bleibtreu, den Roehler als „perfekten Imitator“ preist, übertreibt. Grinsend zeigt er nur ein Gesicht, gibt den mephistophelischen Hinkefuß, wie man ihn aus der Wochenschau kennt, und verbreitet mit Bombenstimmung die Aura eines reichen Onkels, von dem alle abhängig sind – und der einzig an allem Schuld ist.
Oliver Hüttmann