Rock am Ring: Ein Fan brennt! Der Sonntag.
Selbst das gewohnte Rock am Ring-Wetter (Regen) konnte die Jungens von Rammstein nicht davon abhalten, mit ihren Zisselmännern und anderen Feuerwerksknallern zu hantieren. Wie immer eindrucksvoll - wenn auch alles andere als neu.
Die Deutschen mögen ihr Futtern wie bei Muttern. Wenn man weiß, was es auf den Teller gibt. Vielleicht kann man so erklären, warum Rammstein die großen Abräumer des letzten Rock am Ring-Tages waren. Was nun auch wirklich niemanden mehr wundert. Man weiß bei ihnen schließlich, was man bekommt – vor allem, weil man es mit kleinen Variationen und gelegentlich neuen Liedern seit Jahren serviert bekommt. Nur eben in anderen Dimensionen. Mit mehr Feuer, größeren Bühnenbauten, leicht variierenden Showeinlagen. Aber im Kern sieht man immer noch das, was sie Ende der Neunziger auch schon auf kleineren Shows durchexzerziert haben – so zum Beispiel in Nortrup im Fiz Oblon, wo sie der Autor dieser Zeilen mal vor rund zweihundert Zuschauern sehen konnten. Aber der Reihe nach…
Hatte man es zuvor als Elektro- und Indiefreund eher schwer, am Nürburgring auf Langstrecke auf seine Kosten zu kommen, stand die Clubstage am Sonntag ganz im Zeichen dieser Schubladen. Mit gemischten Ergebnissen. Die wunderbaren Absynthe Minded aus Belgien gingen am frühen Nachmittag ein wenig unter bzw. wurden von der Laufkundschaft leider verschmäht. WhoMadeWho wiederum kamen nicht nur ein wenig früher auf die Bühne, weil sie länger spielen wollten, sie schafften es auch wieder – vor allem mit dem Material ihres letzten Albums „The Plot“ – jeder Vorbeilaufenden ins Tanzboot zu holen. Die Crystal Castles wiederum wissen immer noch nix besseres, als auf der Bühne Nintendokonsolen zu vergewaltigen (zumindest klingt es so) und Sängerin Alice Glass an die Bühnenfront zu schicken, wo sie sich schreiend und auf dem Boden rollend verausgabt.
Passend zum zweiten Weltuntergang konnte man dann eine der schönsten Szenen vor dieser Bühne erleben. Delphic aus Manchester spielen „Red Lights“, Sänger James Cook steht am Bühnenrand und schaut während eines Instrumentalparts versonnen in den Wasserfall, der von der Bühnendecke rauscht – und ein paar hundert Menschen stehen unbeirrt auf dem Asphalt vor der Clubstage, recken die Zeigefinger in die Luft und tanzen im Schein der roten Lichter: „I wouldn’t stop the red ligths…“ Da fühlte man sich als Rock am Ring-Besucher endlich wieder im richtigen Film: Ein komplett sonniges Festival wäre auch einfach zuviel des Guten gewesen.
Auf der Alternastage lohnte ein nachmittäglicher Besuch bei den alten Herren von Bad Religion, die im Rahmen ihres 30. Jubiläums beim Ring verkündeten, es könne eventuell sein, dass man sie zum letzten Mal dort spielen sähe. Man wusste dabei nicht wirklich, wie man zu ihnen sollte. „This Is Just A Punkrock Song“, „Infected“ und „21st Century Digital Boy“ bleiben tolle Songs, aber die Herren Graffin und Gurewitz sind, nun ja, wirklich ziemlich ins Alter gekommen – was sich leider auch in der musikalischen Qualität niederschlug. Alte Herren in Gut gab’s zum Ausklang mit den Them Crooked Vultures, auf deren Konzerten es fast egal zu sein scheint, wie denn jetzt die Lieder heißen, weil man doch immer nur auf den Moment wartet, in dem Josh Homme, Dave Grohl und John Paul Jones gemeinsam ins Jammen geraten und sich in Laune spielen.
Bevor am späteren Abend bekanntlich Rammstein als Headliner auf der Hauptbühne das Licht ausmachen durfte, bzw. das Ding in die Luft jagen durften, zeigten Rise Against noch mal all jenen, die die Band aus Chicago noch nicht auf dem Schirm hatten, wie groß sie in den letzten Jahren geworden sind. Ihre Mixtur aus Punk- und Hardcore, die auf ihrem letzten Album „Appeal To Reason“ mit einer Prise Mainstream-Alternative versetzt wurde, wurde an diesem regnerischen Abend vergleichsweise rau rausgehauen von Tim McIlrath und seinen Kollegen. Dennoch blieb der bewegendste Moment ein akustischer: „Hero Of War“, eine Ballade, die das moralische Dilemma eine Iraksoldaten sehr genau auf den Punkt bringt, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu schwenken.
Mit dem moralischen Zeigefinger kommt man denn bei Rammstein natürlich auch nicht weit. Diese zu verdrehen und zu brechen, ist ja gerade deren Auftrag. Wer ihnen also die demonstrative Deutschtümelei vorwirft, der kriegt schon in den ersten Sekunden ihrer Show eine bühnengroße Deutschlandfahne ins Gesicht gehalten, die dann im Funkenregen der ersten Knallkörpersalve zu Boden fällt. Dazu erdröhnt das „Rammlied“ und Till Lindemann präsentiert sein neuestes Schockspielzeug: Eine Lampenkonstruktion, die seinen Mund von innen leuchten lässt, was in Verbindung mit dem roten Federkragen und der vom Joker geborgten Gesichtsbemalung in Nahaufnahme wirklich Alpträume verursachen kann. Eine ebenso eindrucksvolle Einlage war die Fanverbrennung beim Song „Benzi“. Die man ihnen anscheinend tatsächlich zutrauen würde. Denn als völlig unbehelligt ein Mann im Kapuzenpulli den Hochsichterheitstrakt der Hauptbühne erklimmt, dem Publikum zujubelt, zwischen der Band auf und abspringt, dann von Lindemann angezündet und von der Bühne gekickt wird, fragte wirklich Jemand: „Das ist gefaked, oder?“
Bei einer Befragung des Rock am Ring-Volkes würde heute morgen natürlich jeder sagen, Rammstein hätten den Auftritt des Wochenendes hingelegt – und in Sachen Produktion, Aufwand und „Special Effects“ haben sie das natürlich. Auch musikalisch muss man sagen, dass sie das, was sie da machen, sehr souverän machen. Dennoch: Oft läuft einem ein unangenehmer Schauer über den Rücken, wenn zum Beispiel bei „Waidmanns Heil“ Lindemann das „Waidmanns“ vorgibt, und alle Mann ein lautes „Heil!“ brüllen. Vermutlich ist der gesundeste Weg, Rammstein einfach von Anfang bis Ende als großes Theater anzusehen. Dazu passte auch der Abschied vor dem Zugabenteil, wo sich die gesamte, verkleidete Band gemeinsam tief vor dem Publikum verneigt und Till Lindemann mit sanfter Stimme sagt: „Das waren Rammstein. Vielen Dank.“
Aber am Ende bleibt es dabei: Wer Rammstein zum Beispiel 1996 auf Clubtour gesehen hat, der fand nichts wirklich Neues in ihrem Schaffen, außer dass sie ihre Effekte – die schon damals mit weniger Budget recht ausgefeilt waren – nun immer größer, greller, lauter und feuriger werden. Aber ansonsten: Futtern wie bei Muttern eben. Mächtig, ein wenig breiig, aber gut.