Der Universalgelehrte des Rock’n’Roll: Zum 70. Geburtstag des fabelhaften Elvis Costello
Seine furiosen, eloquenten Stücke etablierten einen einzigartigen Ton aus Vitriol und Verletzung, kanalisierter Wut und vertierter Romantik. Nicht schlecht für einen bebrillten Außenseiter aus Paddington.
Die Karriere des Declan Patrick Aloysius MacManus ist die Vergeltung des begabten Außenseiters und Plattensammlers an den Burschen, die den Rock‘n‘Roll gepachtet hatten und ihn nicht mitspielen lassen wollten. Als Sohn des Sängers und Trompeters Ross McManus, der mit dem in den 50er- und 60er-Jahren in England beliebten Joe Loss Orchestra auftrat, wurde er am 25. August 1954 in London geboren. Als Kind hörte und studierte Declan die Alben seiner Eltern: Frank Sinatra und Wes Montgomery, Tony Bennett und Dean Martin, Hoagy Carmichael und Ella Fitzgerald, Hank Williams und Jim Reeves, Jazz-, Vaudeville- und Schlager-Platten. Dann entdeckte er die Beatles und die amerikanische Soul-Musik; mit 16 schrieb er die ersten Songs. Vielleicht würden wir ihn heute nicht kennen, wenn er weiterhin epigonale Folk-Songs mit den Bands Flip City und Rusty gespielt hätte. Die einzige bekannte Arbeit, die Declan ausübte, war das Stanzen von Lochkarten.
Als 1977 der Punk losbrach, war der bis dahin erfolglose Songschreiber zur Stelle. Jake Riviera nahm ihn für Stiff Records unter Vertrag, nach seiner Urgroßmutter väterlicherseits nannte er sich Costello und Elvis nach Elvis Presley, und mangels Band nahm er sein Debüt-Album „My Aim Is True“ mit den amerikanischen Musikern von Clover auf, die später als The News mit Huey Lewis reüssierten. Costello war in Bildung, Musikalität und Geschmack kein Punk, gab sich aber schnodderig und spielte einen geschwinden Rock’n’Roll, der bald „New Wave“ genannt wurde, sich aber eher dem Pub-Rock von Brinsley Schwarz, Nick Lowe und Dave Edmunds verdankte.
„Watching The Detectives“ setzte Costello auch in den USA auf die Agenda, wo er 1978 zum Star wurde, eine lange Tournee mit den Attractions, seiner neuen Begleitband, unternahm und im Suff schwarze Musiker beleidigte, obwohl er deren Musik liebte. Derart entfesselt, legte er ein Jahr später „Armed Forces“ vor, sein „Abba-Album“. 1980 erschien „Get Happy!!“, eine atemlose Hommage an den Soul von Motown, Stax und Volt; „Almost Blue“ war dann ein Country-Pastiche, produziert vom Countrypolitan-Erfinder Billy Sherrill; „Imperial Bedroom“ (1982) belehnte die Beatles und wurde von deren Toningenieur Geoff Emerick eingerichtet.
Von „Schuld und Rache“ sei er getrieben gewesen, sagte er später, und der frühe Ruhm (und, you name it, der Alkohol und die Drogen) hätten ihn zu einem Ekel gemacht. Seine Ehe war zerbrochen, bei den Attractions gerierte er sich als Despot, wie der auch nicht eben sympathische Bassist Bruce Thomas später in einem Buch ausführte. Nach dem perfekten, von Alan Winstanley und Clive Langer produzierten Pop von „Punch The Clock“ und „Goodbye Cruel World“ (Platten, die Costello bald nicht mehr mochte) erscheinen 1986 „King Of America“, das zum Teil mit den Musikern von Elvis Presley aufgenommen wurde, und das schroffe Songwriter-Album „Blood And Chocolate“.
Damit hatte er einen Platz im Pantheon der Rockmusik reserviert. Wer wissen wolle, wie die 80er-Jahre waren, der müsse nur die Platten von Elvis Costello hören, schrieb der Filmkritiker Michael Althen, was freilich nur die halbe Wahrheit ist – aber diese eklektischen, furiosen, eloquenten Songs etablierten einen einzigartigen Ton aus Vitriol und Verletzung, kanalisierter Wut und vertierter Romantik.
Von der eigenen Bedeutung berauscht, wechselte er von Demon Records zu Warner Bros. und nahm im Lauf von zwei Jahren in England, Irland und den USA „Spike“ auf, zwei Songs schrieb er mit Paul McCartney, zwei weitere erschienen auf McCartneys „Flowers In The Dirt“. Vom wilden Anverwandler war Costello zum prätentiösen Schlauberger geworden, der sich ironisch „The Beloved Entertainer“ nannte. 1993 nahm er mit dem Brodsky Quartet den romantischen Songreigen „The Juliet Letters“ auf und schrieb mit seiner zweiten Frau Cait O’Riordan die Songs für ein Album von Wendy James, dann kehrte er mit „Brutal Youth“ (1994) noch einmal zu dem raubauzigen Sound der Attractions (und nach London) zurück. Nach „All This Useless Beauty“ (1996) endete die Kooperation mit den Attraction ebenso wie mit Warner.
Sein Renommee und sein Verhandlungsgeschick brachten Costello einen angeblich sagenhaft dotierten Vertrag mit Universal, auf deren diversen Labels er changierend seine Alben veröffentlichen konnte. 1998 erschienen Songs, die er mit Burt Bacharach geschrieben hat, auf „Painted From Memory“; 2001 produzierte er das Album „For The Stars“ für die schwedische Sopranistin Anne-Sofie von Otter, für das er die Lieder (Stücke von Brian Wilson, Tom Waits und Andersson/Ulvaeus neben, natürlich, eigenen Kompositionen) ausgewählt hatte.
2003 brachte Costello das Crooner-Album „North“ mit Liebesliedern heraus: Nach dem Ende seiner Ehe mit Cait O’Riordan hatte er sich in Diana Krall verliebt, mit der er heute verheiratet ist; sie leben mit ihren Kindern in Vancouver. Ein Jahr später erschienen „The Delivery Man“, eine vom amerikanischen Süden inspirierte Platte, und die orchestrale Ballettmusik „Il Sogno“. Die frühen Alben (auch der Warner-Jahre) legte Costello vielgestaltig, mit zusätzlichen Songs und umfangreichen Essays wieder auf – der Archivar und Enzyklopädist hat natürlich alles gesammelt und in der Erinnerung bewahrt. In New Orleans arbeitete er – nach dem verheerenden Hurrikan – mit Allen Toussaint an „The River In Reverse“ (2006), für das die beiden einige Songs schrieben. Unzufrieden mit der Rezeption und den Verkäufen seiner Werke, veröffentlichte Costello das lärmige „Momofuku“ 2008 zunächst auf Vinyl (dann aber doch auf CD).
Elvis Costellos Spätwerk hat man sich wahrscheinlich als erratisch vorzustellen
Cameo-Auftritte in Kinofilmen und Fernsehserien, auch eine Talk- und Musikshow in den USA und seine Version von Charles Aznavours „She“ für den Film „Notting Hill“ (1999) brachten Elvis Costello beständige Präsenz. Umtriebig unternahm er 2011 eine große Tournee mit dem „Spinning Wheel“, bei dem das Publikum an einem Glücksrad drehen und so die Songs bestimmen durfte – allerdings wurden die Teilnehmer dann in einem Tanzkäfig ausgestellt.
Neben Konzerten mit den Imposters (die Attractions-Musiker Steve Nieve und Pete Thomas sowie Bassist Davey Faragher) tritt Costello auch allein auf – an solchen Abenden unterzieht er sein Werk einer radikalen, atemnehmenden Remedur. Nachdem er zuletzt die Platte „Wise Up Ghost“ mit den Roots (und einigen Umarbeitungen alter Stücke) aufgenommen hatte, stand ein Projekt mit T Bone Burnett und Marcus Mumford bevor: Als The New Basement Tapes hatten sie Songtexte von Bob Dylan aus der Zeit mit The Band zu Liedern verarbeitet. Elvis Costellos Spätwerk hat man sich wahrscheinlich als erratisch vorzustellen.
Für einen bebrillten Außenseiter aus Paddington, der mit nasaler, brechender Stimme vorlaut seine Songs singt, ist Declan MacManus verdammt weit gekommen. Couldn’t call it unexpected.