Be! Here! Now!
Eine Erinnerung an jene Tage, in denen Oasis dem ultimativen Postulat des Pop wieder Geltung verschafften.
Mein dritter Oasis-Gig war die Offenbarung. Im Frühjahr 1996 hatte sich halb Manchester ins Stadion an der Maine Road gepfercht, Heimstatt von ManCity, des Clubs, dem die Gallaghers die Stange halten. Ein Ort unzähliger Niederlagen und Demütigungen, eine Arena der Underdogs. Nur wenige Meilen, aber Welten entfernt vom „Theatre of Dreams“, wie die erfolgsverwöhnten Fans von ManUnited ihre Spielstätte nicht von ungefähr nennen.
Und nun saßen die hier so oft geprügelten City-Kicker als geladene Gäste auf der Ehrentribüne, von Noel mit warmen Worten und einer Verbeugung begrüßt. Im Publikum wischten sich großmäulige Lads verstohlen Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln. Keine Buhrufe oder sonstige Missfallenskundgebungen trübten die andächtige Stimmung. Wer es mit den Red Devils hielt, die Mehrheit wohl, hielt sich wohlweislich zurück. Anwesende ManU-Stars hatten sich ihre Tickets selbst besorgen müssen, eine symbolische Strafe eigentlich nur, für Oasis jedoch ein befriedigender Akt ausgleichender Gerechtigkeit.
Okay, City stieg trotzdem ab und United wurde Meister, doch für ein paar Tage, Vorfreude und Nachfeiern mitgerechnet, addierte sich das Homecoming dieser Band für alle, die dabei waren, zu einem Triumph. Der Auftritt selbst geriet dabei fast zur Nebensache. „We’re more than a band“, hatte Noel in jedes Mikro geprahlt, das ihm hingehalten wurde. Ein Funke Wahrheit bloß, doch hier sprang er über, zündete. Oasis stand für Selbstbehauptung. Von Oasis lernen hieß siegen lernen, den Verhältnissen in die verhasste Fratze spucken.Manchester, so much to answer for? Die gebührende Antwort gab ein Chor aus zigtausend Kehlen: „We‘ re gonna live forever.“
Mein zweites Treffen mit Noel begann mit einem Affront. „Aah“, begrüßte er mich maliziös lächelnd, „Mr. Rollin‘ Fookin‘ Stone“. Ein Mann mit bemerkenswert gutem Gedächtnis, sonst hätte er die kleine Begebenheit längst vergessen, die Anlass war für seinen verächtlichen Ton. Wir hatten uns im Gedränge einer Aftershow-Party unterhalten, ich hatte gefragt, warum Oasis von allen Beatles-Songs ausgerechnet „I Am The Walrus“ performierten, er hatte wissen wollen, warum ich „ausgerechnet“ sagte- und ich hatte wahrheitsgemäß geantwortet: „Because it’s crap.“
Im nächsten Moment machte er Anstalten, mir an die Gurgel zu gehen, und es war wohl nur dem beschwichtigenden Eingreifen Umstehender zu verdanken, dass ich keine Würgemale davontrug. Alan McGee erklärte den Ausraster später mit diversen „pints of lager“ in Verbindung mit verletztem Stolz und ohnehin sehr kurzer Lunte. Eine Streitlust, die ich schätzen lernen sollte, dankenswerterweise in verbaler Form. Noel, bless his heart, verstand es wie kein zweiter, in Interviews zu großer Form aufzulaufen, Liebe und Hass zu ventilieren, vor allem Letzteres ohne Rücksicht auf Verluste. Never a dull moment.
Amerika war in den Anfangsjahren eines der Reizwörter, die Noel zuverlässig in höchst zitablen Rundumschlägen delirieren ließ. Die Beach Boys! „They’re fookin‘ useless“, verfügte Noel und erzählte feixend, wie sie Beach Boys-Fan McGee weismachten, sie seien große Bewunderer der kalifornischen Kapelle, nur um den Creation-Deal zu kriegen. „Wir logen ihm die Hucke voll“, freute er sich, „but he fookin‘ asked for it.“
Mein erster Vorstoß, dieses Ding namens Britpop im Allgemeinen und Oasis im Besonderen gefälligst ernster zu nehmen und entsprechend ausführlich darüber zu berichten, stieß in der Redaktion des Rolling Stone, damals noch in Hamburg beheimatet, nicht auf ungeteilte Begeisterung. Man müsse doch nicht „jedem Hype von der Insel“ hinterherhecheln, nicht alles „hochjubeln“, was der ‚NME‘ auf das Cover hieve.
Im übrigen, so wusste ein erfahrener Redakteur zu berichten, hätten die Small Faces das vor Jahrzehnten bereits viel besser gemacht. Man einigte sich dann doch auf den Beitrag. Thanks a lot. Und thanks a million an die Adresse von Oasis, die für eine wunderbar lange Weile aufregend waren, auch musikalisch, die herrlich polarisierten und dem ultimativen Postulat des Pop wieder Geltung verschafften: Be! Here! Now!
Wolfgang Doebeling