Die doppelte Freude
Will Sheff, ideenreicher Songpoet der amerikanischen Band Okkervil River, hatte plötzlich zu viele Songs für eine neue Platte. Und ein Problem: Er hasst Doppelalben.
Wie die allermeisten Menschen, die in ihrem Leben schon zu viel durchs Internet und die Welt gereist sind oder zu viel Zeit vorm Fernseher verbracht haben, ist Will Sheff irgendwo unterwegs seine Konzentrationsfähigkeit abhanden gekommen. Darum findet der 32-jährige Chef von Okkervil River, dass Popalben (wie TV-Serienfolgen) nicht länger als 45 Minuten dauern sollten. Und selbstverständlich graut es diesem Mann vor Doppelalben.
„Es wird ein ziemliches Theater um Doppelalben veranstaltet, und viele meiner Lieblingsbands haben ja auch welche veröffentlicht“, sagt er, „aber vorne bis hinten höre ich die eigentlich nie an. Höchstens vielleicht ‚Exile On Main Street‘. Sogar das Weiße Album würde ich nicht in einem Rutsch durchhören. Wer macht denn auch sowas?“
Dennoch fühlte sich Will Sheff 2007 fast genötigt, mit seiner Band ein Doppelalbum zu veröffentlichen. „Ich hatte angefangen, Songs zu schreiben- Songs, die alle irgendwie etwas miteinander zu tun hatten. Und wenn du sowas machst, denkst du nie: Oh, 15 Songs, das reicht jetzt, sondern du schreibst einfach weiter. Und als ich fertig war, stellte die Band fest, dass die Songs, die wir wirklich mochten, bestenfalls auf ein Doppelalbum gepasst hätten.“
Statt ein für Menschen mit Aufmerksamkeitsdefiziten viel zu langes Doppelalbum abzuliefern, hat der Chef von Okkervil River lieber zwei knackige Alben hinter einander veröffentlicht. Mit Teil eins, „The Stage Names“, erfreute er uns schon vor einem Jahr, nun ist „The Stand Ins“ dran. „Wer unbedingt will, kann sich jetzt die Okkervil River-Überdosis geben und das Ding auf einmal durchhören“, erlaubt Sheff.
Bereits dem Album „The Black Sheep Boy“ (2004) hatte die Band aus Austin/Texas mit der EP „The Black Sheep Boy Appendix“ einen Nachklapp beschert. Doch „The Stand Ins“ ist mehr als nur ein Anhängsel: „Die Platte ist tatsächlich eine Fortsetzung in dem Sinne, dass sie direkt an einige Songs des vorhergehenden Albums anknüpft. Man trifft die gleichen Typen, erkennt die gleichen Situationen wieder.“
Zum Beispiel macht „Starry Stairs“ da weiter, wo „Savannah Smiles“ aufhörte, erzählt einen anderen Teil der Geschichte des toten Pornostars aus anderer Perspektive. Im mit Heimweh vollgesogenen „Lost Coastlines“ hallt dagegen das Thema nach, das in „A Girl In Port“ angelegt wurde.
Doch weil Sheff nur Konzeptalben noch alberner als Doppelalben findet, wehrt sich der Indie-rock-Poet dagegen, dass diese beiden Platten einem durchlaufenden Thema folgen, dass nämlich „The Stage Names“ und „The Stand Ins“ beide das Thema Entertainment ergründen. „Wenn ich an einem Song arbeite, versuche ich nicht, dass das spätere Album von X und das danach von Y handelt. Wenn ich so etwas versuchen würde, würde ich all das Mysteriöse und Unberechenbare, das dem künstlerischen Schaffensprozess innewohnt, leugnen.“
Nicht leugnen lässt sich immerhin, dass alle Songs auf „The Stand Ins“ von den Siegern und Verlierern des Showbiz erzählen. Mal, indem Sheff in „Bruce Wayne Campbell Interviewed On The Roof Of The Chelsea Hotel, 1979“ die wahre Geschichte eines Glamrockers erzählt, der unterging, nachdem er sich als schwul geoutet hatte („Das ist das Worst-Case-Szenario eines jeden Künstlers: Dass du draußen alles gibst und am Ende doch arm und vergessen stirbst“). Mal, indem er die Geschichte seiner Band in „Lost Coastlines“ zum Seefahrermärchen umdichtet. Mal, indem er seine Hörer in „Pop Lie“ vor den Lügen des Pop warnt, um sie gleichzeitig mit hübschen Melodien einzulullen.
Die Songs spielen auf Bühnen und Backstage. Oder auch in Hotelzimmern. In so einem hat Will Sheff fürs Booklet auch einen TV-Bildschirm fotografiert, der einen gewissen Mr. Okkervil River willkommen heißt. Sheff beharrt darauf, dass er nicht dieser Okkervil River ist, obwohl der Verdacht nahe liegt, da er alle Songs schreibt und seine Begleitmusiker in den vergangenen zehn Jahren oft gewechselt haben. „Doch Okkervil River hat sich schon immer wie eine Band angefühlt“, sagt er. „Es gab zwar ab und zu Probleme mit Mitgliedern in der Band – anfangs, weil wir immer pleite waren, später dann, weil Mitglieder beschlossen, Familien zu gründen – und das nicht mit den Anforderungen des Musikgeschäfts vereinbaren konnten. Trotzdem hat sich Okkervil River nie nach hired guns angefühlt“, behauptet Sheff.
Ein bisschen ist ihm nach den beiden Alben aber die Puste ausgegangen. So schnell will er erst mal mit Okkervil River keine neue Platte mehr aufnehmen. „Aber ich schaue nach vorne: The next thing is gonna be the best thing!“ Fortsetzung folgt.
Gunther Reinhardt