Was man auflegen sollte, wenn Karo den Raum verlässt oder Wie es klingt, wenn sich Amerikaner Bärte wachsen lassen
Ich geh dann mal eine Runde Kettenkarussel fahren und zieh mir dazu eine Zuckerwatte durch's Gesicht. Womöglich zur Musik von John Barry oder Jürgen Drews.
Folge 53
When in Rome … besuche ich gerne den „Profondo Rosso“-Laden, in der Via dei Gracchi, der im Wesentlichen dem Schaffen des italienischen Horror-Regisseurs Dario Argento huldigt, Halloween-Quatsch verkauft und im Keller ein winziges Museum mit Spezialeffekten aus einigen Argento-Werken beherbergt. Der Laden wird geführt von Argentos ehemaligem Regie-Assistent Luigi Cozzi, einem charmanten Römer, der selbst einige Granaten der Filmgeschichte auf dem Kerbholz hat. Erwähnt sei an dieser Stelle sein toller Giallo „L’assassino è costretto ad uccidere ancora“ (zu deutsch etwa: Der Mörder ist fest entschlossen, erneut zu töten“); weniger gut ist „Astaron – die Brut des Schreckens“. Als ich Cozzi im Laden eine DVD des erstgenannten Films abkaufte, murmelte er nur mit starkem italienischen Akzent: „Unfortunately it’s only in Italian. But when the actors talk, it’s crap anyway.“
Eine ziemliche Schote ist sein angemessen betitelter „Star Wars“-Abklatsch „Star Crash“ mit David Hasselhoff (!), der von Menschen in preisgünstigen Kostümen bevölkert wird, die durch ebenso preisgünstige Sets schreiten und dabei mehr als nötig die Augen aufreißen. Der Film ist in nahezu jedem zweiten DVD-Grabbeltisch zu finden, man sollte da unbedingt zuschlagen.
Weibliche Hauptdarstellerin ist die attraktive Ex-Hammer-Vertragsschauspielerin Caroline Munro, die auch schon in Zauberwerken wie „Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes“ und „Dracula jagt Minimädchen“ mit von der Partie war. Zu behaupten, sie sei Schauspielerin, wäre wohl unangebracht. Ebenso wenig ist sie Sängerin. Gesungen hat sie trotzdem: Ihr bekanntester Song war 1984 der von Gary Numan produzierte Track „Pump It Up“, den man dringend nicht empfehlen kann. Früher, zur Zeit ihrer Film-Aktivität für die britischen Hammer-Studios, war die Munro mit Colin Bluntstone liiert, dem ehemaligen Sänger der Chamber-Beat-Band The Zombies. Dem Vernehmen nach war Bluntstone, nachdem Munro ihn verlassen hatte, emotional so zerscheppert, dass er für sie das schöne Lied „Caroline Goodbye“ komponierte (zu finden auf dem Album „One Year“). Ein Lied, das man immer sofort auflegen sollte, sobald irgendeine Caroline oder Karoline (von mir aus auch Karo) auch nur kurz den Raum verlässt.
Bond-Girl war die Munro auch mal: In „The Spy Who Loved Me“ spielt sie eine mit Bond, nun ja, befreundete Helikopterpilotin. Ebenfalls im Film dabei ist Barbara Bach, die Frau von Ringo Starr. Starr und Bach lernten sich aber erst zwei Jahre später kennen – bei den Dreharbeiten zu „Caveman – Der aus der Höhle kam“. Zu diesem angenehm dämlichen Film weiß Wikipedia zu berichten, er werde „bis auf eine einzige Ausnahme ausschließlich in einer Steinzeit-Kunstsprache gesprochen, ist aber dennoch für jeden verständlich“. Gut, das nicht nur Steinzeitmenschen dem Film folgen können. Auch die Bach spielte mal in einem Italo-Thriller mit: „La Tarantola dal ventre nero“, in dem ein geheimnisvoller Mörder mit Spinnengift mordet.
Die Musik zu Luigi Cozzis „Star Crash“ stammt übrigens lustigerweise vom großen „James Bond“-Komponisten John Barry: Wenn sich da nicht gleich mehrere Kreise im Kornfeld schließen, weiß ich auch nicht. Den Song „Ein Kreis im Kornfeld“ hat übrigens weder John Barry komponiert, noch Jürgen Drews gesungen.
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Es ist mal wieder Zeit, ein weitestgehend unbesungenes Album zu bejubeln.
Als ich vor Jahren für schmales Geld Wayne Berrys einzige Platte „Home At Last“ von 1974 erstand, tat ich dies vor allem wegen der Mitwirkung meines Lieblingsschlagzeugers Kenney Buttrey, dessen luftiges Spiel unter anderem Neil Youngs „Harvest“, Dylans „Blonde On Blonde“ und die besten Platten J.J. Cales veredelte. Wayne Berry selbst sagte mir gar nichts, und tatsächlich ist wenig über den Mann in Erfahrung zu bringen. Nicht einmal ein Wikipedia-Eintrag findet sich.
Von so etwas wie einer „Karriere“ kann man bei Berry nicht sprechen. Wie viele andere Songwriter, hing er in den Sechzigern in Los Angeles herum und versuchte seine Stücke zu an den Mann zu bringen. Vor seiner einzigen Solo-Platte nahm er zwei Alben mit der Band Timber auf, denen allerdings nicht eben der Ruf vorauseilt, allzu meisterlich zu sein. Ganz anders die vorliegende Platte: „Home At Last“ klingt wie all die berühmten Herrlichkeiten, die in den frühen Siebzigern in den Muscle Shoals Studios zusammengezimmert wurden. Das liegt freilich auch an den Musikern, die Producer Norbert Putnam für die Sessions in Los Angeles, Muscle Shoals und Nashville versammeln konnte: Jeff Baxter ist dabei, Jim „Pet Sounds“ Gorden, der bereits erwähnte Buttrey, aber auch Jackson Browne. An Letzteren erinnert hier einiges – die Stimmung, aber auch die raffinierten Songs, die ihre beträchtlichen Reize erst nach und nach entfalten. Mein Favorit ist „Indian Woman from Wichita“, bei dem James Rolleston wirklich tolles Zeug auf seinem Bass anstellt. Auch famos: Das von zackigen Bläser durchtrötete Dixie’s Pride“, zu dem auch Neil Diamond die Fransenjacke hätte flattern lassen können, das lässige Country-Funk-Stück „Black Magic Gun“ und der famose Schlurfer „Gene’s Tune (Blonde Guitar)“, der den Erwerb einer Hängematte unaufschiebbar macht.
Eine ganz tolle Platte, nach der alle Freunde amerikanischen Früh-Siebziger-Country-Rock-Schaffens Ausschau halten sollten. Es sollte Berrys einziges Solo-Album bleiben, vom Nachfolger existieren nur Testpressungen. Und der Künstler? Nun, „Berry is reportedly in Nashville and is in the ministry, in some capacity“, weiß irgendeine Quelle im Internet zu berichten.
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Die neue Platte von Philip Boa heißt „Bleach House“. Humor hat er ja.
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Vor der Tür tobt ein Straßenfest. Das ist in Köln kein Grund zum Frohlocken: Angeschlagene C-Karnevalisten singen rheinisches Liedgut in den Gulli, triste Karussells rotieren, Händler schieben Stände mit Batterien und Sonnenbrillen vor ihre Geschäfte, und Helene Fischer streicht GEMA ein, dass es nur so kracht. Was tun? Eine Idee: Ich höre endlich mal in dröhnender Lautstärke alle sich seit Wochen hier türmenden Promo-CDs durch. Hier ein erster Zwischenstand:
Trampled By Turtles – Wild Animals
Sehr hübsch. Vom Low-Sänger produzierter jauchzender Wandergitarren-Folkpop. Klingt noch beim ersten Song, als hätte sich mal wieder irgendein Amerikaner einen Bart wachsen lassen, besticht aber bald durch die schönen naiven Jubel-Melodien.
John Hiatt – Terms Of My Surrender
Der alte Knarzer mit einer weiteren Songsammlung. Nachdem die letzte Platte nicht mehr ganz das Niveau der Vorgänger halten konnte, sorgt hier das Prinzip Reduktion für Frische. Ist vielen Lesern dieser Kolumne womöglich zu erdig. Wenn es nach mir geht, könnte der Mann mit dem Autoverkäufercharme jeden Monat eine neue Platte machen.
Felice Brothers – Favorite Waitress
Nachdem sie mit „Celebration, Florida“ einen Ausritt in bis dato unerforschte Klangwelten unternommen haben, ist hier wieder alles wieder beim Alten: angetrunkener Cowpunk hakt sich bei Indie-Americana unter und ergeht sich in Akkordeon-Geschunkel: John Prine trifft Pavement, wenn man so will. Freue mich auf die Live-Shows.
Country Funk II
Wirklich toller Sampler, den ich nicht genug bejubeln kann. Neben prominenten Musikern, die zwischendurch gerne mal die Schnittstelle zwischen Country und Funk betänzelten (Townes van Zandt, J.J.Cale und – natürlich – Jim Ford) finden sich hier lauter Schätze wie Billy Swans fiebrige Version von „Don’t Be Cruel“ oder Bob Darins „Me and Mr. Hohner“, das den frühen Beck zu antizipieren scheint. Man ist geradezu geneigt, grillen zu wollen. Dringende Empfehlung, volle Punktzahl!
Dark Horses – Hall Lucid State
Pfffffff. Lederjacken-Electro-Rock mit viel Zigarettenqualm. Eine Band, die – das hört man in jeder Sekunde – ganz schnell auf die großen Festivalbühnen geschubst werden soll. Letztlich gar nicht soooo weit von dem entfernt, was da unten grad bei mir vor der Haustüre beim Straßenfest passiert.
Von daher: Ich geh dann mal eine Runde Kettenkarussel fahren und zieh mir dazu eine Zuckerwatte durch’s Gesicht. Womöglich zur Musik von John Barry oder Jürgen Drews. „Star Crash“ ist nichts dagegen.