Schöner leben und sterben
DER KOREANER MIT gebügeltem Hemd muss erst noch die verspiegelte Sonnenbrille aufsetzen für das Erinnerungsfoto. Dann nimmt er die G36 aus der Halterung und zielt auf seinen Kumpanen, der die Kamera in der Hand hält. Pose Nummer eins. Dann die zweite, mit zum Himmel gerichteter Kanone. Und Nummer drei schräg von der Seite. Gegeltes Haar, gebügeltes Hemd, Pokermine. Hinter den Gläsern ahnt man dann doch den Stolz eines kleinen Jungen: Ein echtes, voll funktionsfähiges Sturmgewehr in den Händen, was für ein Gefühl!
Der Mann ist weit gereist für dieses Bild und all die anderen Poser-Fotos, die er noch machen wird in den Ausstellungshallen von Abu Dhabi. Willkommen auf der Idex, einer der größten Waffenmessen weltweit. „What a great show“, sagt er. Und das ist sie. Die „International Defence Exhibition“, ein turnusgemäßer Pflichttermin für Waffenfabrikanten, Regierungen und Generalstäbe. Mit dabei sind aber auch Schulklassen, Familienväter und verschleierte Hausfrauen, die mal in eine Schlachtfeldmontur schlüpfen möchten oder einen Jetpack, einen Raketenrucksack, auf dem Rücken tragen. Teeblond frisierte Damen sind zu sehen, die hier hereinschneien wie in eine luxuriöse Shoppingmall: Die Idex ist eine Publikumsmesse, so wie die CeBIT in Hannover oder die Nürnberger Spielwarenmesse. Mit einem Unterschied, findet Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linkspartei: „Auf jeder anderen Industriemesse hängt neben einer Nähmaschine auch ein schönes Kleid. Hier zeigen sie die Endprodukte nicht: die Toten.“
Und ja: Wer sich hier umtut, fühlt sich weit entrückt von Dreck, Blut und Wehgeschrei, dafür aber einer gigantischen Gameshow sehr nah.
Gleich hinter dem Eingang in Halle eins taucht der Besucher ein in die weich gespülte Welt der Waffen. Fast lautlos wandle ich über einen weißen Flauschteppich, der jedes Wort schluckt wie Schnee. Scheichs mit Turbanen auf dem Kopf passieren die Pavillons, bleiben zu Verkaufsgesprächen bei kurzberockten Repräsentierdamen stehen oder stibitzen eine der Pralinen von den Verkaufstheken. In Glasvitrinen liegt Artilleriemunition neben gelben, roten und blauen Granaten, poliert und herausgeputzt für den großen Tag. Auf unzähligen Bildschirmen rollen Panzer über unwegsames Gelände, liegen Soldaten in Schützengräben, ratternd wandert der Munitionsgurt durch ihre Hände, begleitet von martialischen Kompositionen, die auch aus Oliver Stones „Platoon“ stammen könnten oder aus Francis Ford Coppolas „Apocalypse now“.
Und wer in der Mittagspause nicht am Buffet Miesmuschelsuppe oder Pannacotta im Glas verköstigt, übt am Stand von Dynamit Nobel das Zielen, wie man es vom Jahrmarkt kennt: Mit der Panzerfaust3 feuern sie den „Negerpfeil“, wie er im Bundeswehrjargon lange hieß, Richtung Bildschirm. Jauchzende Stimmen bei jedem Treffer.
Die Idex ist voller Dinge, die nur auf den ersten Blick rätselhaft erscheinen, wie zum Beispiel die drei Koffer voller Lockenstäbe, die dann doch Waffenputzgeräte sind. Es gibt aber auch diverse Exponate, die man selbst auf den vierten Blick nicht mal ansatzweise erfasst.
Draußen, auf einer Freifläche, auf der die nahöstliche Sonne auf den Kunstrasen scheint, hat die südafrikanische Paramount-Group, Hersteller von Spezialfahrzeugen für Krisengebiete, ihren Marauder aufgefahren, einen gepanzerten Truppen-Transporter, der vor Minen und Sprengfallen schützen soll -und auf der Messe wohl das beliebteste Fotomotiv: Die auf dem Panzer rundum glitzernden Steinchen sind echte Swarovski-Kristalle, die Tarnflecken mit Gold-und Chromfarbe lackiert. „Wir machen keine halben Sachen“, sagt ein Firmenvertreter. „Wenn schon, denn schon!“
Es geht um viel Geld, nicht nur bei Paramount. Die arabische Welt rüstet auf, denn die Angst ist groß, der Bedarf an neuer Waffentechnologie noch größer: Vor der Haustür tobt eine Reihe blutiger Auseinandersetzungen und Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan als Staatspräsident und damit Oberbefehlshaber der Truppen der Emirate ist ein umschmeichelter Kunde: Er sucht unter anderem nach einem neuen Kampfjet. Ein Kandidat ist der Eurofighter Typhoon, ausgestellt unter anderem vom europäischen Rüstungs-und Luftfahrtkonzern EADS, der auch in Deutschland produziert.
Sie wollen ebenso von den prall gefüllten Staatskassen Arabiens profitieren und von den Unruhen im Nahen Osten, wie etwa auch Microsoft mit seiner Software für Waffensysteme. Das italienische hackingteam.org bietet Spionagesoftware, mit der Regierungen Telefone oder Laptops infizieren können. Dass die Firma eigens einen „Sales-Manager“ für den Nahen Osten eingestellt hat, spricht für sich. Nebenan hängt ein wohl vier Meter hohes Plakat, das zeigt, wie man bei Volksaufständen Ordnung schafft: mit dem Wasserwerfer der türkischen Marke Otokar. Auch das Original darf an Ort und Stelle bestaunt werden.
Für die Türken scheint der Arabische Frühling ebenso wenig ein Hindernis für Rüstungsexporte wie für die Deutschen. Waffen made in Germany sind begehrt, und das Sortiment lässt kaum Wünsche offen: Zwischen Panzern, Raketen und Modellflugzeugen warten in Glasvitrinen Handgranaten oder Tränengas auf Kundschaft.
Deutschlands größter Waffenhersteller Rheinmetall belegt gleich zwei Stockwerke: Oben im Café sitzen die Deutschen mit Scheichs und Kaffee in Verkaufsgespräche vertieft, am kalten Buffet greift ein Offizier mit Orden am Revers zum Fingerfood -Stärkung für die nächste Verhandlungsrunde. Unten glänzen die Luftabwehrsysteme im Messelicht, während Konzernsprecher Oliver Hoffmann erklärt, wie schwierig es ist, Artilleriegeschosse und Mörsergranaten zuverlässig abzuschießen: „Als müsste man mit einem Golfball einen anderen Golfball am Himmel abschießen.“ Aber, klar, all diese Systeme „dienen dem Schutz von Menschen“, sagt Hoffmann, diese Message liegt ihm am Herzen.
Erstaunlich: Da geht man auf eine Waffenmesse -aber von Krieg ist nirgendwo die Rede.
Die Nürnberger Waffenschmiede Diehl hat sogar „defensive“ Handgranaten im Programm. Klar, die Deutschen gehen behutsam vor, sie wissen, dass sie in Abu Dhabi unter Beobachtung der mäkelnden Medien stehen. Aber auch andere Länder verpacken ihre Mission in Hirtenvokabeln, die Koreaner bieten gar „eco-friendly“ Handgrananten feil. Und neben den Waffen mit dem Grünen Punkt bewirbt der Sudan sein Sturmgewehr „Peace Maker“ mit einer Friedenstaube.
Andere Hersteller sind weniger zimperlich: Da hängt der koreanische „Devil Killer“ am seidenen Faden in der Luft. Ein Salesmanager verteilt bescheiden lächelnd ein Faltblatt, das die „Kamikaze“-Drohne anpreist, Untertitel: „A tactical Suicide Combat UAV“. Anders als bei den großen Messen des Westens muss er in Abu Dhabi dabei weder kritische Stimmen noch öffentliche Proteste fürchten und kann ungestört und in exklusiver Atmosphäre diskrete Gespräche anbahnen -davon profitieren auch die Firmenvertreter aus Deutschland.
Die verhandeln zum Beispiel über den „Boxer“, an dem Saudi-Arabien schon Interesse signalisiert hat. Und da steht der Panzer mit seiner platten Schnauze und unterarmgroßen Rückspiegeln. Die Besucher wollen dieses „Spitzensystem“ (O-Ton Hoffmann) ganz aus der Nähe sehen – und sind begeistert, beobachtet auch Außenpolitiker Jan van Aken: „Die Araber haben ja eigentlich genug Panzer. Aber der Leopard ist für sie eben der Mercedes Benz in dieser Kategorie.“
Anfassen ist erlaubt, Berührungsängste gibt es keine. Und die Bundesregierung sieht in Saudi-Arabien einen Stabilitätsfaktor und Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Das findet der linke Oppositionssprecher verständlicherweise scheinheilig und zynisch. „Das Gerede von Schutz und Frieden ist doch ein Märchen. Das wissen die auch selbst“, sagt van Aken.
Apropos Mercedes Benz: Die Stuttgarter präsentieren auf der Messe unter anderem ein gepanzertes Polizeifahrzeug. Nur eines von vielen Systemen, mit dem autoritäre Regime zumindest theoretisch Proteste und Straßenkämpfe niederschlagen könnten. Auch Rheinmetall zeigt, was geht. Etwa mit Tränengasgranaten in verschiedenen Formen und Farben. Und nebenan wartet die Schallkanone „Herbertzhorn“ auf Kundschaft: Der Lastwagen mit Lautsprecher auf dem Dach verschießt einen Schallstrahl, der klingt wie ein Feuermelder, allerdings so laut, dass „der Schmerz überwältigend ist“, wie der Verkäufer erklärt: Eine Art akustischer Wasserwerfer, und ein effektives Mittel zur „Crowd Control“.
Und es gibt noch viele bizarre Merkwürdigkeiten mehr. Lange haben die Berater des Gastgebers über der „Daily Show“ gebrütet. Das Ergebnis ist ein Kriegsspektakel auf einer rennbahnlangen Bühne. Krieg und Spiele, das ist für die Scheichs kein Widerspruch: Kamele traben hinter Folkloretänzern über die Bühne, Panzer jagen über einen Parcours, eine Kampfgruppe im Schlauchboot ballert in die Luft, dahinter tanzen am Himmel Düsenflieger ein Maschinenballett und malen mit ihren Abgaswolken den Himmel in den Nationalfarben an. Und auf der opulenten Tribüne kneten die finanzstarken Gäste ihre beklunkerten Finger und träumen von all dem, was sie hier noch Schönes und Tödliches kaufen könnten.