Tolle statt Transsexualität
DEVENDRA BANHART hat total die Kappe kaputt! Zu diesem voreiligen Eindruck konnte man zumindest leicht finden, wenn man den gebürtigen Texaner in der Vergangenheit zum Gespräch traf. Noch vor wenigen Jahren murmelte der Mann in Interviews hinter einem beträchtlichen Bart hervor, dass er eigentlich eine Frau sei – jedenfalls in der Lage, sein Genital ins Körperinnere zu stülpen, um so eine Vagina zu bilden. Auch bei Themen wie Astro-Projektion, Reinkarnation oder der afrikanischen Droge Iboga glänzte Banhart mit fiebrig vorgetragenem Fachwissen. Dazu trug er rote Samtballerinas und stopfte unablässig Kautabak in sich hinein. Andererseits: Für einen Typ, der seinen Vornamen von einem indischen Mystiker erhielt, dem seine Eltern längere Zeit folgten, wirkte Banhart eigentlich noch recht geerdet.
Mittlerweile drückt der inzwischen 31-Jährige ohnehin nicht mehr so sehr auf die Freak-Tube. Und wo seine körperpolitischen Statements früher eher grell ausfielen, erzählt er heute einfach eine rührende Geschichte aus seiner Kindheit: „Ich habe meine Stimme erst entdeckt, als ich die Kleider meiner Mutter anzog und vor dem Spiegel in ihre Haarbürste sang. Da wurde mir klar: In dir steckt ja auch eine Frau! Damals sangen alle Typen wie Kurt Cobain oder Axl Rose, das hatte ich nicht drauf. Erst als ich merkte, dass ich auch das Weibliche in mir zulassen konnte, war ich fähig, Musik zu machen.“ Des Sängers neue, nun ja, Bodenständigkeit spiegelt sich auch in seinem Äußeren wider: Banhart, ehedem eine Erscheinung, deren Foto man in einem Lexikon neben dem Begriff „Weirdo-Hippie“ hätte abdrucken können, wirkt heute mit Haartolle und Hochwasserröhre eher wie jemand, der fünf in Berlin ansässige Indie-Bands anführt, in drei Cafébars arbeitet und nebenbei modelt. Ab und an, wenn ihm kurz ein irres Grinsen die Züge entgleisen lässt, gemahnt er allerdings auch ein wenig an Sacha Baron Cohen als Borat.
Soeben ist sein achtes Album, „Mala“, erschienen, mit dem sich Banhart für seine Verhältnisse recht zufrieden zeigt: „Meine erste Platte sollte eigentlich wie ein Faust-Album klingen. Oder wie Vangelis oder Kraftwerk. Hat nicht geklappt. Es kommt immer etwas anderes dabei heraus. Diesmal aber bin ich zufrieden. Einige Songs klingen vielleicht wie alte Singles, die irgendjemand in der Toilette gefunden hat, aber das soll so sein.“ Man könnte es auch anders formulieren: Auch rund acht Jahre nach dem Boom jenes Para-Genres namens Freakfolk -mit dem Banhart wie alle anderen vermeintlichen Hauptprotagonisten freilich nie etwas zu tun haben wollte -klingt seine Musik immer noch wie ein Tropicália-Wunderwald, der über Nacht im Laurel Canyon emporgewachsen ist. Nur mit dem Unterschied, dass in diesem Wald heute verstärkt Synthesizer herumzwitschern. „Ich versuche einfach immer darauf zu achten, welche Instrumente zu den Geschichten in meinen Songs passen. Und das waren eben diesmal beim ein oder anderen Stück Synthesizer. Wobei: Manches, was wie ein Synthie klingt, ist gar keiner. Wir haben beispielsweise das Zwitschern eines Vogels im Wald aufgenommen und dann zehn Oktaven runtergedreht. Klingt wie ein Synthesizer“, grinst Banhart und sieht kurz wieder aus wie Borat. Was die angesprochenen Geschichten seiner Songs angeht, so könnte es nicht abenteuerlicher zugehen: „Nimm ‚Taurobolium‘: Das soll so etwas sein wie ‚West Side Story‘: Jungs, die sich die Haare nach hinten kämmen und die Lippen rot schminken um in einen Messerkampf zu ziehen. Ein Song über Konfrontation.“ In „For Hildegard von Bingen“ wiederum huldigt Banhart der berühmten Mystikerin: „Was für eine Frau! Eine Feministin im Mittelalter -wenn man so ein Thema hat, gibt es keinen Grund, überhaupt noch über irgendetwas anderes zu singen.“ Er sei eben keiner dieser Typen, die ständig drängende persönliche Gefühle in Songs umsetzen müssten. Die gebe es ja wie Sand am Meer: Songwriter, die jede Trennung sofort in einem Text verarbeiten müssten. Er sei ja weiß Gott oft genug verlassen worden, aber das sei ihm bislang noch keinen Song wert gewesen.
Während Banhart bei früheren Produktionen stets die Studiotür weit offen stehen ließ, sodass jeder, der Lust hatte, mitspielen konnte, beschränkte er sich diesmal auf nur drei Mitmusiker: seinen Freund und Stamm-Produzenten Noah Georgeson, den Gitarristen Rodrigo Amarante und den Schlagzeuger Greg Rogove. „Eine Platte zu machen ist wie einen Kuchen zu backen“, weiß Banhart. „Beim letzten Album war es so, dass der Kuchen, den ich zu backen angefangen hatte, von zu vielen Leuten verdorben worden war. Am Schluss schmeckte er nicht mehr. Blöder Vergleich, ich weiß.“ Beim hochgradig seltsamen Song „Your Fine Petting Duck“ ist als Gastsängerin noch Banharts Freundin Ana Kraš mit dabei. Das Stück beginnt als bekiffter Rumba und mutiert in der Mitte zu einem noch bekiffteren Discostück – mit deutschem Gesang. Banhart grinst: „Wie es ist, auf Deutsch zu singen? It’s like swimming in a sea of urine and not being able to piss.“ Er kann es immer noch!
GOLDENE ÄPFEL UND KRÄHEN
Neben Devendra Banhart gibt es einige Bands mit oft rätselhaften Namen, die Genre-Begriffe wie New Weird Americana und Freakfolk geprägt haben
Espers aus Philadelphia bedienen sich an britischer Folk-und Psychedelic-Musik der Sechziger. Banhart wählte ihren Song „Byss &Abyss“ für seine Indie-Compilation „The Golden Apples Of The Sun“ aus.
Vetiver sind eine kalifornische Band, die als kreatives Vehikel für Mastermind Andy Carbic dient, der Banharts Album „Cripple Crow“ mitschrieb und produzierte.
Danielson bestehen seit 1994 als Combo mit fluktuierender Mitgliederzahl. So haben sich bereits Deerhoof, Sufjan Stevens und Why! in den Dienst von Band-Chef Daniel Smith gestellt.