WAS WIR WOLLTEN, WAS WIR WURDEN
Helmut Kohl was not amused. Rechts von seinem Sessel nahmen Petra Kelly und Marie luise Beck Platz und stellten Blumen auf ihr Pult. Zwei Reihen dahinter fläzten zwei langhaarige Männer in groben Norweger-Strickpullovern, die Gesichter von Rübezahl-Bärten überwuchert. Der junge, schlanke Joschka Fischer trug ein offenes Hemd und scherzte lautstark mit Otto Schily. Der hatte sich wenigstens eine Krawatte umgebunden.
30 Jahre ist es her, dass die Grünen in den Bundestag einzogen. Sie haben das Land und die Politik verändert, und die Politik hat sie verändert. Vieles, was damals fast revolutionär anmutete, ist heute Konsens und Regierungspolitik. Als der Marsch der in Ästhetikund Stylefragen stets fragwürdigen Grünen durch die Institutionen begann, hatte die Popkultur die Punk-Revolution bereits gefressen, tauchte Boy George mit seinem Culture Club in deutschen Fernsehshows auf, und Madonna trug Boxerstiefel zu ihren Leggins. Die Grünen hatten BAP und die Bots. Aber sie hatten auch das Bild einer besseren Republik, in der abgerüstet und Frieden geschaffen würde, in der mehr Demokratie und weniger Machtpragmatismus die Politik bestimmen und in der selbstbestimmte Menschen ökologisch gärtnern, gewaltlos revoltieren, antisexistisch debattieren und atomkraftbefreit wirtschaften sollten. Was sie wollten und was sie wurden, waren am Ende natürlich zweierlei.
30 Jahre später sind die Grünen längst aufgegangen in der größer gewordenen Bundesrepublik, die der Mauerfall mehr geprägt hat, als sie es konnten – und die trotzdem grün wurde. Sie treiben die CDU zu Atomausstieg und Energiewende und die SPD in die Verzweiflung. Sie stellen einen stockkonservativen Ministerpräsidenten und eine kirchentagsbegeisterte Spitzenkandidatin. Sie sind verspießert. Sie sehen nicht mehr anders aus als die anderen, jedenfalls die meisten von ihnen. Und sind immer noch für ein bisschen Unruhe gut. Denn manchmal demonstriert ein grüner Gedanke, dass die Anderen bloß hinterherlaufen. Wenn sie jetzt Pfand auf Plastiktüten fordern, sehen die Anderen gleich wieder die Wirtschaft bankrott gehen. Wie damals beim Dosenpfand. „Das hatte Style“, sagt Jan Delay in einem gern zitierten Interview. Und man sieht den selten von Selbstzweifeln geplagten Jürgen Trittin vor sich, wie er sein Recyclinggesetz genüsslich grinsend gegen jeden Widerstand durchsetzt (und am Abend als DJ Dosenpfand The Clash auflegt). Alle hätten ihn dafür gehasst, sagt Jan Delay, aber heute seien die Scheißdosen verschwunden.
Das kleinere Übel – auch so ein Satz, der fast immer fällt, wenn man über die Grünen spricht. Wie grün sind die noch? Wie cool, wie uncool? Auf den folgenden Seiten versuchen wir eine Antwort. Wir machen Party mit Claudia Roth und hören Katrin Göring-Eckardts Lieblingsplatte. Daniel Cohn-Bendit erklärt, warum er keine Lust mehr hat und eine Deutschland-Karte, wie grün die Republik heute tatsächlich schon ist. Sie werden sehen: ziemlich.