Frau ist vorne
2012 war das Jahr, in dem Musikerinnen im Pop endgültig nichts Besonderes mehr sind
You are in showbiz; live with it or fight it, it’s just not gonna go away. Once you accent a few fundamentals; you’re home free. Enjoy the biz.“ (Deborah Harry, 1994)
Als die Sängerin von Blondie diese Zeilen in ihrem kurzen Grußwort für „Never Mind The Bollocks – Women Rewrite Rock“, das Buch der britischen Journalistin Amy Raphael, verfasste, war Frauenpopmusik in fast allen Genres noch eine Kampfzone. Nirvana-Ikone Kurt Cobain soll zwar kurz vor seinem Freitod im April 1994 gesagt haben, dass die Zukunft des Rock den Frauen gehört. Doch Raphaels 234 Seiten lange Analyse verdeutlichte vor allem, was vor knapp 20 Jahren noch im Argen lag: Madonna, Courtney Love und die Rrrriot Grrrls galten als Phänomene; sie waren eher schrille Ausreißerinnen als Selbstverständlichkeiten. Die Londoner Krawallkolumnistin Julie Burchill lehnte damals gar einen Beitrag für Raphaels Untersuchung ab. Mit markigen Worten. „Eine Frau im Kleid mit einer Gitarre sieht komisch aus. Wie ein Hund, der Fahrrad fährt. (…) Ich bin kein großer Fan von Mädels in der Popmusik“, richtete sie Raphael aus. Und Tanya Donelly, die Singer/Songwriterin der Throwing-Muses-Nachfolgeband Belly, sagte im Interview mit der Autorin: „Meine Vagina hat absolut nichts mit meinem Gitarrenspiel oder meinem Gesang zu tun (…) Es macht mich sprachlos und wütend zugleich, wenn ich gezwungen werde, meinen Job über Geschlechterrollen zu definieren.“ Tja, was wäre mit U2 passiert, wäre Bono eine Frau gewesen? Raphaels sibyllinische Frage mündete nach längeren Interviews mit Björk und Liz Phair in einer schlichten und ergreifenden Conclusio: Frauen in der Popmusik mögen zwar weiterhin Babes in Boyland sein, doch sie lernen schnell!
Zwei Jahrzehnte später ist die Lufthoheit der Jungs nur noch unterschwellig zu spüren. Wenn etwa Lana Del Rey auf den Hype (dessen Machart durchaus zeitdiagnostische Dimensionen hat und für sich gesehen schon ziemlich interessant ist) und den Look (die Lippen!) reduziert wird. Ein typischer Reflex von Indie-Nerds, die sich ja längst auch im Feuilleton oder in Frauenmagazinen eingenistet haben. Nach deren Logik muss alles per Standardbeißreflex zerfetzt werden, was kommerziell erfolgreich ist und attraktiv rüberkommt. Dabei sind die Songs ihres Anfang des Jahres erschienenen Albums „Born To Die“ auch noch im Winter mit Gewinn zu hören. Was für die ausgefinkelte Midtempo-Produktion sowie die Interpretationskunst von Lana Del Rey spricht. Doch im Gegensatz zu Raphaels schnöder Erkenntnis von 1994 sind die kleinen Kulturkämpfe um Lanas Erscheinung nicht mehr so wichtig. Popmusikerinnen sind längst auf breiter Front in allen Formen, Farben und Frisuren vertreten. Und gerade 2012 schienen es immer mehr zu werden, wurden immer neue Spielarten sehr selbstverständlich bedient – von Hauchemädchen im Gardinenkleidchen bis zu knallbunten Rotzrockerinnen. Nicht jede ist interessant. Manche hat Talent, will aber nichts außer ein bisschen Frieden. Wir sind dort angekommen, wo die Streiterinnen an der Genderfront immer hin wollten: in der Normalität.