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WENN SICH NICHT mehr sagen lässt, ob ein Künstler aus Portland, Stockholm oder Bamako kommt, dann befindet man sich aller Wahrscheinlichkeit nach in der popmusikalischen Gegenwart. Da hat ein formschön konserviertes Gestern keinen Platz mehr. Deshalb muss sich eine Band wie Dawes aus Kalifornien auch ständig für ihren melancholiesüchtigen Sound rechtfertigen. Oder sie werden als vergangenheitsverliebte Westcoast-Rocker abgetan. Und das alles nur, weil sie sich aufs Wesentliche – ihr Talent für eben jenen Westcoast-Sound – beschränken. Sänger und Songschreiber Taylor Goldsmith versucht gar nicht erst, sich zu verteidigen: „Wir selbst wissen natürlich, dass unsere Musik eine eigene Identität hat. Ich will, dass Leute eines Tages die Songs anderer Bands hören und sagen:’Das klingt wie Dawes.'“ Ein bisschen wurmt es ihn aber doch, dass seine Band oft der Harmlosigkeit bezichtigt wird, nur weil „wir keine Rock’n’Roll-Band sind, die ständig kurz davor steht, sich mit Alkohol und Drogen umzubringen“.
Goldsmith weiß, dass Dawes mehr zu bieten haben als das Kalifornien der Siebziger. Als 2009 ihr Debüt „North Hills“ erschien, nutzten sie zwar noch die Alltagssprache des Folk, in dem Flüsse und Berge und Züge und Sheriffs das Hauptvokabular bilden. Inzwischen sei er damit jedoch durch, sagt Goldsmith. „Ich habe keine Lust mehr, über Dinge zu schreiben, mit denen mich nichts verbindet.“ Stattdessen entdeckt er auf dem neuen Dawes-Album, „Stories Don’t End“, die Jetztzeit. „Ich möchte in dieser Welt verwurzelt sein.“ Betonung auf „diese“. Aber Goldsmith findet jene Wurzeln eben doch immer wieder im Blick zurück, etwa in den recht unterschiedlichen Werken von Mark Twain und Joan Didion, aus deren Roman „Demokratie“ der Albumtitel stammt. Alles ist eine Fortführung des Geschehenen. So sehen sich auch Dawes: „Hätten wir ein Album gemacht, das genauso wie die ersten beiden geklungen hätte, wären wir dafür kritisiert worden. Hätten wir etwas völlig anderes gemacht, wären wir dafür ebenfalls kritisiert worden. Wir konnten nur so ehrlich wie möglich zu uns selbst sein“, erklärt Goldsmith.
Für „Stories Don’t End“ suchte die Band zum ersten Mal ein Studio außerhalb ihrer Heimatstadt Los Angeles auf. Gemeinsam mit Produzent Jacquire King ging es ins Studio nach Asheville, North Carolina, wo im September 2012 die ersten Aufnahmen entstanden. „Die Idee, nichts zu tun zu haben, außer dieses Album zu machen, schien uns sehr verlockend“, erzählt Goldsmith. Zudem gründete die Band ihr eigenes Sub-Label HUB, was ihnen in Sachen Selbstvermarktung und Veröffentlichungspolitik zusätzlichen Freiraum brachte, den Goldsmith nach dem anstrengenden Jahr 2011 auch dringend benötigte. Damals hatte er nicht nur für Dawes, sondern auch für das Nebenprojekt Middle Brother, das er gemeinsam mit Delta Spirits Matt Vasquez und John McCauley von Deer Tick betrieb, Songs geschrieben. „Ich bin keiner von diesen Typen, die Tonnen von unveröffentlichten Songs herumliegen haben“, sagt er. Es klingt fast wie eine Entschuldigung. Aber in der Vergangenheit nach präzisen Gegenwartsbildern zu suchen ist eben kein Prozess, der sich effektivieren lässt.