Venus im Schafspelz
DIE FRAGE NACH DER Motivation hinter so mancher Kunstproduktion beantwortet heutzutage oft auch ein Gang durch einen großen Marken-Flagship-Store. Offensichtlich sind viele zeitgenössische Werke auf ein klar zu identifizierendes Interesse zugeschnitten, nämlich um geschmackvoll und teuer die Lebenswelt aufzuwerten.
Dem Kalkül dieses neofeudalen Kunstbegriffs hätte die 1913 in Berlin geborene Meret Oppenheim sicher die kalte Schulter gezeigt und sich mit subtilem Widerstand an die Produktion manchmal verstörender, immer Fragen aufwerfender, fantastischer Bilder, Objekte, Zeichnungen und Gedichte gemacht. Kunst hatte in Oppenheims Bewusstsein mit Komfort und Wohlfühlgefühl nichts zu tun. Vielmehr prägt das an Gegensätzen reiche Schaffen dieser Künstlerin seit Jahrzehnten das kollektive Unbewusste. Zu ihrem 100. Geburtstag im Oktober ist der unbeirrt durch Medien und Stile wandelnden Künstlerin nun erstmals eine große Retrospektive in ihrer Geburtsstadt gewidmet. Der Martin-Gropius-Bau zeigt vom 16. August bis zum 1. Dezember das ganze Spektrum ihres auch heute in ihrer Vielfalt und Konsequenz noch wegweisenden Werkes.
Wer kennt nicht das durch den Überzug von Gazellenfell zum Fetisch verwandelte Gedeck aus Tasse, Untertasse und Löffel, das bis heute als eine der Ikonen des Surrealismus gilt? Das von André Breton, dem Wortführer der surrealistischen Bewegung, gegen den Willen der Künstlerin mit dem Titel „Déjeuner en fourrure“ (Frühstück im Pelz, 1936) versehene Werk entstand, so schreibt Oppenheim in einem späteren Brief, „aus der Freude am Paradoxen, am Aggressiven“. Also, aus einem provokanten Spiel mit dem Wissen um männliche Klischees vom weiblichen Eros, das viele ihrer Werke aus dieser Zeit auszeichnet.
Das Paradoxe, die Verbindung an sich fremder Dinge oder Zwecke, hatte Oppenheim bereits als 16-Jährige für sich als Ausdrucksform genutzt, indem sie mit der Gleichung „X = Hase“ ihrem Vater ihre Abneigung gegen Zahlen und alles Schulische nahebrachte: Sie will Malerin werden, und die den Künsten und der Literatur gegenüber aufgeschlossene Familie Oppenheim hat nichts dagegen.
1932 reist Meret Oppenheim zusammen mit ihrer Freundin, Malerin und Tänzerin Irène Zurkinden, nach Paris. Sie landen, berauscht von einigen Gläsern Pernod während der Fahrt, unverzüglich im Café du Dôme, einem von der kosmopoliten Boheme dieser Stadt bevorzugten Ort. Sie schließt Freundschaft mit Künstlern wie Giacometti, Dora Maar, André Breton sowie mit Man Ray, der sie als Aktmodell für seine Fotoserie „Érotique voilée“ 1933 zur gefeierten „femme-entfant“ der Pariser Surrealisten macht. Oppenheim selbst ist dieser frühe Ruhm der so zelebrierten Kindfrau mehr Last als Freude. Und obwohl sie sich mit ihrem vielgestaltigen, traumwandelnden, irrationalen Schaffen der surrealistischen Bewegung eng verwandt zeigt, hat sie selbst keinerlei Interesse, sich der Bewegung anzuschließen. Fünf Jahre später geht sie in die Schweiz, eine Schaffenskrise lässt sie mit einem immensen Gefühl der Minderwertigkeit ringen: „Als würde die jahrtausendealte Diskriminierung der Frau auf meinen Schultern lasten.“
Die Beschäftigung mit den Schriften C. G Jungs und die stetige Auseinandersetzung mit ihrer Identität und Rolle als „weiblicher Künstler“ in der Gesellschaft führen sie aus der Krise, und es entsteht bis zu ihrem Tod 1985 ein vielgestaltiges, über Materialien, Gattungen und Inhalte hinweg mäanderndes, dichtes Werk, dem es weder an Humor, Ironie noch Abgründen fehlt. In den 70er-Jahren wird sie für eine junge Künstlerinnengeneration zum Role Model in deren Durchsetzung feministischer Positionen. Doch auch hier geht Oppenheim einer Vereinnahmung aus dem Weg. Statt Geschlechterkampf verfolgt sie, dank ihrer sinnlichen Intelligenz, die Akzeptanz und Versöhnung der Gegensätze: „Der Geist, der Kunst und Dichtung entstehen lässt, ist männlich-weiblich.“