Radio Gelato, bitte!
DRUMHERUMREDEN IST ZWECKLOS: Der Sommer wirft längst wieder lange Schatten, und der Mensch verlagert das, was er üblicherweise zu Recht drinnen treibt, zu Unrecht nach draußen. Allüberall zeigen Menschen unaufgefordert Haut und Musik findet zunehmend in der Öffentlichkeit statt. Wenn sich auf der Straße, die mein Wohnviertel durchschneidet, in diesen Tagen die Autos stauen und es aus allen Fenstern kakophonisch plärrt, klingt das mitunter wie ein gescheitertes akustisches Event der Flaming Lips, bei dem wieder irgendwelche Sachen gleichzeitig abgespielt werden.
Auch gar nicht mal so gut sind der Nasenflötenspieler und der Arschgeiger, die unten auf dem Platz dem im Straßencafé vor sich hinbrutzelnden Sonnenmob immer wieder „Quantanamera“ darbieten: Es ist dies ein Tun, auf dem kein Segen lastet. Dabei stehe ich Straßenmusikern eigentlich gar nicht so ablehnend gegenüber. Warum sich aber alle Panflöten-Terroristen und Akkordeon-Rüpel auf dasselbe schmale Repertoire verständigt haben, ist mir schleierhaft. Der Tatbestand der Kreativität wird hier nur selten erfüllt.
Doch auch an mir geht der Sommer keineswegs spurlos vorbei, gleichwohl ich saisonalen Anfechtungen sonst eigentlich recht tapfer zu trotzen weiß. Gestern erst habe ich beim Verzehr eines doppelten Krokantbechers Adria beschlossen, das Italopop-Duo Radio Gelato zu gründen. Ich werde selbst nicht mittun, das verbietet mein vorgerücktes Alter. Dafür werde ich als ebenso geheimnisvoller wie sonnenbebrillter Strippenzieher und Produzentenmogul fungieren, der die Geschicke von Radio Gelato aus dem Hintergrund lenkt. Radio Gelato wird aus nur zwei jungen Herren bestehen. Vielleicht heißen sie Guglielmo Trentadenaro und Carmine Mascarpone. Die beiden tragen gelbe Hosen und schmale Schnauzbärte, wobei vor Ersteren meist aufsehenerregend geschwungene Umhängekeyboards oder reflektierende Gitarren baumeln (würden diese vor Letzteren baumeln, so wäre das ja auch blöd). Ihre Musik ist Italopop der simplen Sorte. Gesungen wird zu unaufgeregten Akkordfolgen von „Amore“ und „Emozioni“, sowie von Frauen, die Eva, Carla oder oft auch nur „Donna“ oder „Ragazza“ heißen. Auch sind Aufforderungen wie „Baciami!“ („Küss mich!“) mehr als häufig zu vernehmen. Die Lieder sind dergestalt aufzuführen, dass einer der beiden stets mit Kopf-, der andere immer mit tiefer Brummstimme singt. Der Rückkehr der Achtziger-Italo-Mucke schlichter Machart steht also nichts mehr im Wege. Radio Gelato wird bald schon als Synonym für einfältigen, aber liebenswerten Strandpop mediterraner Prägung gelten.
Gottlob wird ein Großteil der im Sommer draußen gehörten Musik ja über Kopfhörer konsumiert. Man stelle sich nur kurz vor, all die zahllosen Jogger, die tagtäglich durch hiesige Städte hetzen, führten lautstark dröhnende Unterhaltungselektronik mit sich. Nun, manche aber tun genau das. Als vor ein paar Tagen eine junge Dame an mir vorbeijoggte, an der ein transportables Musikabspielgerät baumelte, aus dem für alle Welt hörbar Europes „Final Countdown“ schepperte, fragte ich mich zweierlei. Erstens: Warum muss die das laut hören? Und zweitens: Hören Sportler zwangsläufig alberne Musik? Eingedenk Philipp Lahms müsste man diese Frage bejahen, sein Lieblingslied ist bekanntlich Rainhard Fendrichs „Weu’sd a Herz hast wia a Bergwerk“. Das sollte der Nasenflötenspieler unten auf dem Platz mal aufführen.
Vielleicht stoße ich irgendwann in eine bislang unerforschte Marktlücke und veröffentliche einen Sampler mit Joggingmusik für Schwermütige. Es muss doch auch Menschen geben, die lieber zu eher moribunden Klängen Körperertüchtigung betreiben. Vielleicht zu irgendetwas von den Silver Jews oder zu Johnny Cashs „Hurt“-Version. Sieht bestimmt toll aus, wenn man dazu joggt. Gut, der Sommer wird auf diese Weise nicht vor seiner Bedudelung gerettet. Hier müssen tatsächlich schwerere Geschütze aufgefahren werden. Es geht schließlich um nicht weniger als die Rettung einer ganzen Jahreszeit! Ein Fall für Radio Gelato!