Arschtritte und Vatergefühle
ICH WOLLTE GANZ EINfach mit weniger Worten um mich schmeißen“, raunt Mark E. Smith und lacht sein meckerndes Lachen. Man könnte meinen, der große Grantler des Post-Punk würde auf seine alten Tage noch so etwas wie Spaß an der Sache entwickeln. „Wir wollten auf unserer neuen Platte heiterer und freundlicher erscheinen.“
Seit nunmehr 37 Jahren murmelt der Mann hinter dem Bandnamen The Fall Gift und Galle. Entpuppen sich seine Mitmusiker als Weicheier, setzt er sie schon mal während einer laufenden Tour vor die Hoteltür. Für ein Ehemaligentreffen müsste mindestens eine Turnhalle angemietet werden -über 60 Mitglieder zählt der Club der Ex-Fall-Mitglieder. Und nun das: Auf „Re-Mit“, dem neuen Album, diente zum vierten Mal in Folge die gleiche Besetzung – Rekord! Hat die Altersmilde etwa ihren Dienst aufgenommen?
„Kann schon sein, dass dies die beste Band ist, die ich je hatte“, nuschelt Smith. „Irgendwie bekommt man ja auch Vatergefühle für die Jungs.““Die Jungs“ durften bei ihrer Einstellung mit keinerlei Band-Vorwissen auftrumpfen und wirken auf Fotos, als seien sie Smiths Bodyguards und würden lieber dem Rapper Pitbull ihr Gehör schenken als dem, was ihr Chef da verzapft. Neben Keiron Melling (Drums), Dave Spurr (Bass) und Pete Greenway (Gitarre) gehört auch Elena Poulou, Deutsche mit griechischen Wurzeln, als Keyboarderin zu jener Besetzung aus dem „Guinness-Buch der Fall-Rekorde“ – seit 2001 im Familienstammbuch als Smiths dritte Ehefrau geführt. „Sie besuchte einen Dance Club in Berlin, ich spielte eine Straßenecke weiter. Es war Liebe auf den ersten Blick!“ Das Erfolgsrezept einer guten Ehe?“Den Mund halten, solange wie möglich außer Haus bleiben und kein Handy besitzen!“
Einen exponierten Platz in der Fall-Discografie nimmt „Re-Mit“ als 30. Album schon jetzt ein, auch wenn es sich zwischenzeitlich so anfühlte, als würde die Band wöchentlich veröffentlichen. Von überhandnehmender Sanftmut kann musikalisch allerdings keine Rede sein. Im Gegenteil: Es gab Zeiten, in denen sich The Fall zugänglicher gebärdeten. Vornehmlich in den späten Achtzigern, als sie es mit Coverversionen von „Victoria“ (The Kinks) und „There’s A Ghost In My House“(R. Dean Taylor) sogar in die britischen Single-Top-40 schafften.
Während Smith für den Vorgänger „Ersatz GB“ keinen Stolz empfindet, kratzbürstet der 56-Jährige nun wieder in einer Kombination aus jugendlicher Bissigkeit und Alterszorn. Kein Wunder, dass er an seiner derzeitigen Band hängt: Die Riffs „treten dir in den Arsch“, die Rhythmusabteilung setzt die entscheidenden Punchs. Jede neue Fall-Platte würde genauso wie ihr Vorgänger klingen, analysierte einst die verstorbene DJ-Legende John Peel -„nur eben anders“. Und so wurde diesmal die Quote angehoben für Surf-Rock-Elemente, komische elektronische Sounds und den Rockabilly-Vibe alter Joe-Meek-Produktionen, während sich in „Victrola Time“ Drum’n’Bass und Atonalität so nahe kommen, wie es eben nur bei The Fall geht.
In den Londoner Konk Studios sind die Aufnahmen zunächst „verreckt“, bevor man bei Blueprint und im 6dB Recording Studio in Salford eine geeignetere Atmosphäre fand und Personal, das Smiths Methoden umsetzen konnte. „In manchen Aufnahmeräumen muss man die Vocals Zeile für Zeile einsingen. Das geht bei mir doch gar nicht.“
Manchesters bekanntester Grummelkopf fokussiert sich immer wieder neu. Das Vorhandene vergessen, die Erinnerungen wegwerfen – und weiter! Derweil sorgt sein Spaß an der Sache dafür, dass Mark E. Smith drei bis vier weitere Fall-Alben parat hält. Die aktuelle Band könnte also schon bald ihren eigenen Rekord brechen.
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