Absolute Beginner

Pete Townshend und Rod Stewart veröffentlichen fast zeitgleich ihre Memoiren – und beide verbindet eine ganze Menge. Hier erzählt der Frontmann der Who von ersten Mods, der Art School und der frühen Clubszene Londons

Das erste Konzert, das ich mit den Detours spielte, fand Anfang 1962 in einer Halle neben den Chiswick Swimming Baths statt. Ich ersetzte Reg Bowen, einen Gitarristen, der lieber der Roadmanager der Band werden wollte. Roger (Daltrey; Anm. d. Red.) arbeitete tagsüber als Blechschlosser und hatte sich am selben Morgen böse in die Finger geschnitten, sodass er fast unmittelbar, nachdem ich angekommen war, hinter die Bühne verschwand. Also spielte ich ungeschickt die Leadgitarre.

Die meisten der ersten Gigs arrangierte unser Schlagzeuger Harry Wilson oder sein Vater. Wir mochten Harry. Wenn er einen Fehler machte, wurde er rot, tobte, entschuldigte sich und spielte dann fröhlich weiter. Wir probten bei ihm zu Hause in Acton, und sein Vater fuhr uns mit seinem Lieferwagen zu unseren kleinen Konzerten.

Ich hatte eine Single-Pickup Harmony Solidbody Stratocruiser, die Roger für mich rot lackiert hatte. Wir machten einstudierte Beinbewegungen zu den Songs von Cliff Richards and The Shadows (John (Entwistle) konnte das besonders gut, Roger besonders schlecht), und wir fuhren durch den gesamten Großraum London und manchmal noch weiter, um auf Hochzeiten, Firmenfeiern, Geburtstagen oder in Pubs zu spielen. Bei einer Hochzeit erklärte uns einmal ein für die Pause engagierter Klavierspieler, dass er, wenn er betrunken war – und das war er meistens -, nur seine linke Hand kontrollieren konnte, die eigentlich für die Begleitung zuständig war. Seine rechte Hand ging auf eigene Faust auf die Suche nach der Melodie. Das gehörte mit zum Lustigsten, was ich je gehört hatte, und ich gab mir größte Mühe, es auch zu lernen. Bei einer anderen Hochzeit bekamen wir 50 Pfund Trinkgeld vom Brautvater, und angesichts dieser astronomischen Summe dachten wir zum ersten Mal darüber nach, uns einen eigenen Transporter zu kaufen.

Obwohl die Detours Rogers Band waren, stand damals Colin Dawson, ein gut aussehender junger Mann mit einer kräftigen konventionellen Popstimme, am Mikrofon. Auf einer Verlobungsparty warf die künftige Braut beschwipst ein Auge auf Colin, und irgendwann drohte der Bräutigam in spe mit Prügel. Wir erlebten jede Menge Schlägereien, und ich habe es Roger zu verdanken, dass mir nie jemand etwas getan hat. Selbst ein total Betrunkener wäre nicht so dumm gewesen, ihn zu provozieren.

Alle um mich herum bei den Detours tranken. Colins Freundin Angela wurde achtzehn und gab die erste Party, auf der ich jemals war. Die Leute kamen, tranken eine halbe Flasche Bier und taten dann, als wären sie besoffen, damit sie den Rest des Abends mit jedem knutschen konnten, den sie in die Finger bekamen. Bei mir klappte das nicht.

Allerdings zeigte eine Frau aus meinem Kurs in Ealing Interesse an mir, und eines Tages hielten wir plötzlich Händchen, während wir durch eine Kunstgalerie spazierten. Ein paar Tage später gingen wir auf eine Party, auf der sie sich schnell betrank und mich dann küsste. Das war mein erster Kuss, und ich bin nicht sicher, ob ich sagen kann, dass ich ihn genoss. Es fühlte sich eher an, als wollte sie mich bei lebendigem Leibe auffressen. Kurze Zeit später knutschte sie mit einem anderen Jungen aus unserem Kurs herum, und die beiden verschwanden.

Es war eine schreckliche Heimfahrt allein im Zug; das Mädchen war schon nett, aber ihr Verrat konnte nicht mal annähernd den erstaunlichen Schmerz erklären, den ich empfand.

Gegen Ende meines ersten Jahrs auf der Kunsthochschule spielten wir mit den Detours unser erstes Clubkonzert im Paradise Club in Peckham. Wir holten uns einen neuen Drummer. Er hieß Doug Sandom. Um Harry tat es uns leid, aber Doug war definitiv besser. Er war ungefähr zehn Jahre älter als wir und benahm sich wie ein richtiger Profimusiker. An einem Sommerabend in Peckham bauten wir das Equipment ganz dicht um sein Schlagzeug auf, drehten den Sound insgesamt herunter und erreichten zum ersten Mal einen vernünftig-ausgewogenen Klang. Allmählich bekam ich das Gefühl, dass wir tatsächlich eine Chance hatten, mit den Detours Geld zu verdienen.

Maurice Plaquet, ein Musikerfreund von Dad, übernahm die Rolle des Agenten für unsere Band und besorgte uns einen Auftritt am 1. September 1962 im Rathaus von Acton als Vorgruppe des Ron Cavendish Orchestra. In der Zeitung hießen wir The Detours Jazz Group. Das dazugehörige Foto zeigt uns dicht zusammenstehend mit Anzügen, Krawatten und professionellem Grinsen. Es war das beste Foto von mir, das ich bis dahin gesehen hatte, und ich begriff schnell die Bedeutung solcher Bilder: Rogers hübsche jüngere Schwester Carol entdeckte es und lag ihm ab sofort in den Ohren, mich mit ihr zu verkuppeln.

In den Fluren des Ealing Art College waren interaktive Holzinstallationen unseres Kursleiters Roy Ascott ausgestellt, bei denen der Betrachter diverse Teile umstellen konnte. Wir sollten uns ein Jahr lang darauf konzentrieren, unsere vorgefasste Meinung über Kunst, Kunsthochschulen, Kunstunterricht und alle Formen von Design loszuwerden. Ich stellte fest, dass die Lücken in meiner Schulbildung eklatant waren.

Auf dem College unterrichtete sowohl die neue als auch die alte Garde. Letztere waren konservative Zeichner, Kalligrafen, Buchbinder und dergleichen, die extrem penibel waren. Die neuen Dozenten trugen Jeans, waren zwischen zwanzig und vierzig und unkonventionell ausgerichtet. Unsere erste Zeichenstunde wurde von einem Angehörigen der alten Garde geleitet. Er gab uns Anweisungen, wie wir unsere Bleistifte zu spitzen, welche Härte wir für welche Aufgabe zu wählen, wie wir das Papier auf die Bretter zu klemmen, wie wir zu sitzen, unsere Stifte zu halten und einen Entfernungsmaßstab zu berechnen hatten.

„Zeichnen Sie eine Linie.“

Jeder von uns zeichnete eine Linie und sah sich schärfstmöglicher Kritik durch den Dozenten ausgesetzt, der uns darauf hinwies, dass die erste Linie von Norden nach Süden ausgerichtet, fünfzehn Zentimeter lang, von gleichförmiger Dicke und mit einem 3B-Bleistift ohne Lineal gezeichnet werden sollte; jede Abweichung stellte eine eines Studenten am Ealing Art College unwürdige Zügellosigkeit dar. Die zweite Stunde hielt einer von den Progressiven. „Zeichnen Sie eine Linie.“

Kein Problem. Wie nach einer Choreografie zeichneten wir jeder eine Linie, von Nord nach Süd, fünfzehn Zentimeter lang, von gleichmäßiger Dicke etc. Unser Dozent, der junge Anthony Benjamin, verließ den Raum und kehrte mit dem Bildhauer Brian Wall zurück. Sie fingen an zu toben und zu schimpfen und brüllten uns an. Irgendwann zückte Benjamin ein kleines Taschenmesser und stach sich in den Finger, dann zog er Blut über ein weißes Blatt Papier. „Das ist eine Linie. Versteht ihr?“ Natürlich verstanden wir. Wir waren die unschuldigen Opfer in einem Kampf zwischen Alt und Neu.

Ein weiterer Gastdozent war Larry Rivers, der erste schwule, amerikanische, drogensüchtige, Saxofon spielende Maler, dem ich je begegnet war. Ich hatte das Gefühl, durch ihn dem späten Jackson Pollock so nahe zu kommen, wie überhaupt möglich. Und tatsächlich sind ein paar von Pollocks überwältigenden, zutiefst chaotischen Werken ein paar Wochen lang in den Korridoren der feinen Kunsthochschule ausgestellt worden. Später entdeckte ich, dass Peter Blake – mein Lieblingsmaler – ein Atelier in Bedford Park nicht weit vom College hatte, was meine Identifikation mit ihm noch verstärkte.

Ich experimentierte mit Farben und Zeichensystemen, und eine Gruppe von uns baute in unserem Unterrichtsraum ein großes Objekt, in dem wir vorhatten, einen sogenannten Erlebnis-Schuppen zu schaffen. Mein erster Versuch mit Installationskunst, es kam mir vor wie eine Geisterbahnfahrt.

Im Herbst 1962 hatte keiner der Leute im Umfeld der Detours groß Ahnung davon, was ich an der Kunsthochschule so trieb, und mir fiel es schwer, meinen Studentenfreunden etwas über die Band zu erzählen. Obwohl wir allmählich ganz gut verdienten, fand ich die Detours irgendwie uncool. Ich wohnte noch bei meinen Eltern, aber es wurde langsam Zeit, mich zu outen, in beiden Bereichen meines Lebens – der Band und meinen Kunsthochschulfreunden gegenüber. Ich musste Farbe bekennen. Im ersten Trimester meines zweiten Studienjahres brach die Kubakrise aus. Am alles entscheidenden Tag im November 1962 ging ich mit der festen Überzeugung zum College, dass das Leben vorbei wäre; warum überhaupt noch zum Unterricht erscheinen? Als die Katastrophe nicht eintrat, war ich froh, nicht zu denen gehört zu haben, die in Panik geraten waren, geweint oder sich um Kopf und Kragen geredet hatten, bevor die gute Nachricht verkündet wurde.

Irgendwie leitete ich aus diesem Beinahe-Weltuntergang die Botschaft ab, dass ich der geduldig beharrlichen Carol Daltrey eine Chance geben sollte. Also ging ich hin und wieder mit ihr spazieren, versuchte, mich mit ihr über das zu unterhalten, was ich auf der Kunsthochschule machte, küsste sie im Flur ihres Elternhauses, wann immer und so lange ich konnte, und erfuhr – durch Gespräche mit Rogers älterer Schwester Gillian und ihrem klugen Freund – von einer neuen Jugendbewegung, die im Westen Londons entstand: den Mods aus der Arbeiterschicht. Anfang der 1960er wurde in England die Teddy-Boy-Subkultur von zwei neuen Bewegungen verdrängt: den Mods und den Rockern. Die Mods interessierten sich für Mode, R&B, Motorroller und die neuesten Tanzschritte, während die Rocker eher zum Machismo neigten, nach dem Vorbild von Marlon Brando als Anführer seiner Motorrad-Gang in „Der Wilde“.

Gillians Freund hatte einen schwarzen PVC-Mantel und fuhr eine Vespa wie ein junger Italiener aus Rom. Carol Daltrey sagte, ich sei ein echter „Modernist“-Typ, und ermunterte mich, mir einen PVC-Mantel zuzulegen. Neben ihr zu sitzen und sie stundenlang zu küssen war besonders romantisch, weil der Schnee draußen die Weihnachtsferien einläutete. Diese Mod-Verschwörung fand praktisch genau vor Rogers Nase statt, der selbst eher ein Rocker war. Als ich an jenem Abend nach Hause lief – es schneite immer noch -, war ich glücklich, obwohl ich wusste, dass Carol nicht die Richtige für mich war. Nicht dass sie zu jung gewesen wäre (mit meinen siebzehn war ich nur zwei Jahre älter als sie), aber mir war klar, dass sie nicht in den Kunsthochschulteil meines Lebens passte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich selbst in der Lage war, den Spagat zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Welten der Kunst und der Musik zu bewältigen.

Mit den Detours hatten wir zu dieser Zeit eine Menge zu tun. Nach Weihnachten arrangierte Leslie Douglas, in dessen Band Mum in den späten 1940ern gesungen hatte, für uns einen lukrativen Sonntagnachmittagsauftritt im American Officer’s Club in Queensway. Eine Reihe guter Londoner Bands spielte auf den Bühnen, auf denen wir jetzt auftraten: Cliff Bennett and the Rebel Rousers, The Beachcombers und The Bel Airs. Ich übernahm die Leadgitarre, wenn Roger sich das Mikrofon schnappte, um sein Lieblings-Johnny-Cash-Medley zu singen – das kam bei heimwehkranken Yankees immer an.

Roger kaufte einen Transporter, den ich mit meinem Detours-Logo verzierte – mit einem Pfeil am O. Auf einem Foto stehen wir vier neben dem Transporter und sehen in unseren schwarzen kragenlosen Lederjacken aus wie Müllmänner. Im Januar 1963 hatten wir fünf oder sechs Auftritte, aber im Februar stieg die Zahl sprunghaft auf elf oder zwölf an, einschließlich unseres ersten Konzerts im Oldfield Hotel in Greenford, das für uns ein festes Standbein werden sollte. Ab März spielten wir siebzehn oder achtzehn Mal pro Monat, und dieses straffe Programm zogen wir eine ganze Zeit lang durch.

In einer guten Woche nahm ich an die 30 Pfund mit nach Hause, was 1963 eine absurd hohe Summe war. Zum Vergleich: Mein Stipendium für ein ganzes Studienjahr betrug 140 Pfund. Jetzt wo ich Geld hatte, konnte ich zu Selmer’s Musikgeschäft in der Charing Cross Road fahren und mir einen Fender-Pro-Verstärker mit einem 15-Zoll-Lautsprecher kaufen. Er war laut, schrill und sexy. Der Verkäufer, der ihn mir aufschwatzte, war John McLaughlin, der später eine Fusionjazz-Gitarrenlegende werden würde.

Zu Beginn des Frühjahrs 1963 lernte ich Richard Barnes kennen, den jeder Barney nannte. Er wurde ein Freund und Verbündeter fürs Leben und der wichtigste autorisierte Biograf von The Who. Wir verstanden uns auf Anhieb, und ich liebte seinen trockenen, beißenden Humor. Wegen meiner Unbeholfenheit und Selbstversunkenheit lernte ich nur langsam von den Menschen um mich herum, aber Barney war nachsichtig mit dieser – und jeder anderen – Schwäche. Ich spürte auch, dass Barney um mein musikalisches Talent wusste, vielleicht sogar deutlicher als ich selbst.

Meinen ersten furchtbaren Kater hatte ich, nachdem unser Schlagzeuger Doug mich bei einem unserer regelmäßigen Gigs im White Hart Pub in das Serienbiertrinken eingeführt hatte. Danach fing ich an, im College ein bisschen anzugeben, indem ich eine Viertelliterflasche Whisky in der Gesäßtasche meiner Levi’s herumtrug. Dennoch war mir klar, dass ich in fast jeder Hinsicht hinter meinen Altersgenossen herhinkte. Die anderen aus der Band hatten feste Freundinnen, sogar Ehefrauen. Ich knutschte ab und zu im Laderaum des Bandtransporters mit irgendwelchen Mädchen herum, aber meine Versuche, ernsthaftere sexuelle Experimente durchzuführen, endeten in Frustration.

Meine Studienfreunde Nick Bartlett und Barney sahen sich die Detours zum ersten Mal bei einem Auftritt am 29. März in einem College in London an. Sie wirkten beeindruckt. Barney hatte eine feste Freundin, Jan, die sehr hübsch war. Ihre dunklen Haare waren zu einem mittellangen Bob geschnitten, die Augen durch einen ägyptisch anmutenden schwarzen Kajal-Lidstrich effektvoll geschminkt. Sie war es, die erstmals den Erfolg einer Band namens The Rolling Stones erwähnte. Im Auftrag der Detours, die keine Zeit für andere Bands hatten, begannen Barney und Jan, die Musikszene außerhalb unserer immer gleichen Runde von Kneipenbühnen zu erkunden.

Und es gab viel zu entdecken, obwohl sich herausstellte, dass die Stones in dieser Gegend ganz vorne lagen. Im Vorjahr war Ealing die Geburtsstätte des British R&B gewesen. Alexis Korner, der Vater dieses Genres, trat regelmäßig im Ealing Club auf, zusammen mit dem legendären Cyril Davies an der Blues-Mundharmonika. Brian Jones war gelegentlich mit der Slide-Gitarre dabei, Jack Bruce spielte Kontrabass, und Mick Jagger sang Chuck-Berry-Songs. Im Herbst 1962 hatten sich die Rolling Stones zu der Band entwickelt, die wir heute kennen, und den wöchentlichen R&B-Termin im Ealing Club übernommen. Ab und zu bekamen wir Kunststudenten sie zu Gesicht, wenn sie vor dem Gig auf der Straße herumspazierten. 1963 waren die Gerüchte über die Stones bereits legendär; wir hatten keinen Zweifel, dass dies neben den Beatles die Band war, die man im Auge behalten musste.

Im Frühling 1963 fingen zwei Fotografiestudenten an, die Jukebox in Sid’s Café gegenüber dem College mit 7-Zoll-R&B-Singles zu bestücken. Eine stach hervor: „Green Onions“ von Booker T and the MGs. Ich muss sie 50-mal gehört haben, und schließlich arrangierte ich eine Version für Leadgitarre statt Orgel, die wir ins Repertoire der Detours aufnahmen. Am 17. Mai 1963 spielte die Band im Carnival Ballroom im Park Hotel in Hanwell, nicht weit von Ealing, weshalb all meine Bekannten vom College erschienen. Vor der Bühne standen einige hübsche Frauen von der Modeschule und taten, als würden sie mich anschreien wie Beatles-Fans; sie machten nur Spaß, aber alle waren beeindruckt, besonders, als wir die funkigeren R&B-Stücke spielten, die ich erfolgreich in unser ansonsten eher konventionelles Repertoire geschmuggelt hatte.

Das war ein prägender Augenblick für mich. Meine Freunde von der Kunsthochschule konnten die Band sehen, über die ich nur so ungern gesprochen hatte; John, Roger und Doug konnten meine Kommilitonen sehen und wie groß mein Bekanntenkreis dort war. Mir war immer noch unangenehm, dass einige unserer Songs Charts-Hits von den Beatles, Gerry and The Pacemakers, Johnny Kidd und Buddy Holly waren. Aber ich wusste auch, dass wir genug R&B-Stoff spielten, um das Interesse mancher der anspruchsvolleren Musikfans am College zu wecken.

Sechzig Konzerte später buchte uns Commercial Entertainments für mehrere Auftritte im St. Mary’s Ballroom in Putney. Einmal spielten wir als Vorgruppe für Johnny Kidd and The Pirates. Das war eine extrem lässige Band, die nur mit Leadgitarre, Bass und Schlagzeug einen wuchtigen Sound auf die Bühne brachte. Wir beschlossen, denselben Weg zu gehen, und Roger erlaubte mir, die Leadgitarre zu übernehmen, damit er sich ganz auf den Gesang konzentrieren konnte. Er verkaufte mir seine Epiphone Solidbody. Mit meinen Chet-Atkins-Übungsstücken als Vorlage übte ich das Rockabilly-Fingerpicking der Pirates, das Mickey Green spielte. Im Laufe der Zeit eignete ich mir eine Mischung aus Rhythmus- und Leadgitarre an und spielte, was später Powerchords genannt wurde, oft zusätzlich mit einer rasselnden leeren Saite, um den Sound farbiger zu machen.

Außerdem trafen wir unseren künftigen Toningenieur und Produzenten Glyn Johns. Er sang bei den Presidents, die auf dieser Bühne sehr beliebt waren, und er hielt sehr viel von unserer neuen reduzierten Besetzung. Roger lernte seine erste Frau Jackie bei diesem Gig kennen. Ich war eine Weile mit ihrer gut bestückten besten Freundin zusammen. Als ich zum ersten Mal meine Hände in ihre Bluse steckte, dachte ich, ich wäre im Himmel. Eines Tages versuchten wir, Sex zu haben. Sie nahm mich mit zum Haus ihres Cousins, wo ihr Onkel gerade ein bisschen renoviert hatte. Ich trug mein bestes Mod-Outfit und dazu ein besonderes, neues Paar Wildleder-Desert-Boots. Ich lag auf ihr, während sie an meiner Hose fummelte, aber plötzlich bekam ich kalte Füße – buchstäblich. Meine kostbaren neuen Schuhe hingen in einem Eimer Tapetenkleister.

Im Winter wurde Jackie schwanger, und Roger heiratete sie im März 1964, fünf Monate, bevor ihr Sohn Simon geboren wurde. Nick war mit Liz Reid zusammen, einer hübschen blonden Schottin aus der Modeschule. Ein paar Monate davor hatte er eine umwerfende irische Freundin gehabt, ebenfalls von der Modeschule. Da sie gerade eine Beziehung beendet hatte, gingen wir zu viert chinesisch essen. In der U-Bahn auf dem Heimweg flüsterte sie mir ins Ohr, sie wolle mit mir schlafen, und dann, vor der Station Ealing Common, rauchten wir Gras; für mich war es das erste Mal. Ich weiß noch, dass ich das Gefühl hatte, etwas ziemlich Wichtiges entdeckt zu haben, aber nicht ganz sicher war, was.

Zu Hause in meinem Zimmer legten sich Nick und Liz zusammen im Dunklen auf mein Bett. Ich war mit dem irischen Mädchen auf dem Fußboden. Das war mein erstes echtes sexuelles Erlebnis, bei mir stellten sich also die Rock’n’Roll-Elemente Sex und Drogen gleichzeitig ein. Ich kam innerhalb von Sekunden. Am nächsten Morgen hörte ich das irische Mädchen ein paar Tische entfernt in Sid’s Café gutmütig über meine sexuelle Unerfahrenheit lachen, aber das war mir egal. Kunstfertigkeit spielte keine Rolle. Um die zu entwickeln, blieb noch reichlich Zeit. Aber ich war endlich angekommen.

Dieser Textauszug stammt aus dem Buch „Who I Am“, das im Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheint. Townshend arbeitete auch als Lektor und veröffentlichte zwei Essaybände.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates