Die Haubitze
Sie ist laut, sie ist direkt, sie ist vulgär. Ina Müller erzählt gern Zotiges, redet ohne Pause, singt allerorten – und entwaffnet die Gäste in ihrer Hamburger Seemannskneipe
Oft weiss man nicht, ob man Ina Müller für ihre Chuzpe, ihre Kodderschnauze und ihre Indiskretion bewundern soll – oder ob es sich nicht vielmehr um Gebrechen handelt. Sie ist eines der wenigen Talente, die beim NDR-Fernsehen eine veritable Karriere machten – dort dümpeln sonst schwer vermittelbare Originale wie der Plattdeutsch schwafelnde Schwarze Yared Dibaba, der aufdringliche Hobbykoch Rainer Sass, die blonde Fahrradmamsell Heike Götz und der geschwätzige Problembär Carlo von Tiedemann oft über Jahrzehnte.
Ina Müller gefiel es schon mit 35, ihre Haare grau zu färben und einsame Bauern auf dem norddeutschen Land an heiratswillige Frauen zu vermitteln: Die nur selten bauernschlauen Provinzler behandelte sie zupackend, aber mit Rücksicht, sie sprach deren Idiom, das mit „Platt“ unzureichend beschrieben ist, und beherrschte das Kumpelige, das Derbe und das Hart-Herzliche perfekt. Die nordfriesischen Inseln stellte Müller in einer Reihe so vor, dass diese gottverlassenenen Flecken plötzlich erschienen, als seien sie eine Reise wert. Ihr Vorgehen war stets dasselbe: Müller tat so blöd, als wüsste sie überhaupt nichts, und brachte wortkarge Leuchtturmwärter, Fischer und Kutscher zum Reden. Weniger zurückhaltenden Ortsvorstehern und Fremdenverkehrsfuzzis zeigte sie gleich die Grenzen auf, denn eloquent und lustig ist Ina Müller ja selbst.
Und laut. Als ihre Präsenz überregional wurde, wies die Sprachkünstlerin darauf hin, dass sie auch singt und Platten aufnimmt. Ihre Songs sind hemmungslos sentimental und handeln von Traummännern und zauberhaften Tagen im Bett oder Arschlöchern und verheulten Tagen im Bett, ein Album widmete sie den Kerlen, mit denen es nicht geklappt hat (also bisher allen). Es wäre eine Untertreibung, Müllers Stil „direkt“ zu nennen. Bei ihren Konzerten schreckt sie vor keiner Zote, keinem billigen Witz und keinem Kalauer zurück. Ina Müller wirkt zugleich burschikos und wie die Erfindung der Frauenzeitschriften, denn nichts interessiert sie mehr als die Figur, die Kleidung, tröstendes Naschwerk und Säfteleien aller Art.
In „Inas Nacht“, ihrer heimeligen kleinen Show aus dem Schellfischposten am Hamburger Hafen, gelingt ihr das Kunststück, jeden Gast als interessanten, ja liebenswürdigen Menschen erscheinen zu lassen – na, beinahe: Sogar der wie ein Breitmaulfrosch grienende Schwerenöter Jörg Wontorra, der nur zu gern jede Schlüpfrigkeit aufgriff, wirkte wenigstens putzig in seinem Zwang. Der Schellfischposten, eine winzige Seemannskneipe, ist die halbe Miete der Sendung – nur ein paar Leute können an den Tischen sitzen, dazwischen Schlagzeuger, Bassist und Klavierspieler. Die Gäste nehmen auf oder hinter einem kleinen Tresen Platz, wo sie von Ina Müller mit dem Inhalt ihrer farbig vollgekrakelten Kladde konfrontiert werden. „Aber heute bist du schwul oder was bist du heute?“, fragt sie den Schneider Michael Michalsky. Vom Hühnerwurst-Werber Johannes Kerner will sie wissen, ob die Geflügelfirma wöchentlich einen Karton mit Aufschnitt schickt. Die wenigen Zuschauer dürfen Fragen an die Gäste auf Bierdeckel schreiben – fast immer will jemand wissen, ob der Prominente in einem Pornofilm auftreten würde oder schon mal im Bordell war. Kein Problem bei Schaustellern wie Hella von Sinnen und Peter Lohmeyer.
Natürlich wird im Schellfischposten auch gesungen. Ina Müller lädt Musiker ein – oft sehr gute oder solche, deren Platten zu Unrecht im Muskasten liegen: Anna Depenbusch, Tina Dico oder Wallis Bird. Meistens singt die Gastgeberin selbst mit. Es gab Sternstunden wie ihr Duett mit Sven Regener, der dann ein Solo auf der Trompete spielte. Unberufene erweisen sich als leidenschaftliche Sänger, wenn sie alte Lieblingslieder von der Tafel ablesen. Was der stocksteife und sich verlegen räuspernde Alfred Biolek einst mit „Bios Boulevard“ etablieren wollte, das schafft nun die Müller: eine Gesprächsatmosphäre, in der alle vollkommen unverstellt agieren. Der manchmal einfallende Shanty-Chor vor dem Fenster ist dabei ein folkloristischer Manierismus, der an Charme verloren hat. Oft ist es auch sehr kalt in Hamburg, man kann sich verkühlen.
Um die geistige Gesundheit der Rampensau Müller fürchtetenwir bei der Verleihung des Musikpreises „Echo“. Gemeinsam mit der nicht minder verhaltensauffälligen Busenfreundin Schöneberger gickelte sie sich angeschickert und mit aufgeplatzter Föhnfrisur durch den langen Abend, schließlich verstauten die beiden umständlich die sperrige Trophäe in einer ausladenden Damenhandtasche. Da war die schlagfertige, die ordinäre, die peinlich-komische Ina Müller leider, was sie sonst nie ist: eine Tusse.