Brennende Berge
Die amerikanischen Spintisierer Oneida spielen für eine treue Gemeinde abenteuerliche Avantgarde und krausen Krautrock
Der wanderer bahnt sich seinen Weg durch Nebel. Vorsichtig muss er agieren, denn schon beim nächsten Schritt könnte sich vor ihm der Schlund der Hölle öffnen. Um ihn herum ständiges Wabern und Pulsieren, leises Fiepen, lautes Keifen, drohend im Unterton zumeist. Und dann geschieht es: Eruptionen von gewaltigem Ausmaß, vernichtend und doch voll schöpferischer Kraft. So hört es sich an, wenn Berge brennen, wenn sie explodieren.
„A List Of The Burning Mountains“ heißt das neue Album von Oneida. Der Titel beziehe sich auf eine Studie aus dem frühen 19. Jahrhundert zu globaler vulkanischer Aktivität, erzählt Keyboarder Bobby Matador. „Unsere Intention ist es, mit unserem derzeitigen musikalischen Konzept ausgedehnter Performances und Improvisationen so etwas wie eine seismische Kraft unter unserer eigenen Oberfläche anzuzapfen. Hin und wieder bricht sie aus und katapultiert sich über Aufnahmen in unserem Studio ins Rampenlicht.“ Es klinge vielleicht merkwürdig, aber „irgendwie haben wir eine geologisch-musikalische Quelle in uns entdeckt, die uns mit chaotischer, unvorhersagbarer und scheinbar endloser Energie versorgt“.
Die Musik des Quintetts aus Brook-lyn ist so sehr Mainstream, wie es Vulkanausbrüche sind. Bobby Matador, Drummer Kid Millions, die Gitarristen Hanoi Jane und Shahin Motia sowie Tasten- und Special-Effects-Mann Barry London bewegen sich mit den beiden seitenlangen Stücken des Albums (als Vinyl und Download erhältlich) weit jenseits aller Charts. Beim Label Jagjaguwar habe man die Möglichkeit dazu, so Bobby Matador. „Sie glauben dort daran, dass unsere Musik andere Werte hat.“ Für Oneida-Maßstäbe stellt das Album fast eine Rückkehr zu konventionelleren Strukturen dar. Mit dem Vorgänger, „Absolute II“, hatte die Band 2011 ihr bislang radikalstes Werk vorgelegt: „Es war ganz klar als ‚Beyond-music‘ angelegt, offen für jede Form persönlicher Interpretation“, so der Keyboarder. Musik vor dem Urknall ist das, eine Soundlandschaft irgendwo zwischen Ambient, Drone und Elektro, die sich keinen erkennbaren Instrumenten wie Gitarre, Bass oder Schlagzeug zuordnen lässt.
Mit zwölf Studioalben in 15 Jahren und diversen Singles, EPs und Maxis beeindrucken Oneida sowohl in quantitativer wie auch kreativer Hinsicht. Ihre Mission: Vordringen bis in die entferntesten Winkel des Musik-Universums. Von Glam, bier-schwangerem Kneipen-Rock, Punk und Afrobeat über Psychedelia und Krautrock bis zu Ambient, Minimalismus wie bei Steve Reich und Free-Form à la Sun Ra oder Cecil Taylor findet dort alles Platz, selbst Übungen in Pop mit Streichern.
Keine zwei Alben klingen gleich. Zwar verlangt das vom Hörer ein Höchstmaß an Flexibilität, bietet aber zugleich zahllose Einstiegsluken in den Oneida-Kosmos. Für Novizen könnten die „Secret Wars“ (2004) mit ihren Indie- und Garage-Elementen oder die zwischen mittelalterlichem Chor-Gesang, Soft- und Power-Rock pendelnde Songkollektion „Happy New Year“ (2006) den Aha-Effekt bringen. Wer die Noise-Rock-Seite Oneidas antesten will, findet auf „Each One Teach One“ (2002) den ultimativen Lackmustest: Der Opener des Doppelalbums „Sheets Of Easter“ ist 14 Minuten archaischer, minimalistischer Speed-Rock mit dem gelegentlich gebellten Ein-Wort-Mantra LIGHT-LIGHT-LIGHT-LIGHT-LIGHT. Faszinierend und verstörend zugleich ist das. Hawkwind 2.0.
Neben „Each One Teach One“ fand bislang das Dreifachalbum „Rated O“ (2009) die meisten Käufer: Nach einigen Elektronik-Experimenten entwickelt es sich zu einem wahren Krautrock-Fest, das vor allem Can-Fans begeistern dürfte.
Der musikalische Status quo von Oneida, die in ihrem Studio „Ocropolis“ für bis zu zwölfstündige Marathon-Performances bekannt sind, wird sich hierzulande im kommenden Jahr überprüfen lassen. Voraussichtlich im März, so erzählt Bobby Matador, werde man auf Europa-Tournee gehen. Es wäre immerhin die achte.