Das reimende Rockmonster

N EINEM VON KERZEN SPÄRlich erleuchteten Kellergewölbe kauert der Dichter über einem Pergament. In den Ecken wuchern Spinnweben, ab und an hört man Schreie aus Frauenkehlen. Der Autor rauft sich die ohnehin wirren Haare, taucht die Feder in blutrote Tinte, verengt die kajalumrahmten Augen und kritzelt manisch los: „Wenn es dunkel wird/Die Seele sich in Lust verirrt/Der Sonne Tod ist mir Vergnügen/Schluck das Schwarz in tiefen Zügen“. Und dann nimmt er sich Willy Steputats Reimlexikon und sucht für die nächste Strophe einen Reim auf „Knochen“: verkrochen? Lochen? Oder doch: kochen?

Aber natürlich ist das alles ganz anders. Till Lindemann, ein halbes Jahrhundert alt, groß, breit, stark, seit knapp 20 Jahren Frontmann bei Rammstein, hat seinen zweiten Gedichtband in Berlin an seinem Computer geschrieben, wo auch die Texte zu den Songs entstehen. Keine Feder, keine Tinte, kein Keller, keine Kerzen. Herausgekommen sind dennoch fast 100 gewohnt düstere, präzise und teilweise höchst amüsante, nämlich passend schwarzhumorige Preziosen über das Dunkle in Herrn Lindemann, das ihn nicht komplett ausfüllt, aber vielleicht interessanter ist als der ganz normale Rest: „Ich mache bewusst nur diesen Teil von mir öffentlich. Wenn ich meinen Weg zur Kaufhalle beschreibe, locke ich doch keinen hinterm Ofen hervor Die Menschen sind an Abgründen interessiert, an Schmutz, an Provokation. Eben an allem, was berührt, im positiven wie negativen Sinn.“

Lindemann sitzt im obersten Stockwerk eines unter Denkmalschutz stehenden Turmhochhauses in Berlin- Friedrichshain, direkt unter einer Kuppel. Er wirkt ein wenig zu groß für seinen Stuhl, kann sich aber damit arrangieren. Er trägt eine karierte Stoffhose, Lederjacke, Piercings, sieht medioker müde aus, aber freundlich und entspannt. Ein Rockmonster im Plaudermodus. Er stellt einen Filterkaffee hin, trinkt selber auch ein Tässchen, und erzählt von einem frühen Gedicht für einen Schulschreibwettbewerb. Da war er neun Jahre alt, und als Sohn des DDR-Kinderbuchautors Werner Lindemann in der Bringschuld: „Ich hab mir ein paar Zeilen herausgequetscht, aber wollte mich schnell aus der Affäre ziehen.“ Jene Zeilen hat der Herausgeber Alexander Gorkow dem Vorwort des im KiWi-Verlag erschienenen neuen Buches vorangestellt, das Gedicht heißt „Der Nussknacker“: „Er knackt ganz einfach/Jede Nuss/Und die nicht will/Muss“.

Gewalt und Humor waren anscheinend immer schon Thema für Lindemann, 1963 in Leipzig geboren, Vater besagter Autor, Mutter Journalistin. Die Kindheit war erst wild, später anstrengend: „Ich weiß noch, dass ich -eher aus Versehen -die Autoscheibe meiner Mathelehrerin eingeschmissen habe. Da sagten meine Eltern: ,Der muss von der Straße weg.‘ Schräg gegenüber war eine Schwimmhalle, also hat meine Mutter mich zum Training angemeldet, und ich bin Leistungssportler geworden. Zwangsweise.“ Lindemann trainierte jahrelang bis zu acht Stunden am Tag, wurde bei der Jugend-EM auf den 1.500 Metern Siebter und war höchst unglücklich. Einen Trainingsunfall nahm er zum Vorwand, um mit der Schwimmerei aufzuhören. Sein Nachholbedürfnis der Teenagerzeit war turbogetrieben, „Mädchen, Alkohol – ich hab ganz schnell versucht, auf den gleichen Stand zu kommen wie die anderen“. Das ging fast „nach hinten los“. Doch so schnell haut einen Lindemann nichts um. Die Liebe zur Sprache steckte da bereits in ihm drin. „Schon Anfang der Neunziger habe ich kleine Schreibversuche mit Songtexten gemacht, da hab ich noch Schlagzeug gespielt.“ Und natürlich sang man in der DDR von jeher Deutsch.

Inhaltlich war das Dunkle stets sein Metier. Die aus der Zeit zwischen 1995 und 2002 stammenden Gedichte in seinem ersten Lyrikband „Messer“, der 2002 erschien, ergäben, mit brachialeindrucksvollen Rammstein-Gedöns unterlegt, ein paar amtliche Deutschmetall-Hits. Viele Werke aus dem neuen Buch „In stillen Nächten“ ähneln ebenfalls Rammstein-Songs. Trrrrefflich ließe sich das R in „Gekrümmt vor Wollust stand ich da/Schlich wie ein Tier und bald ihr nah/Tief im Herzen dieser Stich/Als ich mich mit ihr verglich“ rollen, refraingeeignet auch die dritte Strophe dieses Gedichts: „Wenn junge Herzen glühen/Sehe ich mich schon verblühen/Steigt Unschuld bald von ihrem Thron/Ich nehme mir ein Stück davon“.

Obwohl es einige der Texte in ihrer Plakativität zu gut meinen, ab und an Blut und Tod zu dick auf das Papier geklatscht werden, schafft es Lindemann immer wieder, situativ und atmosphärisch dichte Szenen zu malen. „Wenn Mutti spät zur Arbeit geht“ erzählt die klassische 19.-Jahrhundert-Hurengeschichte aus der Sicht eines kleinen Jungen, der die Männer nebenan mit seiner Mutter verkehren sieht und hört: „Ich sehe zu durchs Schlüsselloch/Und einer schlug sie tot“. Und durch lakonischen Einsatz von Humor nimmt der Dichter seinen Bildern eh den ganz großen, gotischen Schrecken, und stutzt ihr Gewicht zuweilen auf ein Kichern zurück, wie in dem Vierzeiler „Wichtig“:“Dreimal täglich soll man essen/Post und Pinkeln nicht vergessen/Weihnachten Pakete schicken/Einmal in der Woche ficken“. Wenn da mal nicht wieder der Steputat im Einsatz war.

Lesungen will Lindemann mit seinem Buch aber nicht machen, er selbst sei kein Fan davon, sagt er, zudem „ein schlechter Vorleser, und wie soll das gehen? Soll ich mich mit dem Buch auf dem Schoß in einen Raum setzen und Gedichte rezitieren?“ Bevor sich der Sänger, Pyrotechniker und Dichter in die Mittagspause verabschiedet, philosophiert er noch ein bisschen weiter über die Diskrepanz zwischen in Ketten und Lederbänder gewickeltem Bühnen-Tier und Realitätsmensch, Vater von zwei Töchtern, der gern Fahrrad fährt und die Texte von Manu Chao mag: „Ich muss das immer ein bisschen ausblenden, sonst könnte ich ja gar nicht auf die Bühne gehen. Im Publikum steht schließlich oft Familie, meine oder die der Bandkollegen, und das sind teilweise ältere Herrschaften -an die sollte man besser nicht denken, wenn man während der Show gerade den Keyboarder penetriert “ Es ist eben „ein Job in der Unterhaltungsindustrie“.

Dann geht der Dichter ein paar lebendigen Hühnern den Kopf abbeißen. Vielleicht gibt es auch einfach nur Bio-Pommes.

GEROLLTE RS UND HARTE RIFFS

Bei Rammstein war von Anfang an alles riesig: der Anspruch, die Inszenierungen, die Skandale -und der Erfolg

Ihre Musik ist brachial, ihre Inszenierungen sind monumental und ihre Karriere ist von Skandalen geprägt. Rammstein wurden u.a. schon Gewaltverherrlichung, Pornografie und faschistische

Tendenzen vorgeworfen, und der Soldatensender Radio Andernach spielt ihre Lieder nicht, weil Till Lindemanns gerollte Rs „zu einer verzerrten Darstellung und Wahrnehmung Deutschlands im Ausland“ führen.

Natürlich ist es gerade dieses Spiel mit Klischees und gezielten Provokationen, das die 1994 in Berlin gegründete Band weltweit so erfolgreich machte. Über 20 Millionen Tonträger sollen Rammstein, die ihre Musik in ihren Anfangstagen selbst als „Tanzmetal“ bezeichneten, nach einigen Quellen bereits verkauft haben, 2010 war ihr Konzert im New Yorker Madison Square Garden innerhalb von 30 Minuten ausverkauft.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates