Bloß kein schwuler Spießer werden
Wir hingen bekifft in unseren Sitzen, und jedes Mal, wenn auf der Leinwand eine Ziffer erschien, kratzten wir kichernd auf einem Stück Pappe herum: „Odorama“ stand in großen Buchstaben drauf, und: „Rubbeln Sie erst, wenn im Film die jeweilige Nummer auf blinkt.“ Es war nicht die schlechteste Idee, John Waters‘ Film „Polyester“ 1981 mit dem Slogan zu bewerben: „Smelling is believing!“ Es waren keine Blümchenwiesen, die es hier zu schnuppern gab, sondern Benzin, Schnaps und Schlimmeres – je nachdem, was der übergewichtigen Heldin Francine Fishpaw zustieß.
„Polyester“ gilt als Wendepunkt in der Karriere des Regisseurs John Waters. Als vorsichtige Annäherung an ein „normales“ Independent-Kino. Dem Spaß tat das keinen Abbruch. Das plötzliche Interesse an dem „Pope of Trash“ – wie ihn sein Freund William Burroughs, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre, einst nannte – sorgte dafür, dass die frühen No-Budget-Filme von Waters nun auch in Deutschland gezeigt wurden. Natürlich nur in kleinen Off-Kinos, dort, wo auch die Tabubrüche hiesiger Regisseure wie Jörg Buttgereit oder Christoph Schlingensief liefen. 1988 folgte der Durchbruch nach Hollywood: „Hairspray“ mit Sono Bono und Debbie Harry war ein riesiger Retro-Spaß. Nur dezent subversiv, aber quicklebendig und bis zum Rand vollgepackt mit Sixties-Pop und den dazugehörigen Tanzstilen.
„Früher war ich ein schlimmer Finger – ein Yippie. Ein Punk, gefangen im Körper eines Hippies. Während der Bruder meiner Mutter für Nixon arbeitete, veranstaltete ich einen Aufstand nach dem anderen“, erklärt Waters. Er ist inzwischen 67, gilt als Ikone des Camp, Anwalt aller Außenseiter, charmanter Provokateur und lebt immer noch in seiner Geburtsstadt Baltimore im US-Bundesstaat Maryland.
Einige Szenen seiner Filme sind mittlerweile legendär. Etwa das Ende von „Pink Flamingos“ (1972), wo die Dragqueen und Waters-Ikone Divine genüsslich einen frisch gelegten Hundehaufen verspeist. Und: Nein – das war kein Fake! „Ich glaube, jede Art von Humor ist politisch“, sagt Waters, „aber ich habe mich nie auf eine Kiste gestellt und meine Filme als Tribüne benutzt, um Meinungen zu verändern. Man muss die Leute zum Lachen bringen – dann kann man auch über Inhalte reden.“
Die Außenseiter in Filmen wie „Multiple Maniacs“ oder „Female Trouble“ sind weder saucoole Teenager-Rebellen noch liebenswerte Trottel, sondern hässlich, schmutzig und gemein. Die Darsteller wie Edith Massey, Susan Lowe oder Divine waren die Avantgarde des Punk – ein stolz emporgereckter Mittelfinger im, nun ja, Arsch der amerikanischen Gesellschaft.
Waters ist schwul, aber mit den Klischees der Szene kann er wenig anfangen: „Als ich zum ersten Mal in eine Gay-Bar ging, saßen dort lauter nette Jungs in netten Pullis an kleinen Tischchen, auf denen Telefone standen. Manchmal klingelte es, und jemand sagte:,Hi, ich sitze am Tisch nebenan. Darf ich dir einen Drink spendieren?‘ Ich dachte: ,Hmm, ich mag ja schwul sein, aber nicht auf diese Art.‘ Dagegen habe ich rebelliert, die Gay-World meiner Jugend war mir viel zu brav und spießig.“
In Divine fand Waters schon als Teenager einen kongenialen Mitstreiter – ein femininer, übergewichtiger Nerd, der gerne Poker spielte und weißen Lippenstift trug. Unter dem Einfluss von David Lochary – einem der Stammschauspieler in Waters‘ Dreamlanders-Ensemble (nach Dreamland Productions, Waters‘ Produktionsfirma) – wurde Divine schließlich zur Dragqueen: „Zuerst zog er sich an wie Elizabeth Taylor, aber das hat er bald wieder abgelegt“, erinnert sich Waters. „Das Make-up und die Garderobe, die er in meinen Filmen trug, inspirierten ihn. Divine wurde tatsächlich zu der Figur, die wir erfunden hatten, um Hippies zu erschrecken.“
Doch das ist alles lange her. John Waters hat seit zehn Jahren keinen Film mehr gedreht. Sein letzter, „A Dirty Shame“, orientierte sich wieder mehr am schamlosen Frühwerk – allerdings in der Bildsprache Hollywoods und mit Schauspielern wie Tracey Ullman, Chris Isaak, Selma Blair und Johnny „Jackass“ Knoxville. Warum hat er sich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen?“Fast alle aus der Independent-Branche, die mit einem Budget von fünf Millionen Dollar arbeiten, haben aufgehört, Filme zu machen“, behauptet der Mann mit dem markanten Little-Richard-Bart. „Entweder man gibt gleich 100 Millionen Dollar aus – und sorgt für reichlich Special Effects -, oder man verlangt von den Machern, dass sie ihre Filme für 500.000 Dollar drehen. Das kann ich mir heute nicht mehr leisten! Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass man viele Karrieren braucht – aber keine Hobbys.“
Waters möchte zwar weiterhin Filme drehen, doch im Moment ist er als Autor biografischer Bücher wie „Role Models“ erfolgreicher. Zurzeit arbeitet er an einem Bericht über seine Reise per Anhalter durch die USA (Arbeitstitel:“Carsick“), bei der er unter anderem ausgerechnet Freundschaft mit einem jungen republikanischen Stadtratsabgeordneten aus Myersville, Maryland, schloss.
Die ursprünglich für den Video-on-Demand-Anbieter Netflix entwickelte One-Man-Vaudeville-Show „This Filthy World“, mit der er vor einigen Wochen zum ersten Mal in Deutschland gastierte, ist zu einem weiteren Standbein des momentan filmtechnisch pausierenden Regisseurs geworden. Eine hinterhältig amüsante Plauderei über sexuelle Minderheiten, Kunst, die Mode von Comme des Garçons, Politik und die Faszination des Verbrechens. Natürlich hat Waters zu allem eine Meinung.
Bis zum 5. März zeigt die Berliner Galerie Sprüth Magers zudem auch noch die Ausstellung „Bad Director’s Chair“.“Zu sehen sind vor allem Fotoarbeiten und einige meiner frühen Filme, die in Deutschland kaum jemand kennt“, erklärt Waters. „Wir zeigen sie in Peepshow-Kabinen. Ich hoffe, dass es auch Glory Holes gibt und genug Kleenex-Tücher.“
Es ist sehr schwer, diesen Mann nicht zu mögen.