Zwei Kinder der Liebe
Alors, was ist die Geschichte?“ die französische TV-Moderatorin Denise Glaser hockt sich zwischen Serge und Jane, legt den Kopf schräg und klimpert erwartungsvoll. Gainsbourg drückt eine Zigarette aus, weniger als eine Minute später hat er bereits die nächste aus der Packung gefingert. Beide, die Glaser und Jane Birkin hängen an seinen Lippen, während er die seltsame Geschichte von der 14-jährigen Melody erzählt, die eines Tages beim Radfahren von einem Schnösel im Rolls-Royce angefahren wird.
Die Geschichte geht so: der Schnösel verguckt sich und schleppt Melody in ein Hotel ab. Als sie beschließt, noch einmal ihre englische Heimat besuchen zu wollen, stürzt ihr Flugzeug ab. Der Mann – Gainsbourg sagt die ganze Zeit „ich“ – beginnt daraufhin, sich in Halluzinationen über einen Stamm in Neu Guinea hineinzuschrauben, der durch seltsame Riten Flugzeuge zum Absturz bringen kann.
Es ist die Geschichte des gerade mal 28 Minuten langen Konzeptalbums „Melody Nelson“, das gerne als Höhepunkt in Gainsbourgs Schaffen gesehen wird. Ein Meisterwerk des Frühsiebziger-Pop, das stellenweise klingt, als spielten Can den Soundtrack zu einem im Lavalampen-Milieu angesiedelten Soft-Sex-Film. „Die Leute behaupten, ich sei hässlich, aber das ist mir egal“, sagt Gainsbourg und raucht. „Wenn man mich hässlich nennt“, ergänzt er in Birkins Richtung, „lache ich leise, damit du nicht aufwachst.“ Und fügt zuletzt hinzu: „Ich hatte schöne Frauen, aber die schönste habe ich jetzt.“
Zum Zeitpunkt des Interviews, das im Mai 1971 stattfindet, sind Serge und Jane seit knapp zweieinhalb Jahren ein Paar, künstlerisch wie privat. Es ist eine öffentliche Glitzer-Liaison, wie es nie wieder eine zweite gegeben hat. Ein Paar, gegen das sich Richard Burton und Liz Taylor wie Onkel Helmut und Tante Traudl ausnehmen. Ein Paar, das bis zu diesem Tag in zahllosen Duett-Inszenierungen (von Adam Green und Binki Shapiro über Mark Lanegan und Isobel Campbell bis hin zu Chiara Mastroianni und Benjamin Biolay) seine Nachstellung erfährt. Ein Paar, das auch deshalb so faszinierend ist, weil man nie weiß, was an dieser grellen Erscheinung (der geniale, misanthropische Lustmolch und die charmante, zwanzig Jahre jüngere Muse) ungebremste Offenheit und was clevere Erfindung ist. Was freilich daran liegt, dass beides, wie immer in solchen Fällen, bis zum Gehtnichtmehr voneinander durchdrungen ist.
Als Jane Birkin, damals eine junge Nachwuchsschauspielerin, ihrem Serge 1968 am Set zu einem schmal budgetierten Murks-Streifen namens „Clover“ erstmals begegnet, findet sie den anerkannten Erfolgskomponisten, der bereits in allen erdenklichen Genres seine Duftmarke hinterlassen hatte, einfach nur „horrible“. Es ist weniger seine von ihm selbst gebetsmühlenartig angeführte vermeintliche Hässlichkeit, als sein rüdes Benehmen, das sie abstößt. Dieser Serge Bourguinon oder wie er auch immer heißen mag, mache sie wahnsinnig, lässt sie ihren Bruder, den Regisseur Andrew Birkin, wissen. „Er ist so arrogant und versnobt, und er verachtet mich zutiefst.“ Angesprochen auf seine erste Reaktion auf Birkin, sagt Gainsbourg in einem TV-Interview aus dem Jahr 1970, während seine Partnerin danebensitzt: „Jane? Wer ist diese Hure?“
Beide sind sie verletzte Seelen, der geniale Januskopf des europäischen Pop mit den jüdisch-russischen Wurzeln und die in London geborene Tochter eines Militärs und einer Schauspielerin: Gainsbourg hat gerade von Brigitte Bardot, mit der er in den Jahren zuvor dem französischen Pop ungeahnte Knalligkeit verliehen hat, den Laufpass bekommen, sie ist nun mit dem Berufsjetsetter Gunter Sachs zusammen. Birkin wiederum hat sich soeben von ihrem Gatten, dem James-Bond-Filmkomponisten John Barry scheiden lassen, der es auf seinen zahlreichen Reisen mit der Treue wohl nicht ganz so genau genommen hatte. Der rastlose, dauerinspirierte Gainsbourg ist da mit seiner freimütigen Art ein ganz anderes Kaliber. Andrew Birkin: „Während John dazu neigte, herablassend und distanziert aufzutreten, verhielt sich Serge verschwörerisch; John war ein nüchterner, reservierter Yorkshire-Typ -Serge ein extravaganter russischer Jude.“ Was Andrew angeht, so ist es Liebe auf den ersten Blick. Seine Schwester aber braucht ein wenig länger:“Er hatte keinen Sinn für Höflichkeit oder Freundlichkeit. Aber irgendwann verstand ich, dass das, was ich für Streitlust und Aggressivität hielt, Schüchternheit war.“ Der erste gemeinsame Abend verläuft spektakulär: Gainsbourg schleppt Birkin zunächst in einen Nachtclub, dann in einen Transvestiten-Laden und schließlich ins Hilton-Hotel, wo sie sich im Bad einschließt und er strunzstramm auf dem Bett einschläft. Sie findet ihn süß und kauft am Morgen die Single „Yummy, Yummy, Yummy (I Got Love In My Tummy)“, die sie, bevor sie endgültig das Hotelzimmer verlässt, dem immer noch komatös herumliegenden Gainsbourg zwischen die Zehen steckt. Gainsbourg ist besessen von Birkins knabenhaftem Körper, diese aber hat anfangs Angst, mit einem Vollblutweib wie Brigitte Bardot nicht konkurrieren zu können. Gainsbourg beteuert, vor großen Brüsten regelrecht Angst zu haben, schleppt sie in eine Cranach-Ausstellung und zeigt ihr schmalhüftige Frauen aus dem 16. Jahrhundert: „Da, wunderschön, das bist du!“
1969, von Gainsbourg bereits im Jahr zuvor in einem Duett mit der Bardot zum „Année Erotique“ ausgerufen, wird für Birkin und Gainsbourg zum Annus mirabilis: Die beiden werden ein Paar und veröffentlichen das Album „Jane Birkin / Serge Gainsbourg“, auf dem es vor lüsternen Bässen und seufzenden Streichern, sinistrem Geraune und lieblichem Gepiepse nur so wimmelt. Ein paar Lieder, die ursprünglich für Brigitte Bardot bestimmt waren, lässt er Jane noch einmal singen, darunter eine Nummer, die bald in keinem holzvertäfelten Partykeller und in keiner Schwerenöter-Bettstatt mehr fehlen darf: „Je T’aime…Moi Non Plus“. Die beiden werden weltberühmt, die BBC boykottiert, und die Vatikan-Zeitung „L’Osservatore Romano“ poltert ob des Gestöhns, obgleich der Text bei aller Lüsternheit eher ein typisches Beispiel für Gainsbourgs textliche Surrealismen ist. Tatsächlich ist sein berühmtester Song bestens geeignet, um vorzuführen, was genau das Besondere an seiner Musik ist: Der Beat ist so zeitgenössisch, wie es nur geht, die Melodie beinahe schmerzhaft sehnsuchtsprall und saftig arrangiert und der Text und seine Darreichung von beispielloser Cleverness.
Sicher, Gainsbourg hat auch vor seiner Begegnung mit Jane Birkin zahlreichen Frauen – man möchte die Formulierung so gern vermeiden, aber bei ihm muss sie sein – Songs auf den Leib geschrieben. Zu nennen wäre der bereits erwähnte quietschbunte Zitat-Pop, den er auf zwei Alben mit der Bardot machte, aber auch Jean-Luc Godards Ex-Frau, die dänische Schauspielerin Anna Karina, weiß er auf einem Album in Szene zu setzen. Die für den Komponisten wichtigste Frau vor Jane dürfte aber das blonde Yé-Yé-Mädchen France Gall gewesen sein: Hatte sich Gainsbourg früher eher in naserümpfender Weise über Pop geäußert, komponierte er die Pagenkopfträgerin beim Grand Prix L’Eurovision de la Chanson 1965 mit dem schmissigen „Poupée de Cire, Poupée de Son“ zum Sieg. Schöner noch ist der so zuckersüße wie genialische Schmierlappen-Schlager „Les Sucettes“, darin Gainsbourg die mädchenhafte Sängerin die Vorzüge von Anis-Lollis preisen lässt. Tatsächlich handelt das Lied natürlich von Oralsex, was sich nicht nur der jungen Sängerin jedoch erst später erschloss. Auf YouTube findet sich ein TV-Auftritt, bei dem die beiden das Lied 1966 gemeinsam im französischen Fernsehen singen. Gainsbourgs charmantschmieriges Grinsen während Galls Gesangspassagen ist unbezahlbar. Er vergisst sogar zu rauchen.
Doch erst mit Birkin hebt der Pop-Experimentalist vollends ab und perfektioniert gleichzeitig seine widersprüchliche Kunstfigur: Er lebt in Talkshows, gibt sich aber scheu und linkisch, er spricht von Verletzlichkeit und ist grob, er provoziert und wirkt selbst so dünnhäutig, er dreht Trashfilme und spielt kunstvollen Pop, er sucht Romantik und versprüht Zynismus, er ist Hyde und Jeckyll, Vater und Verführer. 1971, im Geburtsjahr der gemeinsamen Tochter Charlotte, erfindet Gainsbourg einen Tanz, „La Décadanse“, von dem er ehrlicherweise zugibt, es handele sich im Wesentlichen um einen langsamen Schieber, bei dem die Frau dem Mann den Rücken zudreht, damit dieser ungehindert ihre Brust befummeln kann. Ein Erfolg wird das Ganze nicht, aber das ist dem Gitanes-Mann erwartungsgemäß einigermaßen schnurz. Gainsbourg hat mehr Ideen, als er Zigaretten rauchen kann. Ein paar Jahre später denkt er Nazitum und Rock’n’Roll zusammen. Das dabei entstandene Album „Rock Around The Bunker“ lässt er über Janes Bruder Andrew gar Albert Speer zukommen.
Und Jane B? Es liegt nahe, in ihrer Rolle als Muse nach einer Opfer-Mentalität zu stöbern und sie zum reinen Medium zu degradieren. Doch auch wenn Serge sie gern als stille ewige Nymphe inszeniert, ist in den Interviews, die Birkin in den Siebzigern gibt, stets eine selbstbewusste Frau mit einer ganz eigenen Sicht auf die Dinge zu erleben. Angesprochen darauf, was sie denn an Serge finde, sagt sie: „Mir gefällt es, dass jeder ihn grauenhaft findet. Ich hatte als kleines Kind mal einen Papagei, der jeden gebissen hat, nur mich nicht. Er liebte mich, weil ich mich traute, ihn unter seinen Flügeln zu kitzeln. Alle sagten:,Wie kannst du nur diesen grauenhaften Papagei mögen?‘ Ich fand ihn wunderschön, aber ich wollte nicht, dass die anderen es wussten. Es war mein Geheimnis.“ Doch auch wenn Jane Birkin immer wieder voller Zärtlichkeit Gainsbourgs fürsorgliche Seiten, seine hingebungsvolle Liebe zu Tochter Charlotte (und Janes Tochter Kate) und seinen kindlichen Humor preist, ist es doch mehr als schwierig mit dem eifersuchtszerfressenen Gefühlsextremisten. Freunde, schrieb die Birkin mal an Bruder Andrew, habe Serge keine, nur Geschäftspartner und Verflossene. Folglich wurde viel zu Hause ausgetragen. „Manchmal ist es hart, mit ihm zu leben, aber wer will schon ein einfaches Leben?“, sagt Jane in einem Interview für den Film „Cannabis“ aus dem Jahr 1970.
Obwohl es bis heute in zahlreichen Quellen immer noch anders steht, heirateten die beiden nie. 1980, nach 13 Jahren voller Eifersucht, Alkohol, großartiger Kunst, Gezänk und Liebe, trennt sich Jane Birkin von Gainsbourg. Sie kann nicht mehr. Heute gibt sie als Gründe für die Trennung meist seine extreme Eifersucht und die Alkoholexzesse an. Oft habe er morgens, wenn er um vier von irgendwelchen Sauftouren nach Hause kam, das Schlüsselloch nicht mehr finden können. Geschlagen habe er sie nicht, wohl aber damit kokettiert. Birkin ist nun mit dem Regisseur Jacques Doillon zusammen, bleibt Serge aber eng verbunden. Dem ROLLING STONE sagt sie 2003: „Nachdem ich Serge verlassen hatte, wurde ich für ihn quasi zum Sprachrohr, mit dem er seinen Schmerz ausdrückte. Oft sang ich im Tonstudio, und Serge stand weinend hinter der Glasscheibe.“ Für Birkin zählen die Lieder dieser Phase zu seinen besten. Dass Birkins 1982 geborene dritte Tochter Lou gar nicht von ihm, sondern von Doillon stammt, ist dem großen Leidenschaftler einigermaßen egal, er lässt seine Dienerschaft wiederholt teure Geschenke für Lou überbringen. Lou dankt es ihm, indem sie ihn „Papa Deux“ nennt.
In den achtziger Jahren wird Gainsbourg immer mehr zum kaputten, bösen Gainsbarre, der von ihm selbst erschaffenen Nemesis. Er torkelt besoffen über Bühnen und durch TV-Shows, zündet aus Protest gegen das französische Steuersystem im Fernsehen eine 500-Franc-Note an, lallt Whitney Houston entgegen, mit ihr Sex haben zu wollen, pöbelt, wo es nur geht und wälzt sich im Video zu „Lemon Incest“ mit seiner 12-jährigen Tochter Charlotte im Bett. Birkin versteht sich besser denn je mit Serge: Manchmal kommt er nachts um 2 in Begleitung von Polizisten vorbei, weil er eins seiner Lieblingsgerichte haben möchte. Als Gainsbourg 1991 stirbt, trägt ganz Frankreich Trauer. Mitterand spricht im Fernsehen, und Jane Birkin kündigt an, nie wieder singen zu wollen. Ihr geliebtes Kuscheltier aus Kindheitstagen, ein Affe namens Munckey, den sie auf dem „Melody Nelson“-Cover vor ihren Körper presst, um ihren Schwangerschaftsbauch zu verbergen, wird gemeinsam mit Serge beerdigt. Doch sie kann nicht von ihrem Ex lassen. Die Ehe mit Doillon scheitert letztlich daran, dass er -wie es der „Observer“ ausdrückte -„mit ihrer Trauer um Gainsbourg nicht mithalten konnte“. Seither gehört das Verwalten von Serges Erbe fest zu ihrem Leben. Bei Tochter Charlotte ist es nicht anders. Als Ihr geneigter Autor vor Jahren mit der Schauspielerin und Sängerin ein Interview führte, sprach diese so leise, dass auf dem Band stellenweise nichts zu hören war. Meist erzählte sie überschwänglich und voller Zuneigung von Serge – und das, obwohl man zuvor von ihrem Betreuerstab ausdrücklich angewiesen worden war, die berühmten Eltern bitte außen vor zu lassen. Heute verwaltet Charlotte Serge Gainsbourgs Haus auf der Pariser Rue de Verneuil. Als sie vor einigen Jahren in Joann Sfars Spielfilm „Gainsbourg“ ihren Vater spielen sollte, brach sie das Projekt nach Auskunft des Regisseurs nach sechs Monaten ab. Zu schmerzhaft.
Jane Birkins jüngstes Statement zu Serge Gainsbourg ist das Vorwort zum nun erschienenen Andrew-Birkin-Fotobuch „Jane &Serge“. Ihr Text, schreibt sie da an Andrew, sei ein Dank dafür, dass er alles eingefangen habe,“was unsere Schönheit ausmachte, mit allen Späßen, Grimassen und auch den bouderies, den Schmollereien, jenes vergangenen Lebens, in dem Serge uns bald Tränen lachen, bald an extremsten slawischen Dramen teilhaben ließ“. Das Buch zeigt -nein, eben keinen anderen Serge oder Serge, wie man ihn noch nie gesehen hat, auch wenn Jane Birkin das anders sehen mag. Denn das er auch all das war, was man hier sieht – den liebenden Vater, Spaßvogel und verknallten Kindskopf -, wusste oder ahnte man. Die Fotos runden somit das altbekannte Bild aufs Schönste ab: Lucien Ginsburg, wie er ursprünglich hieß, war ein extrem sensibler Mann, der große Kunst geschaffen hat und ebenso viel Talent zur liebenswerten Knallbirne wie zum Arschloch hatte. „Vor meinem Spiegel ertrinke ich, weil ich nicht weiß, wie man schwimmt“, sagt Gainsbourg in einem Interview aus den frühen Jane-&-Serge-Tagen. Manche sähen eine Reflexion des Himmels, er aber sehe Sumpfland. Dann fügt er hinzu: „Sähe ich besser aus, würde ich an Erschöpfung sterben.“ Genau so ist es letztlich dann zwanzig Jahre später gekommen. Serge Gainsbourg hatte sich erschöpft.
„Jane & Serge“ zeigt sie noch einmal, die Geschichte, die man nicht mehr neu erzählen kann. Manche werden sich bemüßigt fühlen, von der Geschichte einer amour fou zu faseln, wie immer, wenn mindestens ein kettenrauchender Segelohr-Franzose in die Sache verstrickt ist. Eins aber war es mit Sicherheit, was dieses seltsamste aller Pop-Paare miteinander teilte: Liebe.
Alle Fotos stammen aus dem wunderbaren Bildband „Jane & Serge. A Family Album“ von Andrew Birkin und Alison Castle. Das 176-seitige Hardcover-Buchset mit teils unveröffentlichten Bildern, Poster, Aufkleber und diversen Extras ist im Taschen-Verlag erschienen.