Bicycle Race
Fahrradfahren in London ist super und oft die schnellste Art, sich durch die Stadt zu bewegen. Einerseits. Andererseits riskiert man dabei sein Leben. Bürgermeister Boris Johnson hat recht, wenn er stolz die Radtauglichkeit der Stadt betont. Sie ist weniger hüglig als Paris und hat mehr Parks und Grünflächen als jede andere Stadt in Europa. Ich zum Beispiel radle auf dem Heimweg angenehm sorglos durch zwei verkehrsfreie Parks am Kanal zwischen Hackney und Islington. Hier, im Osten Londons, gibt es überhaupt die meisten Radfahrer. Hier ist es auch normal, mit dem Rad zu Konzerten ins Shacklewell Arms oder ins trendige Hoxton Bar &Grill zu fahren. Hier gehört Radfahren mittlerweile zum Nachtleben.
Und sonst? Immerhin zehn Prozent Verkehrsanteil, das klingt ganz gut, obwohl es deutlich unter den Zahlen von Berlin oder München bleibt und meilenweit entfernt von den 37 Prozent in Amsterdam. Londoner Radfahrer träumen von Kopenhagen, wo die Radkultur wunderbar ins allgemeine Verkehrsnetz integriert ist; aber sie wachen in der düsteren Realität einer mindestens fünfzehnmal größeren Stadt auf, mit den entsprechenden Einwohnerzahlen und Problemen. Außerdem stammen viele Straßen Londons noch aus vergangenen Empirezeiten und sind schlicht überfordert: Doppeldeckerbusse, die dicken schwarzen Taxis und die Kleintransporter (die ich persönlich am meisten fürchte) sind eigentlich schon beängstigend genug; aber mit den ganzen Autos, Motorrädern und riesigen Lastwagen steht man eigentlich ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs. Oder Schlimmerem. Im November starben in nur zwei Wochen sechs Radfahrer auf den Londoner Straßen. Ein paar davon kamen auf den sogenannten Cycle-Superhighways um: vier zentrale Verkehrsadern, auf denen ein blau bemalter Seitenstreifen für Räder abgetrennt ist – ja, es ist genau so erbärmlich, wie es klingt. Der Bürgermeister wiederum ließ sich zur allgemeinen Empörung lieber über die Missachtung von Verkehrsregeln durch Radfahrer aus, als über die stümperhafte Verkehrsplanung und die Sicherheitsdefizite zu sprechen. Lastwagen machen nur fünf Prozent des Verkehrs aus, aber sie sind in die Hälfte aller tödlichen Radunfälle verwickelt. Es gibt Vorschläge, sie wie in Paris während der Stoßzeiten im Citygebiet zu verbieten. Nach dem Vorbild der holländischen „Stop de Kindermoord“-Demonstrationen in den Siebzigern legten sich neulich bei einem „Die-In“ mehr als 1.000 Radfahrer aus Protest vor die Zentrale des Londoner Verkehrsverbundes.
Boris Johnson ist ein lässiger, marktliberaler Konservativer, der lieber auf freiwillige Verhaltensregeln als auf Gesetze setzt. Bei seinem Faible für die große Geste könnte ihm allerdings „SkyCycle“ gefallen, ein geniales Wegesystem drei Stock hoch über dem vorhandenen Schienennetz. Der ehrgeizige Entwurf von Stararchitekt Norman Foster sieht ein Netz aus 220 Kilometern und 209 Auffahrten vor -Platz für viele Millionen Fahrten pro Jahr. Das klingt natürlich toll -aber der Kilometer würde horrende 45 Millionen Euro und viele Jahre Bauzeit kosten. Und Johnson hat weder Zeit noch Geld.
Auf meiner Kanalstrecke gibt es diese Probleme nicht. Fast überall sonst in London müssen Radfahrer eben weiterhin von Kopenhagen träumen. Oder vielleicht einen neuen Bürgermeister wählen.
Unser Autor David Swindells war 20 Jahre Redakteur beim Londoner Stadtmagazin „Time Out“. Nächsten Monat schreibt David Fricke wieder aus New York.