Gepimpte Heimat
DAS NAVIGATIONSGERÄT führt buchstäblich ins Nichts einer planierten, schuttbedeckten Fläche. Das nächstgelegene Gebäude auf dem trostlosen Industriegelände am Rande Offenburgs ist eine alte Baracke, schmucklos bis auf ein paar verschmierte Tags. Im Türspalt erscheint ein geschorener Kopf. „Stefan ist drin“, sagt der Typ im Kapuzenpulli. Irgendwie hätte man sich das Künstlerdomizil von Stefan Strumbel anders vorgestellt: mit einer riesigen grellen Leuchtreklame über dem Eingang oder einem blinkenden roten Pfeil, in dem das Wort „Heimat“ aufleuchtet. Oder wenigstens mit ein paar subversiven Stencils an den Wänden.
Drinnen liegt beißender Lackgeruch in der Luft, ringsum Bilder: Schwarzwaldmädels mit Bollenhut, vermummt mit Jagdgewehr posierend oder unsittlich eine Banane zwischen den Lippen. Sowie einige der ikonografischen, quietschbunten Kuckucksuhren, die inzwischen bei betuchten Sammlern wie Selim Varol, Karl Lagerfeld oder Hubert Burda im Wohnzimmer hängen. In einer Ecke des neonhell erleuchteten Raums von der Größe eines Handballfelds sitzt Stefan Strumbel. Seine gut 1,90 Meter Körpergröße hat er auf einem alten Stapelstuhl direkt neben dem Heizkörper zusammengefaltet, die schwarze Caban-Jacke fest um sich gezogen. Der 33-Jährige ist ein bisschen verschnupft, aber einen Ex-Sprayer haut so schnell nichts um. „Zehn Jahre war ich fast jede Nacht bei Wind und Wetter draußen, es ging nur um den Kick“, beschreibt er seine eigene Kunsterziehung auf den Straßen seines beschaulichen Heimatstädtchens. In seinen Beruf wurde er quasi hineingezwungen: „Ich hatte durchs Sprayen hohe Kosten, weil ich ständig für Anwälte und Bußgelder aufkommen musste. Meine Eltern haben gesagt: Du hast das angerichtet, dann bezahlst du das auch selbst. Also habe ich Auftragsarbeiten gemacht.“
„Graffiti war mein Sprungbrett“, sagt er. „Ich habe extra Züge besprüht, die nach Berlin fuhren, damit möglichst viele Menschen meine Graffitis sehen.“ Auf der Suche nach Eigenständigkeit verfiel er auf die Sache mit den Heimatkitsch-Motiven als persönliche Icons: „Als Sprayer kopierst du eine Kultur, die ihre Heimat in New York hat. Ich sitze aber in Offenburg, im Schwarzwald. Da muss ich doch was machen, bei dem die Leute sehen: Das ist vom Stefan.“
Der Übergang von der Straße ins Museum fiel dem pragmatischen Künstler nicht schwer: Die weißen Wände und die leeren Räume füllte er mit den allerersten „verstrumbelten“ Kuckucksuhren. Heute sind die bonbonfarbenen Kultobjekte, bei denen der Künstler die traditionellen Applikationen (Rehe, Tannenzapfen, Eichenlaub) durch popkulturelle Motive (Schädel, Schwingen, Herzen) ersetzt -und die immer auf fünf vor zwölf stehen -, sein Markenzeichen. Eine „verheimatete“ gar das Cover des „New York Times Magazine“.
Besonders in den USA scheint der Sprüher aus der idyllischen deutschen Provinz den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Durch Globalisierung und Schnelllebigkeit sei das Heimat-Thema eben aktuell, glaubt Strumbel. „Heimat ist die stärkste Droge der Welt! Die Menschen fürchten das Flüchtige und Große. Sie sehnen sich nach Geborgenheit.“ Doch für Strumbel ist Heimat ein dialektischer Begriff, in dem die Ausgrenzung des Fremden und Andersartigen immer mitschwingt. Da ist er noch immer der Sprayer im Gewimmel der City, der den öffentlichen Raum nach seinem Geschmack umgestaltet – ungefragt. „Ich will mich schließlich wohlfühlen in meiner Stadt“, sagt Strumbel und lacht.
Mit Gegensätzen spielt er gern: Vor den Eingang des Karlsruher Barockschlosses stellte er im vergangenen Jahr eine 18 Meter hohe Kuckucksuhr, aus der dem Besucher statt eines Vögelchens eine riesige Rolling-Stones-Zunge entgegenkam. Bekannt wurde er 2011, als er die katholische Kirche im badischen Dörfchen Goldscheuer mit LED-Bändern, Streifenoptik und Comic-Elementen aufpimpte.
Für sein Gastspiel auf der Kunstmesse Art Karlsruhe im März bediente Strumbel sich religiöser Motive: Der Koons-Fan hat riesige Ballonfiguren entworfen, „wie bei der Macy’s Parade in New York“. Unter anderem ein zehn Meter großes Kruzifix, das über einem monumentalen, innen verspiegelten Kirchenbau schweben soll. Ein Seitenhieb auf die Rituale und Konventionen des Kunstbetriebs? Strumbel grinst: „Na ja, die heilige (Kunst-)Messe eben.“
Im Sommer will Strumbel sich in sein im Bau befindliches neues Studio zurückziehen, um seinen Angriff auf den internationalen Markt vorzubereiten. Bislang hat er alle Angebote abgelehnt. Er hält es wie im Fußball: „Erst mal die Heimspiele gewinnen.“