Soprano im Schnee

AM ANFANG SEHEN WIR STEVEN Van Zandt so, wie wir ihn aus den „Sopranos“ kennen: Er blickt grimmig in einen Sarg, die Unterlippe vorgeschoben, den Körper gebeugt. Aber anders als Silvio sagt Frank Tagliano seinem Paten die Wahrheit: Der sei nicht geeignet als Oberhaupt der Familie, und er solle aufpassen. In der nächsten Szene wird Tagliano in seiner Bar beinahe erschossen; es erwischt sein Schoßhündchen Lily. Und weil er jetzt auspackt, schickt ihn das FBI in eine weit entfernte Weltgegend, er selbst schlägt den Ort vor, den er aus dem Fernsehen kennt: Lillehammer in Norwegen, wo 1994 die idyllischen Olympischen Winterspiele stattfanden: sauberer Schnee, unberührte Natur, freundliche Menschen. Tagliano heißt jetzt Giovanni Henriksen; Lillehammer ist „Lilyhammer“.

Das Panorama von New York verschwindet im Rückspiegel des Taxis, dann sitzt Giovanni im Zug nach Lillehammer und hört unterm Kopfhörer einen Sprachkurs. Als zwei jugendliche Rüpel das Abteil betreten und einem Mann die Mütze stehlen (eigentlich undenkbar in Norwegen), schreitet der furchtlose Mafioso ein: Die Mütze kehrt zu ihrem Besitzer zurück, und die gegenübersitzende Frau mit Kind blickt Giovanni bewundernd an. Es könnte eine Erfolgsgeschichte werden.

In der Stadt hat man ihm ein schlichtes Flachdachhaus zugewiesen, es ist funktional und schmucklos. Die meisten Norweger wohnen in solchen Häusern, sie kaufen sie sogar und verbringen ihr Leben mit der Abzahlung der Schulden. Giovanni findet einen Norwegerpullover. Die Polizistin des Bezirks lernt er am nächsten Tag kennen, sie ist seine Nachbarin. Und dem Sachbearbeiter auf dem Amt schiebt er einen Packen mit Geldscheinen über den Schreibtisch, damit die Eröffnung der Bar unbürokratisch vonstattengehen kann. Der Beamte aber ist empört und vermutet Bestechung statt Landschaftspflege, und Giovanni muss das Päckchen mit Hinweis auf „kulturelle Unterschiede“ wieder einstecken. Derselbe Beamte leitet aber auch den Sprachkurs. Bald lernt Giovanni eine Frau kennen, die Lehrerin Sigrid Haugli, er bekommt seine Kneipe und beginnt mit Partner Torgeir einen Handel mit Alkohol, der bisher in der Hand einer lokalen Bande war. Die Polizeichefin beäugt argwöhnisch die Aktivitäten auf dem Nachbargrundstück. Ein Schurke wird mit Skiern von der Sprungschanze von Lilyhammer gestoßen.

„Lilyhammer“ ist eine Variante des Films „Brügge sehen und sterben?“, in dem zwei Killer für einen Mord nach Brügge reisen. Der Auftraggeber in England schwärmt immerzu am Telefon von den prächtigen Bauten, den illuminierten Straßen, den märchenhaften Kirchen -er hat als Kind Brügge gesehen und den magischen Eindruck nie vergessen. Die beiden Mörder versuchen tölpelhaft, ihren Auftrag zu erledigen -und scheitern an den besonderen Wirren der Stadt. Man könnte sagen, dass diese Art von Zivilisation nicht für Mord und Totschlag gemacht ist, dass Architektur und Topografie nicht passen. Brügge ist zu schön.

Auch Lillehammer ist ein bizarrer Ort für Verbrechen. Eine Million Norweger sahen „Lilyhammer“, produziert vom norwegischen Fernsehen und einem kleinen amerikanischen Kabelkanal. Es gibt überhaupt nur fünf Millionen Norweger, und jeder fünfte kennt wohl Steven Van Zandt als Mitglied von Bruce Springsteens E Street Band. In den 80er-Jahren nahm er als Little Steven eigene Platten auf und engagierte sich gegen die Apartheid in Südafrika. Für die Dreharbeiten reiste er nach Lillehammer; die zweite Staffel wird jetzt gedreht.

Seit Olympia war die Stadt im Schneehäuschen verschwunden. „Lilyhammer“ zeigt nun einen Härtefall von Integration – und sein allzu gutes Gelingen.

„Lilyhammer“ läuft bei TNT Serie.

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