Alles war gesagt. Wie ein letztes großes Statement vor dem Ende der Welt mutete „Postcards From A Young Man“ an: Die charakterfesten Waliser tosten über uns hinweg wie ein Tornado und rammten schließlich ihre Fahne in den Boden, als ultimatives Rock’n’Roll-Monument. Nichts, gar nichts konnte mehr darauf folgen. Dachte man. Und nun das: Auf Zehenspitzen schleichen sich James Dean Bradfield, Nicky Wire und Sean Moore zurück in unsere Mitte, sitzen plötzlich mit Akustikgitarre neben uns, streichen uns über den Kopf und singen uns hingebungsvoll in den Schlaf. Im Hintergrund seufzen die Streicher, jubilieren die Bläser, und Bradfield singt: „Yes, rewind the film again, so I can fall asleep content.“ Mit ihrem nunmehr elften, mithilfe des Haus-Engineers Loz Williams selbst produzierten Album haben die Manic Street Preachers ihre ganz individuelle Definition von Acoustic Soul geschaffen, mit dem Titelsong ihr ureigenes „Strawberry Fields Forever“, einen Track für einige Dutzend Ewigkeiten. Als größte Überraschung erhebt sich dabei der Bariton von jemandem, mit dem keiner gerechnet hat: Sheffields Top-Crooner Richard Hawley konterkariert Bradfields typischen „Larger than life“-Gesang und spielt dazu auch noch auf seiner Hawaii-Gitarre.

Bei „This Sullen Welsh Heart“ steht Bradfield dagegen Lucy Rose zur Seite – und die beiden harmonisieren wie ein singendes, liebevoll miteinander umgehendes Folklore-Ehepaar; „4 Lonely Roads“ gehört allein der walisischen Kollegin Cate Le Bon. Um hier nur einige weitere Höhepunkte zu nennen: „Builder Of Routines“ schlägt die Brücke von den Beatles zu den Beach Boys, wenn Sean Moores Waldhorn den Refrain von „God Only Knows“ aufgreift, „Show Me The Wonder“ führt den Las-Vegas-Elvis mit den Boo Radleys zusammen, „As Holy As The Soil“ beginnt mit einem Captain-Beefheart-Sample, „Anthem For A Lost Cause“ präsentiert sich wie ein lebenskluger Hausgenosse von „A Design For Life“. Welcher bisherigen Bandphase „Rewind The Film“ am ehesten entspricht? Wenn überhaupt, dann verkörpert dies die gezügelte Fortsetzung des melodramatischen, von Soul beeinflussten „This Is My Truth Tell Me Yours“ (1998).

Zum Schluss rechnen sie noch einmal mit den Konservativen ab, rollen die politischen und sozialen Auswirkungen des auch unter David Cameron praktizierten Thatcherismus auf – inklusive des Bergarbeiterstreiks von 1984/85. „30-Year War“, geschrieben vor dem Tod von Margaret Thatcher, ist die wütendste Nummer hier, das Bindeglied zu einem zweiten gleichzeitig aufgenommenen Rockalbum (geplante Veröffentlichung: 2014) – mit dem David Bowie der „Lodger“-Phase als offensichtlichem Einfluss. Und dann steht man genauso sprachlos da, als hätten sie uns an die Wand gerockt. Ganz behutsam drehen die Manic Street Preachers, ausgestattet mit Samthandschuhen, diesmal ihre Fahne in den Boden. Sie steht aufrechter als je zuvor.