Rolling Stones: Alles Gute zum 75. Geburtstag, Mick Jagger!
Ein Ritter der Untugend: Noch immer verzehrt sich Mick Jagger, der Sänger der Rolling Stones, nach Liebe. Am Donnerstag wird er 75.
Zu den saftigsten Anekdoten, die Mick Jaggers Bedeutung illustrieren, gehören die Apercus über seine Ernennung zum Ritter am 12. Dezember 2003. Natürlich hatte kein Mensch angenommen, dass ausgerechnet Jagger je diese Ehre zuteil würde. Aber Tony Blair, der Premierminister von Cool Britannia und seit seiner Jugend ein Bewunderer der Rolling Stones, schlug den renitenten Sänger immer wieder vor.
Die Queen indes pflegt seit den 60er-Jahren eine Abneigung gegen Jagger: Zweimal wurde er wegen Drogenbesitzes angeklagt und verbrachte einmal kurze Zeit im Gefängnis, er erklärte seine Sympathie für den Satan und versuchte alles, um in England keine Steuern zahlen zu müssen. Als Vater von sieben Kindern von vier Frauen taugt er ebenso wenig zum Vorbild wie als Staatsbürger, der Elizabeth II. stets „Chief Witch“ nannte und forderte, es dürfe so etwas wie privaten Besitz nicht geben. Noch gravierender war allerdings seine Freundschaft mit Prinzessin Margaret, der notorisch leichtlebigen Schwester der Königin, mit der Jagger einige Partys von unaussprechlichen Ausmaßen gefeiert haben soll. Die Queen fürchtete den schädlichen Einfluss des Hedonisten.
Prince Charles kommt, Jagger lässt die Hand in der Hosentasche
Als der Termin des Ritterschlags nahte, begab sich Elizabeth in ein Hospital, um sich einer Knieoperation zu unterziehen und Läsionen im Gesicht entfernen zu lassen. „I would much rather be here than at Buckingham Palace, knighting a certain party“, giftete sie zwei Tage später, am Stock gehend. So fiel Prince Charles die Pflicht zu, den Unliebsamen zu adeln. Auch er hatte schlechte Erinnerungen an Jagger: Prinzessin Diana war ein Fan der Rolling Stones und wollte den Musiker in den 80er-Jahren zu einem Bankett einladen, doch nach Charles‘ Veto ließ sie sich auf Phil Collins herunterhandeln. 1991 beging Mick Jagger eine Majestätsbeleidigung, als er bei einer Veranstaltung des Prince’s Trust den Gastgeber begrüßte – und eine Hand leger in der Hosentasche hatte.
Vater Basil „Joe“ Jagger war Sportlehrer, Mutter Eva zeitweilig Avon-Beraterin. Michael Philip Jagger fiel schon an der Grammar School in seiner Heimatstadt Dartford unangenehm auf, als er in den späten 50er-Jahren die Haare lang wachsen ließ. Bei einer Zugfahrt nach London lernte er Keith Richards kennen, der früher dieselbe Grundschule besucht hatte und in seinem Ranzen ebenfalls amerikanische Blues-Platten mit sich trug. Eine Weile studierte Michael – der sich Mick nennen ließ – Wirtschaftswissenschaften in London. Er spielte schlecht Gitarre, passabel Mundharmonika und nur wenig Klavier – aber er konnte singen. Mit dem Freund Keith trat er einer Band bei, die sich Rollin‘ Stones nannte und von einem uncharismatischen Pianisten namens Ian Stewart gegründet worden war.
„Satisfaction“: Motto der Nachkriegsgeneration
Der arme Stewart wurde bald herausgedrängt, und der Gitarrist Brian Jones, Bill Wyman am Bass und Charlie Watts am Schlagzeug komplettierten die Gruppe. Wie so viele Bands in London 1964 spielten die Rolling Stones (so die modifizierte Schreibweise nach einem Song von Muddy Waters) den fiebrigen Rhythm & Blues der Schwarzen nach; ihre Idole waren Lightnin‘ Hopkins und Robert Johnson, John Lee Hooker und eben Muddy Waters – doch bald interessierten sich Jagger und Richards auch für die amerikanische Country Music. Die erste Single wurde ihnen noch von den befreundeten Beatles geschrieben, doch schon 1965 gaben sie mit „Satisfaction“ und dem elektrisierenden Gitarrenriff der Revolution der mürrischen, unsicheren Nachkriegsgeneration das Motto.
Fortan standen die Stones, geleitet von dem jungen Manager-Fuchs Andrew Loog-Oldham, für die dunkle Seite der Sixties, für Tumult, Aufsässigkeit und Drogenkonsum. Während die Beatles gemütlich mit Bob Dylan ihre Joints rauchten, später LSD und Heroin entdeckten und im Rausch ihre späten Meisterwerke aufnahmen, traten die Stones offen gegen Establishment, Presse und Polizei an – und gewannen. Die Psychedelia und der Summer of Love irritierten die Band kurzzeitig, doch sie kehrte schnell zum Kerngeschäft zurück. Der typische Rolling-Stones-Song handelt davon, dass der Mann Liebe ersehnt, Sex meint und ein Mädchen bekommt, mit dem das Leben aber unmöglich ist, weshalb sich der Mann nach anderen Mädchen umsieht. In immer neuen Variationen besingt Jagger das Begehren, die Anmache und den Blues nach der Ekstase. Es ist der gebrochene Machismo eines Casanova, der niemals die Eine meint und zwanghaft seiner Obsession folgt, mühsam sublimiert zur Song-Kunst, die in dem Hilferuf „Gimme Shelter“ gipfelt.
Nach dem Tod des drogenkranken Brian Jones übernahm Jagger endgültig die Geschicke der Band, während Keith Richards als Spiritus rector und Freigeist fungierte. Anfang der 70er-Jahre entstanden die Großwerke „Sticky Fingers“ und „Exile On Main Street“, woraufhin die Stones in Jamaika neue Inspiration suchten und eine wirre Platte (und die Schnulze „Angie“) mitbrachten. Mit „Some Girls“ erschien 1978 ein Album, von dem manche sagen, es sei die letzte bedeutende Stones-Platte gewesen. Für andere ist freilich jede neue Stones-Platte großartig. Seit einer Phase der Desorientierung Mitte der 70er-Jahre gab es Spekulationen um den Zusammenbruch der Gruppe, doch jedes Mal kehrte sie mit neuen Songs und noch größeren Welt-Tourneen zurück.
1985 machte sich Mick Jagger selbstständig und veröffentlichte das dezidiert modernistische Solo-Album „She’s The Boss“, zwei Jahre später folgte „Primitive Cool“. Als er sogar eine Tournee ankündigte, drohte der wütende Keith Richards mit dem Ende der Rolling Stones. 1989 erschien dann „Steel Wheels“, das Versöhnungs-Album. Richards macht keinen Hehl daraus, dass er von Jaggers Alleingängen nichts hält: Das erfolglose Album „Goddess In The Doorway“ von 2001 bezeichnete er als „Goddess In The Ashtray“. Die Adelung des Partners machte ihn fassungslos: „Tell them to stick it up their arse“, soll er ausgerichtet haben. Ein Freund Jaggers berichtet, Mick habe immer schon zum Adel gehören wollen – und wenn das mit gutem Willen nicht zu erreichen war, dann eben mit Geld. Auf 400 Millionen Euro wird Jaggers Vermögen geschätzt, als Verhandlungspartner ist er gefürchtet.
So berühmt Jagger für seine Bühnenshow und den unübersetzbaren „Jagger Swagger“ ist, so sehr fasziniert die Öffentlichkeit seit fünf Jahrzehnten sein sexueller Appetit. In der Skandalbiografie „Mick“ führt Christopher Andersen neben den bekannten turbulenten Ehen mit Bianca Jagger und Jerry Hall sowie Amouren mit Marianne Faithfull und Uschi Obermaier auch Affären mit Angelina Jolie, Sophie Dahl, Carly Simon, Linda Ronstadt, Uma Thurman, Carla Bruni, Madonna und David Bowie auf. Der Gentleman schweigt – und singt darüber. „And I walk the streets of love for a 1000 years/ And they’re drenched with tears“, barmt er auf dem vorletzten Album der Rolling Stones, „A Bigger Bang“.
75 Jahre hat Sir Michael Jagger nun schon geschafft.