Tränen sind nie das Ende
In einer erhebenden Balance aus Folk und Elektronik findet JOHN GRANT Worte für den Freitod eines Freundes und die eigene HIV-Krankheit
Selbstzweifel, Selbsthass, Entfremdung und Isolation: Das sind die Themen, von denen John Grant auf seinem neuen Album „Pale Green Ghosts“ singt. So sarkastische und nachtschwarze Lieder wie er hat schon lange kein Songwriter mehr komponiert, und schon gar nicht so erhabene und schreckenerregend schöne Bilder des Schmerzes entworfen. Die Lieder auf der Platte heißen „Vietnam“ oder „I Hate This Town“; in „Sensitive New Age Guy“ scattet Grant zu einem 80er-Discobeat über den Selbstmord eines engen Freundes; in „Ernest Borgnine“ besingt er die eigene HIV-Infektion und den Wunsch, aus dem endlichen Dasein des Kranken in eine Kino-Fantasiewelt zu fliehen. Flotte Rhythmen und finstere Nabelschau werden in verstörender Weise gegeneinander montiert, bis am Ende dann doch die Worte, die Melodien und die Beats zusammenfinden. „This pain“, heißt es in dem letzten Stück „Glacier“ zu dramatisch sich emporschwingenden Bläsern, „is a glacier moving through you/ Carving out deep valleys/ And creating spectacular landscapes.“
Im Interview erweist sich John Grant als ein sehr schöner, sanfter Mann mit einem sehr weichen Bart und einer nach Karamell klingenden Stimme. Er spricht, obgleich in Colorado geboren, ein absolut fehlerfreies Deutsch, das nur deswegen nicht akzentfrei ist, weil Grant großen Spaß daran findet, alle möglichen Akzente zu imitieren: Pfälzisch, Berlinerisch, Plattdeutsch. „Anfang der Neunziger“, sagt er, „war ich ein Jahr in Heidelberg an der Universität, und dann habe ich mich nach Germersheim umschreiben lassen, um dort Angewandte Sprachwissenschaften zu studieren.“ Germersheim? „Das befindet sich am Rhein zwischen Speyer und Karlsruhe, sehr interessant wegen der Sprache, denn ich hatte in Colorado natürlich Hochdeutsch gelernt, und in Germersheim sprachen die alle Pfälzisch: He, wowinschtnduhin? Wukumschtnuhahe?“
Er schlug dann aber doch keine Dolmetscher-Karriere ein, sondern brach das Studium Mitte der Neunziger ab, um zurück nach Denver zu gehen. Dort gründete er die Folkrockgruppe The Czars und nahm mit ihr sechs Alben auf. Nachdem die Czars 2004 zerfielen, stellte er sechs Jahre lang auch das Musikmachen ein und schlug sich beispielsweise als Barkraft durch. Erst 2011 erschien sein erstes Soloalbum „Queen Of Denmark“ mit dem texanischen Folk-Jazz-Ensemble Midlake als Backing-Band. Schon dies war eine düstere, von Sarkasmus geprägte Platte; unter dem Titel „JC Hates Faggots“ sang Grant etwa über sein Coming-out und die Widrigkeiten, die man als Schwuler im Mittleren Westen gewärtigen muss.
„Pale Green Ghosts“ übernimmt diesen lyrischen Ton und transponiert ihn aus der Folkmusik in elektronischen Pop. Mit trügerischer Heiterkeit pluckern Discobeats unter den Texten; manchmal sägen auch Sinustöne am Song oder schneidende Störgeräusche. „Elektronische Musik hab ich schon immer geliebt“, sagt Grant, „Cabaret Voltaire und Fad Gadget, Revolting Cocks und Chris & Cosey. Meine Industrial-Phase kam direkt nach meiner Abba-Phase.“ Schon früher, mit den Czars, hätte er gern mehr elektronische Instrumente benutzt, doch habe seine Mitmusiker das nicht interessiert. „Und ich selbst kriegte nichts auf die Reihe, denn ich war einfach zu oft besoffen.“
Das erste rein elektronische Stück, mit dem er vor einem Jahr an die Öffentlichkeit trat, nahm Grant mit Hercules and Love Affair auf, der polymorph-perversen Disco-House-Truppe um den ursprünglich ebenfalls aus Denver stammenden DJ Andrew Butler. „Andy hatte den Kontakt zu mir gesucht, und wir haben uns dann in Wien zum Musizieren getroffen.“ Dort nahmen sie den Song „I Try To Talk To You“ auf, ein House-Stück mit einem herrlichen Groove, einer kickenden Kuhglocken-Percussion und einem gleichermaßen befreienden wie beklemmenden Text: Darin bekannte Grant sich nämlich erstmals zu seiner HIV-Infektion. „Ich weiß seit zwei Jahren, dass ich positiv bin, und ich kann mir einfach nicht vergeben, dass mir das passiert ist, dass man so bekloppt sein kann, sich in solch eine Situation zu bringen.“ Im Oktober 2012 trat er mit Hercules and Love Affair beim Londoner Meltdown-Festival auf, und bevor sie „I Try To Talk To You“ spielten, outete er sich vor dem Publikum als infiziert. „Noch in dem Moment, in dem ich auf der Bühne stand, wusste ich nicht, ob es wirklich eine gute Idee war, das zu erzählen, aber dann dachte ich, es gibt vielleicht Leute, die in der gleichen Situation sind, denen es hilft. Und erst waren alle ganz still, aber dann gab es wirklich eine Menge Applaus.“
Das Album hat er dann nicht mit Andy Butler aufgenommen, sondern in Reykjavik mit Biggi Veira von der isländischen Elektrogruppe Gus Gus. Auch ist der befreiende Ton der House-Musik hier wieder einer industrial-haften Schwere gewichen. „Ja“, sagt Grant, „es geht um Vereinzelung und Einsamkeit, aber ich glaube doch, dass man aus dieser Musik Hoffnung heraushören kann: Hoffnung darauf, dass man die Vereinzelung überwindet. Hör dir, Glacier‘ an, da geht doch ganz am Ende über den Gletschern die Sonne auf, oder nicht?“ „Wenn ich, Glacier‘ höre“, sage ich zu John Grant, „muss ich jedes Mal weinen.“ „Ich muss auch jedes Mal weinen“, sagt Grant zu mir. So können die Menschen – und das ist dann doch ein sehr schöner Moment gerade in der Vereinzelung zusammenfinden.