Rewind Today 1983: Muddy Waters stirbt an Herzversagen
Muddy Waters, der "Father Of Modern Chicago Blues" stirbt im Schlaf. Rolling Stone wählte den Musiker zu einem der besten Gitarristen und besten Sänger aller Zeiten.
Im Alter von 70 Jahren stirbt McKinley Morganfield, besser bekannt als Muddy Waters, aufgrund von Herversagen im Schlaf.
„In Chicago“, schreibt Rolling-Stone-Autor Wolfgang Doebeling in einem Rolling-Stone-Porträt (7/2005), „brachte McKinley Morganfield dem Blues Urbanität bei und schuf einen Stil, der ganze Generationen von Musikern in aller Welt beflügelte: Rhythm & Blues.“
Rolling Stone wählte Muddy Waters auf Platz 53 der besten Sänger aller Zeiten. Ben Harper schrieb für uns über Waters‘ Gesang: „Es packt einen an der Gurgel. Wenn dich das nicht bewegt, dann möchte ich wissen, was dich überhaupt bewegt.“
Und auf unserer Liste der 100 besten Gitarristen befindet Muddy Waters sich auf Position 49. Derek Trucks schrieb für uns die Laudatio: „Die Art, wie er spielte, war durch seine Körperlichkeit bestimmt – er spielte die Gitarre perkussiv, wie ein Schlagzeug. Und wenn er Slide spielte, tat er es nie auf den höheren Saiten, sondern immer tief unten im Keller. Es klingt, als wolle er die Saiten gewaltsam herausreißen.“
Wolfgang Doebelings Porträt aus der Ausgabe 7/2005:
Muddy Waters
Er verließ das Mississippi-Delta, um als Musiker berühmt zu werden. In Chicago brachte McKinley Morganfield dem Blues Urbanität bei und schuf einen Stil, der ganze Generationen von Musikern in aller Welt beflügelte: Rhythm & Blues.
Clarksdale ist keine große Stadt, aber nicht schwer zu finden auf der Landkarte. Man folgt den Serpentinen des Mississippi von der Mündung an nordwärts, bis der Fluß auszuufern scheint und sich so krümmt, daß er mit seinen Nebenarmen ein riesiges Areal bedeckt. Das Delta. „In the Delta you’re in the black earth shadow of the river“, heißt es poetisch auf einer Messingplakette an der City Hall, „welcome to Clarksdale, cradle of the blues“. Das Schild hatte man in den 70er Jahren angebracht, um den zahllosen Touristen etwas zum anstaunen zu geben, die ins Delta pilgern auf der Suche nach jenem mythischen Ort, der einst den Blues gebar. Hier also stand sie, seine Wiege. Es kommt vor, daß Wallfahrer ergriffen ihre Basecaps abnehmen, während sie den salbungsvollen Text lesen. American history, man.
Rewind. Clarksdale, Mississippi, im Mai 1943. Es war ein Freitag, kurz nach Sonnenaufgang, als sich ein 30jähriger Traktorfahrer aufmachte ins gelobte Land der Yankees. Die Welt lag im Krieg, doch war er dem Militär durch das Rekrutierungsnetz geschlüpft. Er bestieg den Zug nach Memphis, sein Gepäck bestand aus einem schäbigen Koffer mit dem Nötigsten und einer Gitarre, die er beim Versandhaus Sears-Roebuck erstanden hatte, für zehn Dollar. Sein Name war McKinley Morganfield, doch rief man ihn Muddy Waters, seit ihn seine Großmutter so geschimpft hatte, wenn er durchnäßt und schmutzig vom Spielen am Fluß nach Hause kam. Muddy wußte, daß er Künstler war. Seit zwei Jahren schon. Damals besuchte ihn ein gewisser Alan Lomax mit einigen Leuten vom Library Of Congress, die seine Stimme mit einem Gerät aufnahmen.
Eigentlich waren sie gekommen, um Robert Johnson zu suchen. Doch der war längst tot, vergiftet. Da sie nun aber schon mal im Delta waren, nahmen sie Son House auf und ihn, Muddy Waters. „Alan Lomax discovered me“, wird er später erzählen, „in Stovall, in meiner Hütte, mit meiner Gruppe. Mandoline, Fiddle, eine kaputte Gitarre. But I could sing, you know.“ So überwältigend war die Erfahrung für Waters, seine eigene Stimme aus diesem Apparat zu vernehmen, so stolz war er auf das Gehörte, daß er kaum noch an etwas anderes denken konnte und sich einredete, daß seine Zukunft die eines professionellen Musikers sein würde.
Und so stolperte er 18 Stunden später aus dem überfüllten Waggon auf den Bahnsteig der Illinois Central Station in Chicago, das Einfallstor für die schwarzen Migranten aus dem Delta. Es war bittere Armut, die ungezählte, vornehmlich schwarze Landarbeiter, Baumwollpflücker und verkrachte Existenzen während des Zweiten Weltkriegs aus den ländlichen, rückständigen Gebieten des tiefen Südens in die Ballungszentren des industrialisierten Nordens trieb. Täglich spuckten die Züge aus Memphis hunderte ausgemergelte Gestalten aus, die ihre Arbeitskraft zu Markte trugen und ihre Identität mitbrachten, ihre Traditionen, ihre Musik. Waters hatte Glück und fand bald Arbeit in einer Papierfabrik. Ein Knochenjob, doch bezahlte er die Miete in der South Side. Und nachts in den Clubs fand er schnell Anschluß, spielte und sang an der Seite von Memphis Slim, Sunnyland Slim, Sonny Boy Williamson und anderen etablierten Exilanten. Heiß war es und laut, Muddy zerrte an den Saiten, aber „couldn’t nobody hear you with an acoustic“, wie er sich später schmunzelnd erinnerte.
Eines nachts, bei einem Streifzug durch Jukejoints, hörte er etwas, das ihm den Atem raubte: „There was a boy playing an electric guitar. His name was Joe Willie Wilcomb. Man, the noise you get out of an ampiifier!“ Ein kleiner Schritt für Muddy Waters, ein weiter Sprung für den Blues. Der freilich in jenen Jahren nicht nur seine Lautstärke veränderte, sondern auch seinen Stil, sein Wesen, seinen Charakter.
Den Country-Blues hatte das harte, entbehrungsreiche Leben im Delta ausgeschwitzt. Er war der säkulare Widerpart des Gospel. In den Kirchen wurde aufs Jenseits vertröstet, der Blues befaßte sich mit den brutalen Realitäten der nackten Existenz. Wie im Leben ging es um Angst, Wut und Leidenschaft, um Hoffnung, Enttäuschung und Scham. Und so war der atavistische Blues von Charley Patton, Son House oder Robert Johnson harsch, grob, kantig und dunkel. bewegte sich im Spannungsfeld von Bitterkeit und Galgenhumor, von stoischer Gelassenheit und purer Agonie. Der alte Muddy Waters nannte es „music like an open wound“, der junge fühlte sich magisch hingezogen zur Expressivität des Gesangs, zur so simplen wie wirksamen Akkordik, zu den Geschichten, die ihn im Innersten berührten. Wenn er Son House zuhörte, gab ihm das Kraft. Hörte er die Songs des gemarterten Genies Robert Johnson, war er nicht mehr ansprechbar. „Like the world stopped turnin‘, makin‘ you wanna laugh and cry at the same time.“
Der elektrische Blues in Chicago hatte andere, weniger existentialistische Sorgen. Ihn bewegte der Alltag, die immer wieder neu gestellte Frage, wie das Geld für die nächste Miete zu beschaffen, wie die nächste Flamme zu becircen wäre. Die Welt des Muddy Waters hatte sich verändert, seine Musik paßte sich an: „One of these days, baby/ I’m gonna show you how nice a man can be I’m gonna buy you a brand new Cadillac/ If you’ll only say good words ‚bout me.“
Geboren wurde McKinley Morgannfield am 4. April 1913 in Rolling Fork, Mississippi. Seine Mutter starb, als er drei Jahre alt war, und so wurde er zur Großmutter nach Clarksdale gegeben, wo er aufwuchs und bereits im Kindesalter Farmarbeit zu verrichten hatte, „pickin‘ cotton, pullin‘ com, milkin‘ cows“. Mit 13 Jahren spielte er Harmonika, mit 17 bekam er seine erste Gitarre, der er ein Jahr später so überzeugend Akkorde zu entlocken wußte, daß er überallhin eingeladen wurde, wo Leute zusammenkamen, um zu singen und zu tanzen. Muddy spielte bei ländlichen Festivitäten und Picknicks, in Scheunen und Juke-Joints. Als Alan Lomax kam, war er bereit Seine Bottleneck-Technik hatte sich der Autodidakt von Robert Johnson angeeignet. Muddys Slide folgte seiner Stimme, akzentuierte die Botschaft oder konterkarierte sie, etwa bei Call 8C Response-Songs. Nachdem Johnson von der Bildfläche verschwunden war, auf ebenso mysteriöse Weise, wie er aufgetaucht war, übernahm Son House für Muddy die Rolle des musikalischen Mentors. Von ihm lernte der junge Morganfield weniger Griffe, ihm verdankt er jenen ausgeprägten Sinn für Rhythmik und Dynamik, der ihm viel später, in den großen Konzerthallen der Welt, sehr zupaß kommen sollte. Und die Intensität: Son House konnte erwachsenen Männern Tränen in die Augen treiben, nur durch die Unbedingtheit seines Vortrags. Lomax war begeistert von Muddy, den er wiederholt auf der Plantage in Stovall aufsuchte und aufzeichnete. Historische Recordings, rauh und reduziert, die als „Plantation Tapes“ auch auf Tonträgern kursieren und periodisch wiederveröffentlicht werden.
Fast forward, nach Chicago. Muddy Waters schlug sich durch, arbeitete tagsüber als Trucker, und nachts machte er Musik in den Spelunken der South Side. im Slum-Gürtel der Windy City. Erste Plattenaufnahmen für Columbia standen unter keinem guten Stern und blieben unveröffentlicht. Muddy aber wußte: „To get a name, you got to get a record.“ Anfang 1947 war es schließlich soweit. Aristocrat, wenig später in Chess umbenannt, ging das Risiko ein und brachte Muddys erste Single heraus. Doch „Gypsy Woman“ floppte, und als Waters nach ein paar Monaten erneut vorstellig wurde, waren die Gebrüder Chess – polnische Selfmademen mit Chuzpe und ausgeprägtem Geschäftssinn – eher skeptisch. „I Can’t Be Satisfied“ hieß der Track, auf dem nur Muddys Stimme, seine Gitarre und ein Slap Bass zu hören waren. Leonard Chess zeigte sich nicht beeindruckt: „Ich kann nicht einmal verstehen, was er da singt.“ Soll er gesagt haben. Und brachte die Platte dennoch heraus, im April 1948.
Die 78er Scheibe wurde morgens auf einen Truck geladen und an 180 Läden in der South Side ausgeliefert: Kioske, Friseure, Schönheitssalons und richtige Plattenläden. Am Nachmittag war die erste Pressung überall vergriffen. So enorm war die Nachfrage, daß die Single nicht zum üblichen Preis von 79 Cents feilgeboten wurde, sondern zum doppelten. Aristocrat hatte seinen ersten Hit. Mit Musik, die elektrifizierte, die aufregend klang, energetisch und druckvoll. Der Beginn des modernen Chicago-Blues. An dessen Boom in den folgenden zehn Jahren neben Muddy Waters viele Künstler partizipieren sollten, die meisten davon auf Chess Records: Howlin‘ Wolf, John Lee Hooker, Willie Dixon, Bo Diddley, Chuck Berry, Koko Taylor, Buddy Guy. In den Chess-Studios wurde Musikgeschichte gemacht, das Label verkaufte tonnenweise schwarzes Gold.
Muddy Waters‘ Stil entwickelte sich in den folgenden Jahren evolutionär – weg von der Delta-Spartanik, ohne deren Wurzeln je zu verleugnen, hin zu einem universelleren R & B-Code, den man auch an den Küsten verstand und sogar in Übersee. „My mother told my father just before I was born“, sang Waters mit seiner tiefen, Delta-gefärbten Stimme zum dräuenden Donnergrollen seiner elektrischen Gitarre, „I got a boy child comin‘, gonna be a rollin‘ stone“. Die Plattenindustrie war noch nicht internationalisiert, der Export von Schallplatten fand nur in verschwindend geringen Stückzahlen statt, und doch wurden diese Vibrationen aus Chicago im fernen London vernommen und verstanden, von bleichen Teenagern in engen Hosen, die das Fremde aufsogen und sich ins Delta träumten. Muddy Waters wußte davon nichts. Später, viel später sollte er die berühmte, vieldiskutierte Sentenz in den Raum stellen: „Mick Jagger took my music and gave me my name.“
Noch aber war er fieberhaft damit beschäftigt, seine Kunst zu vervollkommnen. Hatte er zunächst Musiker um sich versammelt, die einen Delta-Background aufwiesen und sich auf brachialen Country-Blues verstanden, baute er nach und nach Instrumentalisten in seine Band ein, die für Finessen gut waren. Der Pianist Otis Spann etwa, der Saiten-Pionier Jimmy Rogers, Vater aller Rhythmus-Gitarristen, und natürlich Willie Dixon, bei Chess Mädchen für alles, als Bassist und Songlieferant. Verstärkt durch den Harmonica-Magier Little Walter besetzte die Gruppe ein breites Blues-Spektrum, das in der Praxis freilich immer urbaner, immer Trad-ferner klang. „Got My Mojo Working“ war 1955 mit seinem brüsken Swing und schamlosen Innuendo nur noch schwer als Bastard-Kind des Delta-Blues auszumachen. Es war nun schwarzer Pop, der zwar viel kopiert wurde, etwa von Waters-Schülern wie Junior Wells, Buddy Guy und Otis Rush, der jedoch auch in Konkurrenz stand mit anderen Popstilen. Und den kürzeren zog.
Gegen das Ungestüm und die Übermacht des Rock’n’Roll war kein Kraut gewachsen. „I loved Chuck and I loved Elvis“, räumte Waters später ein, „but I couldn’t help feelin‘ real old when I heard them cats do their thing.“ Chess verkaufte weiterhin genug Platten, um seinen Künstlern ein von Existenznöten freies Leben zu gewährleisten. Die Umsatzzahlen brachen erst Ende der 50er Jahre ein – eine Krise, die Muddy finanziell mit Tourneen abfedern konnte. Eine Gastspielreise führte ihn 1958 zum ersten Mal nach England, wo er mit Jazzern wie Chris Barber auftrat, sich etwas deplatziert fühlte, aber nicht schlecht verdiente. Das nächste unverhoffte Hoch ereilte ihn beim Newport Festival 1960, als ihn die sonst eher Folk-beseelten, meist weißen Studenten frenetisch feierten.
Muddys Zeit als kreative Kraft, als Katalysator und Inspirator schien jedoch unweigerlich vorbei. „My blues have run their course“, sagte er einem Interviewer, „I am happy to have come this far.“
Link did he know.
Ab 1963, 20 Jahre, nachdem er Clarksdale verlassen, 10 Jahre, nachdem er seinen künstlerischen Zenith überschritten hatte, fand sich Muddy Waters plötzlich im Zentrum eines internationalen Interesses, das er nicht verstand. „I never know what’s goin‘ on“, lachte er noch 1965, auf die stupende Renaissance seiner Musik im Weltmaßstab angesprochen. Er hätte seine Zukunft eigentlich in kleinen Blues-Clubs gesehen, vor einem mit ihm alternden Publikum. „Then the Rolling Stones came out named after my song, and recorded ‚Just Make Love To Me‘ (sic!). Them English groups picked up on my stuft and went wild with it. They could play, they were out there. And that’s how people in the States really got to know who Muddy Waters was.“
Die letzten 20 Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod im April 1983 war Muddy Waters ein glücklicher Mann. „I used to be lucky“, pflegte er zu scherzen, „now I’m happy, too.“ Es gab keinen Mangel an familiären Krisen, gesundheitlichen Problemen oder musikalischen Tiefe. Aber Waters genoß seinen neugewonnenen Ruf als Elder Statesman des Blues, als R&B-Pionier und lebende Legende in vollen Zügen. Er wurde mit Preisen eingedeckt und spielte gern mit gelehrigen Schülern, mit Paul Butterfield, Mike Bloomfield oder Eric Gapton. Auch Muddys späte Alben stießen durchaus auf Medieninteresse, nur mit der Verkäuflichkeit begann es zu hapern. Chess Records mühte sich, mit den aktuellen Musikmoden Schritt zu halten, und schickte Waters mit Rockmusikern ins Studio oder ließ ihn in Funk machen. Nicht überzeugend, natürlich. Und so kündigte der Mannish Boy dem Label die Gefolgschaft, mit dem er 30 Jahre lang Höhen und Tiefen durchlebt hatte und unterschrieb 1977 bei CBS. Nach eher belanglosen Platten gelang ihm so noch ein mehr als beachtliches Comeback, unter maßgeblicher Mitwirkung von Johnny Winter, einem seiner glühendsten Vferehrer.
Muddy Waters starb an Lungenkrebs und wurde in Chicago zu Grabe getragen, am Ort seines Schaffens. Doch hatten sein Herz und seine Seele, so Biograph Robert Gordon, „das Mississippi Delta nie verlassen“.
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