John Maus – Pop als Wahrheit
Der amerikanische Lo-Fi-Elektroniker John Maus ist Doktor der Philosophie. Doch seine Musik ist kein theoretisches Manifest, sondern eine Antwort auf die langweiligen Charts
Um Popstar zu sein, hätte ein John Maus in den Siebzigern durch spektakuläre Inszenierungen und fortschrittlichen Sound auf sich aufmerksam machen müssen. In den 80er-Jahren hätten ambitionierte Musikvideos dazugehört, seit den Neunzigern Stadion-Kompatibilität und die perfekte Beherrschung multimedialer Klaviaturen. In jeder Dekade wären außerdem ein Haufen verkaufter Tonträger wie massive Charts-Präsenz Mindestvoraussetzungen gewesen. Nicht so in den merkwürdigen 2010er-Jahren, wo die aussterbende Spezies Popstar nicht mehr an ihrer Musik gemessen wird, sondern an ihrer vermeintlichen Authentizität oder inszenatorischen Strahlkraft. Dieser selbstbezüglichen Celebrity-Kultur steht eine in 1.000 Sub- und Mikrogenres atomisierte Popwelt gegenüber, in der zwischen Retro-Sound und Zukunftsmusik auf hohem Niveau herumexperimentiert wird, ohne dass daraus zwingende Verbindlichkeiten erwachsen.
Es ist also höchste Zeit für Sinnstiftung, für einen Meta-Popstar wie John Maus. Meta, weil: Plattenverkäufe? Lächerlich. Charts? Haha. Musikvideos? Na ja. Stadion? Nein, danke. Originalität der Musik? Zweitrangig. Live-Konzerte? Playback. Stimme? Bariton, hallumwölkt. Song-Qualität? Top! Charisma? Manisch. Akademischer Grad? Doktor der Philosophie. „Manche Leute sagen, dass meine Musik in gewisser Weise austauschbar sei mit dem, was sich heute in den Top 40 befindet – finde ich nicht, das sind ja nur Werbespots. Und ich verkaufe schließlich keine Tennisschuhe oder so was. Was ich mit Pop meine – egal, wie lächerlich das klingt -, ist eine musikalische Wahrheit! Und damit befinde ich mich auf Augenhöhe mit der Wiener Klassik, mit Schönberg oder Jazz, mit all dem. Es gibt einen Zuständigkeitsbereich von Pop, dem wir auf militante Weise treu sind. Aber in der heutigen Celebrity-Kultur findet sich nichts von Pop in diesem Sinne, Pop als Wahrheit, Wahrhaftigkeit oder was auch immer“, rattert John Maus emphatisch im Interview.
Wer bei dem 32-jährigen Amerikaner aus Minnesota mit zeitweiliger Dozentur (politische Philosophie) auf Hawaii nun allerdings schwere, poptheoretisch durchtränkte Kost erwartet, liegt gänzlich falsch. Zwar weisen Songtitel wie „I Don’t Eat Human Beings“ oder „My Hatred Is Magnificent“ in diese Richtung. Auch der Titel seines letztjährigen Albums „We Must Become The Pitiless Censors Of Ourselves“ (ein Zitat des poststrukturalistischen Marxisten Alain Badiou) mag Bände sprechen. Aber Maus‘ Songs machen einen Bogen um die Schublade „Intellektuellen-Pop“. Sie sind anti-raffiniert, einfach strukturiert und zu Dauer-Refrains verdichtet. Sie operieren mit kurzen, klaren Botschaften („Someone’s alone in the city, tonight/You gotta do what’s right/In the city/Reach out your hand to the ones alone/In the city, tonight.“) und bestechen durch emotionale Grandezza in teils unverschämt amateurhaftem Lo-Fi Sound. Auf bisher drei Studioalben und der just erschienenen „Collection Of Rarities And Previously Unreleased Material“ hat der einstige Mitstreiter von Ariel Pink’s Haunted Graffiti dieses Modell durchexerziert. Als musikalische Sprache dient ihm der Synthpop der 80er-Jahre – Einspruch Maus: „Wenn die Leute meine Musik mit den 1980er-Jahren in Verbindung bringen, verweise ich immer auf andere musikalische Epochen, die auf bestimmte Weise mit ähnlichen Harmonien arbeiteten – das Mittelalter und die Renaissance. Wenn man hier die Kadenzen außer Acht lässt, die ganze Dimension der Stimmführung ausblendet und sich nur anguckt, wie mit Akkorden gearbeitet wurde, wie wichtig vertikale Klangfülle war – dann ist das genau die Art modaler Harmonie, die mich anspricht. Es waren also nicht Joy Division oder Human League, die mich interessiert haben, sondern die interessanten Harmonien – so was wie Kirchenharmonien, dieses alte modale, ätherische Modell.“
Aus solchen Worten spricht eine profunde Kenntnis des klassischen Repertoires. Aber auch mit den avantgardistischen Klangsprachen des 20. Jahrhunderts – Jazz, Neue Musik oder Prog Rock – ist der musiktheoretisch bewanderte Adorno-Fan bestens vertraut. Umso mehr, quasi als erkenntnistheoretische Einsicht, besteht John Maus auf die Einzigartigkeit von Pop: „Kommerzielles Kino und Popmusik – das war die allgemein zugängliche Sprache, die den Horizont unserer künstlerischen Möglichkeiten bestimmt hat. Und deshalb wirkt es auch komisch auf mich, wenn irgendein 30-jähriger Typ heute einen Film wie Andrej Tarkowskij oder Musik wie Stockhausen zu machen versucht. Denn das sind Sprachen, die unter völlig anderen Umständen entwickelt wurden, als wir sie heute vorfinden. Wir besitzen die Sprache der Popmusik, und die müssen wir mobilisieren, wenn von uns etwas bleiben soll. Was wir machen, müssen wir vom Standpunkt der uns gegebenen Situation aus machen, wir müssen das objektiv Gegebene subjektiv interpretieren.“ Ohne Ausrufezeichen. Maus wäre kein Mann des Wortes, wenn er nicht um die Vorläufigkeit und vermeintliche Ungenauigkeit des sprachlichen Ausdrucks wüsste. Und so fügt er seiner Rede ein kurzes „so in etwa“ an. Mit Ausrufezeichen.
20% Human League
20% Joy Division
20% Scott Walker
15% Vegetarismus
15% Gesualdo/Händel/Webern
10% Adorno