Berlin frisst Köln
Die Übernahme von EMI durch Universal mischt die Musikbranche auf. Sie hat nicht nur für den Standort Köln Folgen, sondern auch für einige kleinere Label.
Es ist an der Zeit, noch einmal die in den Neunzigerjahren überaus präsente Chaostheorie zu bemühen. Das in wissenschaftlichen Disziplinen zwischen Wetterforschung und Verkehrswesen gebräuchliche Modell verfolgt nämlich das Diktum der „nichtlinearen Dynamik“. Mit seinen bunt schillernden Mandelbrot-Bäumchen, etwa um eine zufällige Pendelbewegung oder eine Stauentwicklung auf dem Ruhrschnellweg zu visualisieren, war die Chaostheorie bei Physiknerds und (Drogen-)Ravern mit philosophischem Anspruch gleichermaßen en vogue. Sie passte – quasi eigentlich – in diese Ära, die ja auch an das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) geglaubt hat.
In den von Wirtschaftskrisen und Religionsspinnern ernüchterten Zehnerjahren wirkt diese auch für neuronale Netze gebräuchliche Theorie ähnlich aus der Zeit gefallen wie die rosalilafarbenen Visionen der Acid-Tester drei Jahrzehnte zuvor. Doch gerade jetzt, wo die Übernahme von EMI Recorded Music (der Musikverlag der EMI bleibt hier außen vor) durch Universal Music von der zuständigen EU-Kommission abgenickt worden ist, mischt sich das schnöde Business mit aller Spökenkiekerei. Und da ist die gute, alte Chaostheorie gar nicht so fern.
Hier kurz die harten Fakten: Die US- und auch die EU-Kartellbehörden haben den Universal-/EMI-Merger genehmigt, der zum 28. September vollzogen sein musste. Von diesem Termin an hat die neu entstehende Firmenkonstruktion nun recht knapp bemessene sechs Monate lang Zeit, die Bedingungen der EU-Kommission zu erfüllen, die an diesen Deal gebunden sind. Das Chaotische daran ist, dass sowohl EMI als auch Universal Music nun zahlreiche ihrer Unterlabel verkaufen müssen. Etwa das Beatles-Label Parliaphone – doch ohne den Beatles-Katalog selbst, und ohne Robbie Williams, der also künftig bei „Universalemi“ veröffentlichen wird. Weitere Details würden an dieser Stelle die meisten Musikfans sicherlich langweilen. Ob Mute-Boss Daniel Miller sein eigenes Label, das er einst an EMI Music vertickt hat, wieder zurückkauft oder ob Depeche Mode und Goldfrapp künftig unter einem anderen Dach landen, ist zurzeit Thema interessierter Klüngelrunden. Die Branche jedenfalls hat einiges zu mauscheln.
Die EU-Vorgaben sorgen unter anderem auch dafür, dass die schillernde Verfügungsmasse aus dem Universal/EMI-Topf nicht an Nicolas Berggruen oder andere fachfremde Finanzinvestoren fallen darf. Zuschlagen dürfen nur „Unternehmen aus dem Musikgeschäft“. Also etwa etablierte Einheiten mit gut gefüllten Geldspeichern wie Sony Music und Warner Music. Aber eben auch durch die Fachpresse geisternde Phantomfirmen wie Platinum Equity oder MacAndrews & Forbes Holding, die als Investment-Checker schon öfter mit heißen Popmusik-Deals zu tun hatten. Anfang
Oktober warf dann der Erfinder von „Pop Idol/DSDS“ Simon Fuller seinen Hut in den Bieter-Ring um die EMI-Anteile – im Duo mit Branchen-Legende Chris Blackwell. „Ein verwegener Plan“, kommentierte der „Independent“ den rund 435 Millionen Euro schweren Deal. Es könnte aber auch die große Stunde der Bertelsmann-Tochterfirma BMG Rights werden, die sich nach dem Ausstieg des Konzerns aus dem Geschäft mit physischen Tonträgern (BMG/Sony fiel damals komplett an Sony) auf den liquiden Handel mit Rechten und Tantiemen spezialisiert hatte. Mit etwas Bieterglück könnte aus dem Rechtehändler wieder eine echte Plattenfirma werden.
Dass für diese Transaktionen die drei New Yorker Top-Adressen Goldman Sachs, Bank of America und Merrill Lynch ausgewählt wurden, zeigt die Dimensionen dieses Chaos-Dominos. Insider vermuten, dass die Kartellwächter daran interessiert sind, dass weiterhin ein vierter Major im Spiel um die Musikzukunft mitmischt, um die virulente Übermacht von Branchenführer Universal Music nicht auf alle Ewigkeit zu zementieren.
Immer wieder ist die Klage von Indie-Labels zu hören, dass Universal bei Lizenzanfragen statt 18 bis 22 Prozent für die Übernahme eines Songs (etwa für eine Compilation) 30 Prozent Abgaben verlange. Schnöde Begründung: interne Richtlinien bei kleinen Auflagen. Das sind zwar Petitessen aus dem Maschinenraum, aber man kann sich vorstellen, mit welchen Bandagen bei großen Geschäften gekämpft wird. Machtmethoden derer, die sich die dicke Hose qua Marktanteil leisten können.
Bis all diese Entflechtungen und Labelverkäufe abgeschlossen sind, ist es müßig, darüber zu spekulieren, was etwa mit den EMI-Zentralen in den jeweiligen „Territorien“ passiert. In der Regel werden übernommene Firmen zeitnah dichtgemacht – und ein geringer Teil der Belegschaft übernommen. Das würde für Deutschland und die Schweiz bedeuten, dass die EMI-Büros irgendwann in den Universal-Betrieb eingegliedert werden. In der Schweiz könnten die verbleibenden EMI-Mitarbeiter innerhalb von Zürich wechseln. Was mit der einst mächtigen EMI-Trutzburg in Köln passiert, darüber will niemand offen sprechen. Mit einer wundersamen Arbeitsplatz-Rettung rechnet aber in der Alten Wagenhalle im Ex-Malocher-Stadtteil Widdersdorf kaum noch jemand.