Shawn Colvin – Grabenkämpferin
Nach sechs Jahren hat die Songschreiberin Shawn Colvin endlich ein neues Album aufgenommen und ihre Memoiren geschrieben
Die Erinnerung ist schon etwas trübe, an diesen Abend in Austin, Texas 1976. Aber „es war bestimmt in einer Bar“, rekapituliert Shawn Colvin, „und wenn mich nicht alles täuscht, dann hat Buddy Schlagzeug gespielt. Man weiß bei ihm ja nie, was er so alles drauf hat.“ 35 Jahre nach ihrer ersten Begegnung hat der Songschreiber und Produzent Buddy Miller das Drumkit der Fachkraft Brian Blade überlassen, als er das neue Colvin-Album „All Fall Down“ in Nashville produzierte. „1982 waren wir getrennte Wege gegangen. Und so richtig wiedergefunden haben wir uns dann erst, als es mit Three Girls & Their Buddy losging“, erklärt die heute in Austin lebende Songschreiberin aus Vermillion, South Dakota.
Die 56-jährige Shawn Colvin hat zuletzt viel Zeit damit verbracht, sich zu erinnern. Denn noch vor den neuen Songs brachte sie ihre nun parallel veröffentlichten Memoiren „Diamond In The Rough“ auf den Weg. „Das Buch und die Platte sind schon miteinander verbunden“, sagt sie. „So spiele ich jetzt ‚American Jerusalem‘. Den Song von Ross MacDonald hatte ich schon Anfang der 80er-Jahre gelernt, als ich gerade nach New York gekommen war. Er fängt immer noch großartig ein, was es heißt, ein Fremder in New York City zu sein.“
Nicht, dass sie selbst auf die Idee gekommen wäre, eine Autobiografie zu schreiben „Mein Manager Ken Levitan meinte: ‚Vielleicht hast du wirklich eine Geschichte zu erzählen.'“ Nach zwei Versuchskapiteln hatte Colvin zwar einen Verlagsdeal samt Vorschuss auf dem Tisch, doch immer noch keine Gewissheit, „ob ich wirklich ein ganzes Buch schreiben kann. Aber ich entschied mich dann sehr schnell, es zu versuchen. Wobei immer das Gefühl wichtig war, es auch jederzeit wieder sein lassen zu können, selbst wenn ich da was zurückzahlen müsste. Sonst wird der Druck zu groß.“ Die Verlagsidee, der Debütantin einen Ghostwriter zur Seite zu stellen, entpuppte sich jedenfalls schnell als Unsinn. „Es klang überhaupt nicht mehr nach mir, und ich sagte: ‚Wenn das das Buch werden soll, dann kann ich das nicht machen.‘ Also schrieb ich allein weiter.“
Alkohol- und Magersucht, schwere Depressionen, schlechte Beziehungen es gehe ihr, sagt Shawn Colvin, in „Diamond In The Rough“ nicht zuletzt um „eine vollständige Betrachtung des Preises, den ich für alles bezahlt habe – was es heißt, mit 19 eine herumreisende Musikerin zu werden, die aber erst mit 32 ihren ersten Plattenvertrag bekommt.“ Das seien doch, ergänzt Colvin lachend, „verdammt viele Jahre, um da unten im Graben zu arbeiten“. Als Mutter einer 13-jährigen Tochter sorgt sie sich heute eher um „die Gefahren, die in sozialen Medien lauern“, während ihr der Blick zurück verdeutlicht hat, „wie viel einfacher die Zeit war, in der ich groß wurde, wie viel Glück ich damals damit hatte“.
Einige Jahre im Graben musste auch Buddy Miller überstehen, bevor er zum Americana-Produzenten schlechthin aufstieg. Was Shawn Colvin nicht wirklich überrascht hat. Aber kann er sie noch immer überraschen, 35 Jahre nach jener ersten Begegnung? „Ja, allein schon, weil er ein außergewöhnlicher Gitarrist ist, der von der süßesten Country-Melodie bis zu wild rockendem Zeug einfach alles spielen kann. Und dabei ist er noch so ein liebenswerter Mann. Aber ein Produzent muss natürlich auch Entscheidungen treffen, Kontrolle ausüben. Ich hatte mich schon gefragt, wie er das unter einen Hut bekommt. Doch Buddy weiß sehr genau, was er will.“ Als Miller Anfang 2009 nach seiner auf Tour erlittenen Herzattacke und folgender Bypass-Operation im Krankenhaus lag, sangen seine drei Musen Emmylou Harris, Patty Griffin und Colvin bei Konzerten immer Phil Spectors „To Know Him Is To Love Him“ – für ihren Buddy.