Balzerblues mit Vessel, Emptyset und Prince Rama
Jens Balzer, Redakteur im Feuilleton der "Berliner Zeitung", hat seit dem Mai-Heft für uns einmal im Monat den Balzerblues. Die neue Folge seiner Kolumne für den ROLLING STONE widmet sich dem Pop und der Apokalypse.
Mit der Mai-Ausgabe startete die neue Kolumne „Balzerblues“, die im Halbdunkel des Popuntergrunds nach leuchtenden Pfaden sucht, neuen Trends und Entwicklungen nachspürt. Ihr Autor ist Jens Balzer, Redakteur im Feuilleton der „Berliner Zeitung“, einer der besten und umstrittensten Popjournalisten des Landes. Seine zweite Kolumne für den ROLLING STONE widmet sich der Singer-/Songwriter-Musik. Die Kolumne gibt es natürlich immer zuerst in unserem Printmagazin – und wenige Wochen nach Veröffentlichung auch online zu lesen.
Unser Thema heute: Pop und das Ende der Welt. Ein postapokalyptisches Konzept-Album haben soeben die Geschwister Taraka und Nimai Larson aufgenommen, die seit drei Jahren unter dem Namen Prince Rama auftreten. Ihre künstlerische Ausbildung begannen sie einst bei den spirituellen Zeremonien einer Krishna-Kommune; von der dort bevorzugten Schüttel-was-du-hast-Psychedelia waren auch ihre bisherigen Platten geprägt. Breitere Aufmerksamkeit erhielten Prince Rama Anfang 2011 für „15 Minute Exorcise“, ein ausschließlich auf VHS-Kassette erhältliches Musikvideo. Darauf erläuterten sie, wie man mit den spirituellen Mitteln des 80er-Jahre-Aerobic-Tanzes böse Geister aller Art zu vertreiben vermag. Exercise = exorcise! Und wenn man die Kassette rückwärts laufen ließ, offenbarte sie Bonusbotschaften.
Auf „Top Ten Hits Of The End Of The World“ (Paw Tracks/Morr/Indigo) versetzen Prince Rama sich nun in eine Zukunftswelt nach dem Ende der menschlichen Zivilisation und fragen: Wie klänge es wohl, wenn die letzten Überlebenden mittels Geisterbeschwörung die untergegangene Popmusik rekonstruierten? Zu hören sind zehn vollverhallte Fragmente mit geisterhaft aus dem Äther heranwehenden Stimmen; die Tonqualität ist, wie es sich gehört, gespenstisch schlecht. Dafür stehen in diesem neuen Ghostmodernism alle Kulturkreise gleichberechtigt nebeneinander: britischer New Wave und japanischer Pop, arabischer Schlager und amerikanischer Grunge; die mitteleuropäische Mainstreammusik ist mit einem Pastiche von Modern Talking vertreten – eine Gruppe, zu der exorzistisch interessierte Krishna-Jüngerinnen aus Brooklyn ein erheblich freieres Verhältnis pflegen als, sagen wir einmal, der durchschnittlich-nüchterne Musikfreund aus Deutschland.
Eine ideale Ergänzung zu der Prince-Rama-Platte stellt das Debüt von Vessel dar, einem blutjungen, aus Bristol kommenden Produzenten, der sonst auf den Namen Sebastian Gainsborough hört. Auf „Order Of Noise“ (TriAngle/PIAS/Rough Trade) beschwört er einen Endzeit-Rave mit den Geistern von Minimal Techno und Dub. Über fahl beglitzerte Geräuschflächen, die manchmal an den melancholischen Laptopnoise von Christian Fennesz erinnern, erheben sich klipp-klapp-klappernde Scherenbeats und dunkel voranstapfende Bässe; manchmal wird der Beat auch durch kleingehacktes, rückwärts gelooptes Seufzen und Stöhnen gebildet. Interessant ist, wie heiter Vessels Musik trotz aller endzeitlichen Anmutung klingt: Ausgesprochen gutgelaunt tanzen die Geister hier auf den Trümmern; auch kleine Gespenster mit hellen Stimmen umwimmeln huhu-machend und juchzend den Bass.
Bei dem ebenfalls aus Bristol stammenden Duo Emptyset kann von dieser Art romantischer Apokalyptik nicht die Rede sein. Seine Platten klingen vielmehr nach einer Zukunft, in der mit der Menschheit auch noch deren Geister verschwunden sein werden – selbst die letzten Erinnerungen an irgendeine humane Kultur. Mit vornehmlich analogen Geräten erzeugen die Emptyset-Produzenten James Ginzburg und Paul Purgas einen dramatischen und zugleich komplett entsubjektivierten Techno: eine Musik, die nun wirklich so klingt, als würde sie nicht mehr von Menschen erzeugt, sondern von verlassenen Maschinen im letzten Leerlauf. Ähnlich wie bei Vessel, wird auch auf der neuen Emptyset-Platte „Ununhexium / Collapsed“ (raster-noton/Kompakt) ausgiebig rhythmisch geseufzt und gestöhnt. Doch seufzen hier nicht die Geister in den Geräten, sondern die überforderten Geräte selbst: schmorende Festplatten, schmelzende Platinen. Ein allerletztes Britzeln und Knirschen vor dem Ende der Zeit.
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Diesmal vorgestellt:
Prince Rama- „Top Ten Hits Of The End Of The World“: ***1/2
Emptyset- „Ununhexium / Collapsed“: **** 1/2
Vessel- „Order Of Noise“: ****