TOP TEN CLUB
Sommermodus in den Charts mit kernigen Kerlen von Island bis Miami. Besonders die Mutation von Rapper Pitbull fasziniert Ralf Niemczyk
Da soll noch mal einer sagen, die heutigen Single-Charts seien kein Revier mehr für Charakterköpfe. Weit gefehlt! Erst jüngst teilte sich eine handfeste Typenmischung mit Echtheitszertifikat die vorderen Plätze. Über das isländische Folk-Sextett Of Monsters And Men, die mit süffiger Feierlaune dem allgegenwärtigen Dubstep-Alarm in den Top Ten trotzten, haben wir eher schüchtern in der Mai-Ausgabe berichtet. Unsere Autorin attestierte zwar eine „leichte Überdrehtheit“ des OMAM-Sängers Ragnar, ahnte aber nicht, wie mehrheitsfähig deren „Little Talks“ einmal werden würde. Vielleicht sind ja heitere Wikinger mit Gute-Laune-Bläsersätzen der Sommertrend in unsicheren Zeiten. Ähnlich entspannt, aber doch ganz anders kommt wiederum Pitbull daher. Sein alter Straßenname führt heute etwas in die Irre. Statt Muskelshirt und Jogginghose trägt er edle Anzüge. Ein Partylöwe für alle Gelegenheiten. Der Rapper aus der großen kubanischen Gemeinde von Miami tauchte vor fünf, sechs Jahren in langen Abhandlungen über die Relevanz von „Latinos in HipHop“ auf. Damals schwenkte er noch Kuba-Flaggen und entsprach mit Songs wie „305 Anthem“ oder „Defend Dade“ einem zwielichtigen Image zwischen Anti-Castro-Hardlinern und „Scarface“-artigen Gangstern.
Auf dem Weg zum Star, der sich beim Formel-eins-Zirkus in Abu Dhabi feiern lässt, hat Pitbull die Hartmänner-Attitüde zugunsten schmusiger Duette (u. a. mit Jennifer Lopez) sausen lassen. Sein Hit „Back in Time“ begleitet Will Smith durch den Film „Men in Black III“, in dessen Tradition des leichtfüßigen Spaß-Rap als The Fresh Prince sich Pitbull heute sieht. Eher Right Said Fred als 50 Cent. Wer diese Mutation zu Ende verfolgen möchte, greift zur Kooperation mit der britischen R&B-Hupfdole Taio Cruz, „There She Goes“: ein historischer Brückenschlag zwischen Miami und den Großraumdiscos von Ibiza. Die Welt, gezeichnet als Partyplanet.
