Alison Klayman über „Ai Weiwei: Never Sorry“

Kluge Katzen, offene Türen, prügelnde Polizisten: Alison Klayman hat den chinesischen Künstler und Regierungskritiker Ai Weiwei drei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Mike Brüggemeyer hat Alison Klayman getroffen.

Der zweifellos jenseits des Reichs der Mitte bekannteste chinesische Künstler, Ai Weiwei, ist in seinem Atelier bei Peking nie allein. Neben zahlreichen Assistenten, die tagtäglich herumschwirren, malen, formen und bauen, um seine Ideen umzusetzen, leben dort sein betagter, übergewichtiger Hund Danny und jede Menge Katzen. Eine von ihnen hat gelernt, wie man Türen öffnet, und geht ständig ein und aus. Die anderen schauen eher lethargisch zu. „Wenn es diese eine Katze nicht gäbe, wüsste ich nicht, dass Katzen zu so was in der Lage sind“, sagt der Hausherr und lächelt. „Was sie allerdings von einem Menschen unterscheidet, ist: Sie schließt die Tür niemals hinter sich zu.“

Man weiß nicht, ob das Tier hier vom Künstler gelernt hat oder umgekehrt. Denn auch Ai Weiwei lässt die Tür immer einen Spalt breit offen, damit man hineinschauen kann in sein Leben und in sein Land. Zwischen 2006 und 2009 hat er einen Blog geschrieben, der zugleich privat und politisch, skurril und subversiv war, und schließlich von der Regierung geschlossen wurde. Er hat Dokumentarfilme über Menschenrechtsverstöße, Umweltzer-

störung und Ausbeutung gedreht und wurde dafür geschlagen und verhaftet. Er hat Webcams in seinem Haus installiert, um die Überwachung seiner Person durch die Behörden ad absurdum zu führen und wurde gezwungen, sie abzuschalten. Ai Weiwei­ reagiert mit seinen Werken auf seine Umwelt, dann wartet er auf die Reaktionen der Umwelt auf seine Werke.

2008 erlaubte er der jungen amerikanischen Journalistin Alison Klayman, ebenfalls einen Blick durch den Türspalt zu werfen. Drei Jahre lang beobachtete sie ihn immer wieder mit ihrer Kamera, besuchte ihn in seinem Atelier und begleitete ihn zu Ausstellungen auf der ganzen Welt. So ist die Dokumentation „Never Sorry“ entstanden, die ab Mitte Juni in deutschen Kinos zu sehen ist.

Klayman war vor den Dreharbeiten kaum vertraut mit Ai Weiwei. „Ich habe ihn über meine Mitbewohnerin Stephanie Tung kennengelernt, die eine Ausstellung mit Fotografien kuratiert hat, die er in den Achtzigern in New York gemacht hat. Sie zeigte mir viele davon und ich sah Ai Weiwei mit so ziemlich jedem chinesischen Kulturschaffenden, der in New York lebte. Es gab auch Bilder mit Allen Ginsberg, der im East Village sein Nachbar war, und mit Bill Clinton. Da wurde mir klar, dass er wohl ein anerkannter Künstler war.“ Schließlich begleitete Klayman ihre Mitbewohnerin zu den Treffen mit Ai Weiwei. „Eine sehr imposante Erscheinung, larger than life“, erinnert sie sich. „Ich habe nach meinem Studium in China am Set eines Films von Jackie Chan und Jet Li als Assistentin gearbeitet. Ich erwähne das, weil die eine ähnliche Präsenz hatten, wenn sie mit ihrem Gefolge den Raum betraten. Ai Weiweis Gefolge ist sein Leben, sind die Geschichten, die ihm vorauseilen. Er wirkte regelrecht einschüchternd auf mich. Doch über die Beschäftigung mit den Fotografien entstand schnell eine vertrauliche Atmosphäre.“ Klayman begann, die Gespräche mit dem Künstler für einen die Ausstellung begleitenden Kurzfilm aufzuzeichnen. „Ich hatte am Ende viel mehr Material, als ich brauchte, und das weit über die Fotos hinausging. Und ich wollte mehr über diesen faszinierenden Mann erfahren.“

„Never Sorry“ ist eine Annäherung an Ai Weiweis­ Werk geworden, kein intimes Porträt, durch das man der trotz aller Transparenz rätselhaften Person näherkommt. Wer in den vergangenen Jahren die Berichterstattung verfolgt hat und den seit Kurzem in deutscher Übersetzung vorliegenden, äußerst aufschlussreichen Blog („Macht euch keine Illusionen über mich: Der verbotene Blog“, Galiani, 19,99 Euro) gelesen hat, wird keine neue Seite des Künstlers entdecken. Man sieht ihn zwar im Gespräch mit seiner Frau und seiner besorgten Mutter und in Interaktion mit seinem kleinen unehelichen Sohn, doch er bleibt emotional distanziert. „Man musste ihn nicht dazu bewegen, etwas über die chinesische Regierung oder die Gesellschaft zu sagen“, erklärt Klayman, „aber wenn es privat wurde, winkte er meist ab und sagte nur: ,Das ist jetzt zu sentimental.‘“

„Never Sorry“ zeigt nur das, was Ai Weiwei zeigen möchte, ist eine Dokumentation seiner Dokumentationen. Der Film bindet die vielen öffentlichen Äußerungen des Künstlers zu einer an­-

dert­halbstündigen Narration zusammen. Noch einmal wird man Zeuge, wie er in die Provinz Sichuan­ reist, um die Schuld der Regierung an den bei einem Erdbeben getöteten Schulkindern zu beweisen, man hört auf der Tonspur, wie ein Sicherheitsbeamter ihn schlägt und sieht, wie er einen Monat später in einem Münchener Krankenhaus liegt, wo die aus dem Übergriff resultierende Hirnblutung behandelt wurde, und erfährt, wie Freunde und Familie auf seine Verhaftung im April 2011 reagieren. Durch die Zusammenschau macht „Never Sorry“ deutlich, warum Ai Weiwei eine so bedeutende und schillernde Person in der Kunstszene und weit darüber hinaus geworden ist. Seine Kunst besteht darin, Nachrichten zu produzieren, die Welt über die Medien mit Momenten der Wahrheit zu versorgen. 

Trailer: „Ai Weiwei: Never Sorry“

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