Hurricane, der Samstag: Don’t Look Back in Anger – mit Tausenden im Chor
Florence and the Machine sind wunderbar pathetisch und extravagant – Noel Gallagher spielt stoisch seinen Stiefel durch. Schlimm? Nein, genau richtig so! Seine Fans sind im Glückszustand.
„Ich halte ein Schild hoch“, steht auf dem hochgestreckten Pappschild des Festivalbesuchers vorne links in der Zuschauermenge. Eine Betextung, die man neben den sonst so verbreiteten Schriftstücken wirklich als selbstreflektiert-humorvoll bezeichnen möchte. Jedes Festival hat ja so seine Eigenarten, entwickelt seine kleinen Trends – auf dem Hurricane 2012 gehört ist eben das betextete Pappschild auf jeden Fall eines der beliebtesten Accessoires.
Während man das Schildertreiben in den vorderen Reihen beobachtet, geben auf der blauen Bühne gerade Kakkmaddafakka aus Norwegen für viele Besucher den samstäglichen Festivalauftakt. Zuvor hatten unter anderem schon In Golden Tears, Electric Guest, Less Than Jake und Little Dragon gespielt, doch zum Beginn des Kakkmaddafakka-Auftritts füllt sich das Gelände dann merklich. Kein Wunder, schon als die vielköpfige Band 2008 mit ihrem Debütalbum über die deutschen Festivals tourten, eigneten sie sich schnell den Ruf an, eine herausragende Festivalband zu sein, unberechenbare, bunt-chaotische Auftritte hinzulegen.
Ganz so überraschend ist das, was Kakkmaddafakka auf der Bühne treiben, inzwischen zwar nicht mehr – aber doch allemal unterhaltsam. Dafür sorgen vor allem die drei in Anzüge gewandeten Backgroundtänzer, die ihre einstudierten Choreographien zum Besten geben – und damit auch nicht aufhörten, als der Ton genau das immer wieder tut. Vermutlich kriegt die Band es auf der Bühne gar nicht mit, doch von dem Mittelteil des Konzerts hört das Publikum herzlich wenig. Irgendein vermeintlicher Wackelkontakt sorgt dafür, dass alle paar Sekunden der Ton wieder von Neuem wegbricht – was der Show keinen Abbruch tut, nur dem Publikum dann doch mit der Zeit auf die Nerven geht. Doch machen die ersten Reihen, die noch ein wenig Ton vernehmen, einfach weiter, im hinteren Bereichen setzt mit dem An und Aus des Tons eine Art Stopptanz ein.
An der Red Stage begeisterten derweil die Dame und die Herren von Other Lives. Die Multiinstrumentalisten aus Oklahoma spielen sich mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Folk, Trip-Hop, Pop und Psychedelic in die Herzen der Zuschauer, von denen viele die Combo zum ersten Mal live sehen. Nach einem Konzert mit wunderbar melodischen Disharmonien, spannenden Dynamiken und Jesse Tabishs Stimme, die ein wenig wie die von Fleet Fox Robin Pecknold anmutete, verkauft Backgroundsängerin, Cellistin, Violinistin und Percussionistin Jenny Hsu neben der Bühne Alben und T-Shirts.
Ein Problem, das die Technik dann zum Ende des Konzerts wieder in den Griff kriegt, und das beim folgenden Thees Uhlmann & Band-Konzert zum Glück keines mehr ist. „Ihr seid ganz schön viele“ stellt der Tomte-Sänger auf Solopfaden währenddessen immer wieder fest und freut sich ganz offensichtlich über den Besucheransturm vor der Blue Stage. Ganz offensichtlich hat Uhlmann Spaß, während er sich durch sein Solodebüt spielt, die Gitarre quer über die Bühne schmeißt und Geschichten erzählt. Über das Großstadt- und Dorfleben und die deutsche Musikszene, die er folgendermaßen zusammenfasst: „An einem Ort, an dem Casper so viele Alben verkauft wie Sido und Bushido zusammen, läuft ja zumindest noch einiges richtig.“ Darauf schließt er „& Jay-Z singt uns ein Lied“ an, und alle, die sich gegen Madsen und für Thees Uhlmann am frühen Abend entschieden haben, gucken spätestens bei der Textzeile „und wie häufig schlägt dein Herz, wie häufig siehst du himmelwärts“ nach oben und stellen fest, dass auch Tag zwei mit einem überraschend Schäfchenwolken-geschmückten Himmel überzeugt. Mit einer gelungenen Coverversion von Caspers „XOXO“ neigt sich das Konzert dann dem Ende und der ein oder andere wechselt über zur Hauptbühne, wo Madsen noch spielen, die zuvor gerade das Publikum animiert hatten, einen schönen Gruß an Thees zu schicken und ebenfalls eine gelungene Coverversion einbauen: Alex Clares „Too Close“, in der Madsen-Version.
Noel Gallagher folgt einer wunderbar pathetisch-extravaganten Florence + The Machine und leutet mit „Good to be Free“ seinen Auftritt ein. Komischerweise spielt er eine Setlist, die mit den ersten sechs Songs der Albumtracklist der „High Flying Birds“ identisch ist. Das stört aber nicht wirklich, da die Tracklist ja auch funktioniert. Der Ex-Oasis-Frontmann spielt relativ stoisch seinen Stiefel durch, begleitet von dem Gesang Tausender und nur unterbrochen von gelegentlichen Gesprächen mit seinen Fans in den vorderen Reihen. Das ist Noel Gallagher – trockener Humor, wenig Gadgets, die Musik zählt. Man hört noch nicht einmal, dass der gute Gallagher eigentlich krank ist, so sehr legt er sich in Scheeßel ins Zeug. Nach „Talk Tonight“, „AKA… Broken Arrow“; „Half The World Away“ und „Standing On The Wrong Beach“ verabschiedet er sich, bedankt sich bei seinem Publikum und katapultiert mit „Don’t Look Back In Anger“ seine Fans in den siebten Himmel.
„Sigh No More“ ist dann der Titel mit dem Mumford & Sons am fortgeschrittenen Abend die Bühne betreten und kurz darauf gleich mit ihrer erfolgreichsten Single „Little Lion Man“ fortfahren. „But it was not your fault but mine, and it was your heart on the line” – das gesamte Publikum ist hier erwartungsgemäß textsicher. „Meine Hand ist gebrochen“ und „das ist das einzige Deutsch, das ich sprechen kann“, erklärt Sänger Marcus Mumford dann im Folgenden das fehlende Instrument in seiner Hand und die zusätzliche Person auf der Bühne. So spielte Harry Cargill heute die Gitarre. Ein Umstand mit dem die Festivalbesucher wirklich Glück gehabt haben, denn manch anderer Gig musste von den Briten zuvor, aufgrund des unerwarteten Ausfalls von Marcus Mumfords rechter Hand, abgesagt werden. Während den Pausen zwischen den Songs hört man gelegentlich Ausschnitte vom nebenher stattfindenden Blink 182 Konzert auf der Hauptbühne – dem Headliner des Abends – die den Hauptteil des Festivalpublikum somit auch auf seiner Seite hatten.
Sein Ende nimmt der zweite Festivaltag dann mit Garbage und Justice, die die verbliebenen Besucher unter sich aufteilten. Justice feuerten gleich zu Beginn ihren Hit „We Are Your Friends“ ab, doch auch für alle weiteren nachkommenden Zuschauer gibt es eben diese Textzeilen „Because we are your friends / You’ll never be alone again / We’ll come on“ dann auch noch ein zweites, ein drittes und ein viertes Mal – zwar in verschiedenen Versionen, doch aber mindestens einmal zuviel. Abgesehen von eben dieser Wiederholung bieten Justice aber das, wofür die meisten Festivalbesucher eben vor dieser Bühne stehen dürften – noch einmal am Ende des Abends die Möglichkeit sich alle restliche Energie auszutanzen. Dazu die ihnen schon so einverleibte leuchtende Bühnenshow – natürlich mit dem berühmten Justice-Kreuz in der Mitte.
Die Textzeile „Never be alone again“ noch im Kopf endet der zweite Tag des Hurricane Festivals. Zurück in die Zelte oder auf die Motorbooty-Party, wo noch bis in die frühen Morgenstunden getanzt werden konnte.
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Tipps und Tricks zu den Fragen, wo man am besten sein Zelt aufbaut, was unbedingt in die Festivalreiseapotheke gehört sowie eine Übersicht über Besucherzahlen und Geländeflächen findet ihr übrigens in unserer Hurricane-Galerie oben auf Platz 24-29, zusammengestellt von immonet.de Hier gibt es zudem den Bericht vom Hurricane-Festival 2012.