Die langweilige Frage, ob das noch Punkrock ist, sparen wir uns jetzt mal, und schauen einfach auf die Songs. Von denen gibt es auf dem neuen Doppelalbum zum 30-jährigen Bandjubiläum viele – 16 eigene und 15 Coverversionen haben Die Toten Hosen zusammengetragen. Es war kein leichtes Unterfangen (wie man in unserer April-Titelgeschichte lesen konnte), aber das ist es bei den Düsseldorfern ja nie. Das Schöne ist: Man hört das diesmal nicht. Lange klangen die Hosen nicht so zwingend. Auf „Ballast der Republik“ bündeln sie ihre Kräfte effizient wie ungefähr seit (dem arg unterschätzten) „Auswärtsspiel“ nicht mehr.

Der Titelsong gibt das Tempo vor – und widmet sich einem Lieblingsthema Campinos. Mit dem Rostocker Rapper Marten „Marteria“ Laciny hat er sich Gedanken um den Stand der Republik gemacht: „Wir haben keine Zeit mehr/ Für Politik und Religion/ Wenn wir an Götter glauben/ Dann tragen sie Trikots.“ Und doch drückt einen immer die Last der Geschichte nieder, und die Sorgen der Gegenwart auch – es ist das alte Lied der Deutschen. Und es ist eine klassische Hosen-Hymne: Eigentlich müssten diese Lieder deprimierend sein, aber man will doch sofort mitsingen. So ist das auch bei „Traurig einen Sommer lang“, der Satire über das tragische Musikantenleben.

Die Toten Hosen sind längst keine Dilettanten mehr, man hört das an der abwechslungsreicheren Instrumentierung (sie haben in Vincent Sorg jetzt auch den passenden Produzenten und mit Tobias Kuhn einen tollen Arrangeur), und wenn sie mal wieder einen simplen Brecher schreiben, dann aber richtig – siehe „Zwei Drittel Liebe“ oder „Schade, wie kann das passieren“. Die nachdenklicheren Lieder, in denen Campino über Vergänglichkeit, Moral und Sinn sinniert, gibt es natürlich auch: das Flüchtlingsdrama „Europa“ oder „Altes Fieber“, das gegen den Alltagstrott und die Erinnerungen an angeblich bessere Zeiten kämpft. Am anrührendsten sind aber die beiden Balladen über Väter: „Draußen vor der Tür“ erzählt Campino aus der Sicht des jetzt versöhnlicheren Sohnes, in „Das ist der Moment“ geht es um ihn als Vater – aber auch als Sänger und Rockstar. Ein ehrliches Lied ohne Pathos oder Angeberei.

Und dann sind da noch „Die Geister, die wir riefen“. Die Hosen covern nicht nur die erwartbaren Kollegen aus Düsseldorf – Male, Mittagspause, S.Y.P.H., nein. Sie verneigen sich auch vor Falcos „Amadeus“ und dem „Model“ von Kraftwerk, sie spielen Hannes Waders „Heute hier, morgen dort“ und „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten. Am überraschendsten ist aber wohl, dass weder die Vertonung von Hermann Hesses „Im Nebel“ noch die von Erich Kästners „Stimmen aus dem Massengrab“ peinlich geraten ist – die Gedichte klingen einfach wie Hosen-Lieder. Das muss man erst mal schaffen! Am Ende kommt noch die alte Weise „Lasset uns singen“. Auf die nächsten 30 Jahre! Oder wenigstens zehn.