Aber es fehlen natürlich …

… Ekel Alfred. Starsky & Hutch. Der Bastian. Weshalb Fernsehserien zu den Lieben unseres Lebens gehören.

Warum fehlt hier eigentlich so viel? Schon vergessen, wie unterhaltsam die Dialoge bei „Ich heirate eine Familie“ waren? Oder wie gemein der Humor von „Roseanne“? Sind die Lesben von „The L Word“ etwa nicht schön genug? Und war James Woods als gnadenloser Anwalt „Shark“ wirklich selbst schuld, dass seine Serie nur so kurz lief? Warum ist unser Lieblings-Indie-Kid Seth Cohen („O.C., California“) nicht dabei, und wissen nicht längst alle hier in Deutschland, wie toll „Curb Your Enthusiasm“ oder „Being Erica“ sind? Der eine ist entsetzt, dass Manfred Krug es mit „Auf Achse“ nicht in die Top 70 der Serienhelden geschafft hat, der andere weint immer noch Ekel Alfred, „Unserem Lehrer Dr. Specht“ oder „Praxis Bülowbogen“ hinterher. Und dann kommt plötzlich die Volontärin an und fragt: „Was ist denn mit, Buffy‘?“

70 Serienhelden – das klingt nach einer Menge, aber unser Leben besteht aus einer viel größeren Menge Fernsehen, und Serien sind das Allerschönste am Fernsehen. Ein Spielfilm ist wie eine Amour fou – eine heftige Affäre für zwei Stunden, die vielleicht länger nachwirkt und möglicherweise mal wiederholt wird, aber eine Serie – das kann eine jahrelange Liebesbeziehung werden. Bei einer wie „Emergency Room“, auch in Deutschland gern liebevoll „ER“ abgekürzt, die über 15 Staffeln läuft, kennt man das Personal nach einer Weile so gut, dass man die Leute grüßen würde, wenn sie einem auf der Straße begegneten. „Hi, Abby, alles wieder gut mit Luca?“ Man leidet mit, man kämpft mit, man beschäftigt sich mit den Sorgen dieser Menschen, die es gar nicht gibt, weil sie einen berühren und das eigene Leben für ca. 50 Minuten in den Hintergrund treten lassen. Eine Erleichterung.

Die Begeisterung für eine Serie – das ist wie eine lange Leidenschaft für eine Band, ohne die man sich die Welt kaum vorstellen kann. Man kann Adele bewundern oder James Blake, aber es wird noch lange dauern, bis sie einem so viel bedeuten wie die Musiker, deren Karriere man seit Jahrzehnten verfolgt. Bob Dylan, Bruce Springsteen, U2 – sie sind das musikalische Äquivalent zu „ER“, „House“ und den „Sopranos“. Wir können Dialoge zitieren, wie wir Songzeilen zitieren können, und ob das eine mehr Eskapismus ist als das andere, kommt auf die Situation an.

Vor dem Einschlafen gibt es nichts Schöneres als „Die Nanny“, sie wiegt einen mit ihrer Kreischstimme und dem harmlosen Humor herrlich in den Schlaf. Wobei Ted Dansons zynischer „Becker“ auch funktioniert, weil man sich dank der sparsamen Sets – der Großteil spielt sich im Café oder in der Praxis ab – sofort zu Hause fühlt. Alle sind fies zueinander, und doch spürt man, wie gern sie sich haben. Arztpraxen und Krankenhäuser, Schulen und Kneipen, FBI und Polizei: Das sind die klassischen Serienorte. Der Flughafen wurde leider noch nicht entdeckt und das Gastgewerbe zuletzt auch sträflich vernachlässigt. Es bleibt ein Rätsel, warum nur so wenige Zuschauer ins glamouröse „Hotel Babylon“ einchecken wollten – eine der besten BBC-Serien der vergangenen Jahre.

Viele Serienfreunde sind ohnehin längst dazu übergegangen, gleich komplette Staffeln in DVD-Boxen zu bestellen, statt darauf zu warten, dass die Serien nach Deutschland kommen. Die lästige Diskussion um die Qualität der Synchronisationen (die oft besser sind als ihr Ruf) entfällt dann. Aber: Es entfällt auch die schöne Spannung, die sich jeden Mittwoch einstellt, bis es endlich 20:15 Uhr ist. Oder Dienstag, 21:45 Uhr: Noch heute weiß doch jeder, der in den 80er-Jahren aufgewachsen ist, wann „Dallas“ lief (und ab welchem Alter er es endlich nicht nur in den Ferien anschauen durfte). Oder wie man in den 90er-Jahren die Samstage verbracht hat – mit „Beverly Hills, 90210“. Und so weiter.

Wie also haben wir letztendlich die 70 Serienhelden ausgewählt? Unter Schmerzen! Auf Kinderkram haben wir verzichtet und auch auf alle Zeichentrickserien – bis auf die gelben Männchen, die wie keine anderen die Popkultur mitgeprägt haben. Gegen die Simpsons hatten Wickie und Biene Maja, Tom & Jerry und Popeye natürlich keine Chance, und auf „South Park“ pfeifen wir auch. Obwohl: Den Maestro aus „Es war einmal …“ hätte ich gern einmal wiedergesehen! Oder Grisu … Schlaubi … Beavis & Butthead …

Lose Reihen, die keine durchgehende (Hintergrund-)Handlung haben, mussten ebenfalls wegfallen, also kein „Traumschiff“, „Derrick“ oder „Tatort“. Und mehr als ein halbes Dutzend Folgen sollte es schon geben, sonst gilt es nicht als Serie – es sei denn, die Episoden sind dermaßen sensationell wie die von „Kir Royal“, dann werfen wir die Regeln schon mal über Bord, wie das Baby Schimmerlos bei schwierigen Aufträgen auch immer gemacht hat. Zu viele Skrupel verderben die Laune. Mag ja sein, dass viele „C.S.I.“ in sämtlichen Variationen gucken, aber wenn sich keine(r) so dafür begeistern kann, dass es nominiert wird – dann raus damit. So fielen auch einige der klassischen „Frauenserien“ durchs Raster: „Brothers & Sisters“ war doch zu pathetisch, „Cougar Town“ zu hysterisch, die „Gilmore Girls“ vielleicht nur zu lange her. Moment mal, mag man einwenden, aber „Friends“ ist nicht zu albern? Kann schon sein, doch jeder Zweite wollte plötzlich über Chandler Bing schreiben, der in all den Jahren zu einer Art virtuellem Nachbarn geworden ist, den man in letzter Zeit nur nicht mehr so häufig sieht. Das macht eine gute Serie aus: Sie gehört einfach zum Leben dazu. Und wer trotzdem noch unter dem Fehlen von diesem oder jenem Helden leidet, der muss sich wohl mit Dr. House trösten: „Wie schon einmal ein berühmter Philosoph namens Mick Jagger sagte: You can’t always get what you want!“ birgit fuss

Die Liste der Unsterblichen

01

Die Sopranos

Tony Soprano

Es beginnt mit den Enten, die im Swimmingpool der Familie Soprano schwimmen. Für Tony Soprano sind die Tiere ein Menetekel, Allegorien für seine Depression. Offiziell arbeitet Soprano in der Müllbeseitigung – ein klassischer Mafia -Witz. Tatsächlich hängt er mit seiner Bande im Hinterzimmer des Table-Dance-Clubs,, Bada Bing“ herum, einer Ausgeburt der Schnellstraßenhölle von New Jersey wie aus einem Roman von Richard Ford. Tony ist der Pate der lokalen Mafia-Organisation, in der Autorität bedroht von seinem ebenso tutigen wie bösartigen Onkel und seiner nörgelnden Mutter. Seine Frau Carmela langweilt sich, macht Cannoli und guckt Filme mit dem örtlichen katholischen Pfarrer, der Sohn ist ein träger Taugenichts, die Tochter ein hysterisches Früchtchen.

David Chases Serie revolutionierte von 1999 an die Erzählweise der Fernsehserie:,, Die Sopranos“ war besser geschrieben und produziert als vergleichbare Kinofilme und bis in die kleinste Nebenrolle glänzend besetzt: Steven Van Zandt als Sidekick, Steve Buscemi als irrer Gangster, John Heard als versoffener Polizist und Verräter, David Strathairn als Liebhaber von Sopranos Frau, Peter Bogdanovich als Psychologe.

James Gandolfini, ein bis dahin erfolgloser Schauspieler, gibt den traurigen Despoten als Sensibelchen, das über die Endlichkeit nachdenkt und zum Reden der Psychotherapeutin Dr. Melfi (Lorraine Bracco) gegenübersitzt, in die er sich verliebt. Zugleich berichtet Soprano ihr von den Problemen mit einer temperamentvollen russischen Nutte, mit seiner Frau, den Kindern, der Mutter und seiner Arbeit, über die sie sich keine Illusionen macht. Melfi gerät in den Bann des ebenso massigen wie labilen, charmanten wie raubtierhaften Machtmenschen, bricht die Behandlung aber nicht ab. Einmal erzählt Soprano von dem fröhlichen Wanderer, der pfeifend seines Weges geht – während Sopranos Tag von Routine, Ennui und jähen Gewaltausbrüchen geprägt ist. Einmal träumt er von der italienischen Nachbarin, die im Garten die Wäsche aufhängt, während die Tindersticks,, Tiny Tears“ spielen. Und als Tony die Heimat seiner Vorfahren besucht, erlebt er mit einer feurigen Grazie den mediterranen Sensualismus, spaziert am Strand und speist in alten Palästen. Dann muss er heim in den täglichen Krieg von New Jersey. aw

02

Dallas

J.R. Ewing

Er war für ein Jahrzehnt die berühmteste Fernsehgestalt der Welt – und die Frage, wer auf J.R. Ewing schoss, bewegte im Jahr 1980 nicht nur die USA. „Dallas“ begann zwar schon 1978, war aber die erste Serie, die eine Ahnung von den 80er-Jahren vermittelte: Egoismus, Gier, Zynismus und der Konservatismus eines Patriarchen und Stinkstiefels. Larry Hagman spielte schon in,, Bezaubernde Jeannie“ eine holzschnittartige Figur – als J.R. brauchte er nur das Grinsen, den Haarscheitel, den viel zu großen Stetson und einen Aktenkoffer, um den Schuft zu geben.

J.R. war bis zum Tod seines Vaters immer das alt gewordene Baby, das Papa gefallen wollte. Als der alte Cowboy nicht aus dem südamerikanischen Dschungel zurückkehrte, hängte der Filius ein hässliches Ölporträt von Jock Ewing an die Wand und entfesselte alle Kräfte des Fiesen. Bruder Bobby, bisher ein Leichtfuß und Hallodri, wurde nun zu Muttis Liebling, während J.R. log, betrog und hinterging. Er erpresste Sex von Frauen, ruinierte Geschäftsleute, korrumpierte Polizeibeamte und bestach Politiker. Seine kuhäugige Frau Sue Ellen trieb er in den Alkoholismus und in die Arme erst eines Rodeo-Reiters, dann eines jugendlichen Fähnleinführers, und den ewigen Rivalen Cliff Barnes bekämpfte er mit allen Mitteln, ohne den drolligen Geizhals erledigen zu können. Später löste er einen Krieg im Iran aus, trat gegen das texanische Erdöl-Kartell an und ließ einen Tanker versenken, verführte im Hinterwald eine Minderjährige und wurde zur Zwangsarbeit in der Kettengang verurteilt.

Unvergessen, wie Larry Hagman als bramsiger Viehbaron beim Barbecue auf der Southfork Ranch präsidierte, wie er aus seinem Mercedes stieg und sich im Wohnzimmer nach vollbrachtem Tagwerk einen Drink einschenkte. Nun wird eine Fortsetzung von „Dallas“ gedreht, aber Larry Hagman ist schwer krank. J.R. hatte sich bereits 1991 erschossen. Er wusste, wann das Spiel aus war. Aw

03

Columbo

Inspektor Columbo

Vorher hatten zwar schon Bert Freed in der „Chevy Mystery Theatre“-Serie und Thomas Mitchell im Bühnenstück „Prescription: Murder“ ein bisschen Inspektor Columbo gespielt. Trotzdem war dieser zerknautschte, wirr-schlaue Polizist Peter Falks Erfindung. Er dachte sich (nachdem Bing Crosby die Rolle abgelehnt hatte) all die Marotten des Ermittlers des Los-Angeles-Morddezernats aus: die zerstreuten Gesten, die schiefe Mimik, das Understatement, die retardierenden Momente, wenn es dramatisch wird. Und, ach ja, auch der schmuddelige Trenchcoat gehörte Peter Falk selbst.

„Columbo“ (1968-1978 und 1989-2003) etablierte statt des Whodunnit das Howcatchem als TV-Krimiplot und führte einen Polizistentypus ein, der weder Dienstwaffe noch Vornamen braucht (einmal behauptet er, sein Vorname laute Lieutenant) – und der von herrlich hochnäsig in Szene gesetzten Mördern (dargestellt von Johnny Cash, John Cassavetes, Faye Dunaway, George Hamilton, Leonard Nimoy, William Shatner oder Oskar Werner) stets unterschätzt wird. gr

04

Mad Men

Don Draper

Dieser Mann widerlegt das Diktum von F. Scott Fitzgerald, nach dem es in amerikanischen Biografien keinen zweiten Akt gibt. Don Draper, ehrgeiziger Provinzler aus kleinsten Verhältnissen, nahm die Identität eines gefallenen Soldaten an, verkaufte Autos und Pelze und bewarb sich bei der Reklame-Agentur Sterling-Cooper in der Madison Avenue in Manhattan. Als die Serie einsetzt, beginnen die 60er-Jahre, Draper ist nun Kreativ-Chef. Jon Hamm – tall, dark and handsome – spielt den Parvenü als versammelten, brütenden Beau zwischen Tyrone Power und Cary Grant, der mit der puppenhaften Betty (January Jones) zwei Kinder hat und kommod in den Vororten wohnt.

„Mad Men“ ist seit 2007 eine Sitten-Sitcom über eine Gesellschaft, in der es bis zum Tod von John F. Kennedy nur den Weg nach oben gibt. Die Männer verfügen über ihre Sekretärinnen, trinken Whisky in ihrem Büro, rauchen immerzu und besuchen in der Mittagspause ihre Geliebten. Draper wird schließlich entdeckt, erpresst, von seiner Frau verlassen und vom Glück – doch jetzt, da er ein saufender Schürzenjäger in einem dunklen Apartment ist, beginnt erst das Design fürs Leben. Reiner Film noir. AW

05

Der ewige Stenz

Monaco Franze

Es gab nur zehn Folgen vom „Monaco Franze“, doch die Figur hat sich ins kollektive deutsche Fernsehgedächtnis eingebrannt wie kaum eine andere – von Baby Schimmerlos abgesehen, der ebenfalls von Helmut Dietl erfunden wurde. Den Monaco entwickelte er gemeinsam mit Patrick Süskind. „Der ewige Stenz“ ist ein ungefähr 50-jähriger Kriminalkommissar, der eigentlich Franz Münchinger heißt. Helmut Fischer spielt den Schlawiner so charmant, dass man ihm nichts übelnehmen kann – da geht es einem ähnlich wie seiner Ehefrau, dem „Spatzl“ Annette von Soettingen. Monaco flirtet sich ungeniert durch Schwabing, manchmal macht ein Kleinkrimineller oder eine seiner Geliebten Stress („immer des G’schiss mit der Elli“), schließlich läuft ihm Annette tatsächlich weg, und er rutscht ins gesellschaftliche Abseits, aber am Ende finden die beiden natürlich wieder zusammen – weil der Schwerenöter tief im Herzen halt doch eine treue Seele ist – „Spatzl, schau, wia i schau!“. Er war allerdings auch ein Nostalgiker, der gern den gemütlicheren Zeiten hinterhertrauerte, und hinter seinem Lächeln lag eine gewisse Melancholie – was ihn nur noch sympathischer machte. Seine abgeklärten Lebensweisheiten gelten bis heute: „Ein bisserl was geht immer.“ bf

06

Dr. House

Dr. Gregory House

So einen Arzt gab es bisher nicht: ein hinkender, vicodinsüchtiger Soziopath, der seine Patienten nicht mag und die Kollegen noch schlechter behandelt. Dass er trotzdem noch praktizieren darf, liegt nur daran, dass Dr. Gregory House genial ist. Er diagnostiziert nicht bloß, er spürt nach Sherlock-Holmes-Manier jedes noch so unwahrscheinliche Leiden auf – das ist sein Leben, das kann er, während er privat von einer Katastrophe in die nächste humpelt. Es war ein Glücksfall, dass Produzent David Shore 2004 für die Rolle dieses gebrochenen Egozentrikers den Briten Hugh Laurie auswählte, obwohl er eigentlich einen Amerikaner suchte. Laurie mag als Komiker bekannt geworden sein, doch er braucht jetzt kaum noch Grimassen, ein Blick aus seinen traurigen blauen Augen reicht oft, um dem Zuschauer zu bedeuten, wie schwer dieser House es hat. Man würde den Kotzbrocken ja nicht jede Woche wieder sehen wollen, wenn man nicht wüsste, dass unter dem Sarkasmus und der Rücksichtslosigkeit ein großes, kaputtes Herz steckt. Es laufen nur wenige so vielschichtige Charaktere im (US)-Fernsehen herum, schon gar nicht acht erfolgreiche Staffeln lang – deshalb wurde Laurie mit „House“ verdientermaßen zum bestbezahlten Seriendarsteller der Welt. BF

07

Twin Peaks

Agent Dale Cooper

Er schwärmt vom Kirschkuchen, vom schwarzen Kaffee, von den Douglas-Tannen und protokolliert seine Anfälle kindlicher Entzückung in Diktiergerätmonologen, die für eine gewisse Diane bestimmt sind. FBI Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan), der im beschaulichen Twin Peaks den Mord an Laura Palmer aufklären soll, ist ein adrett-skurriler Ermittler voller Manierismen. „Harry, I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange“, verrät er dem örtlichen Sheriff.

Cooper wird herausfinden, dass in diesem von Ocker und Beige durchtränkten Idyll nichts so ist, wie es scheint, von einarmigen Männern, von Zwergen und Riesen träumen, angeschossen und suspendiert werden, sich schließlich sogar verlieben.

Tatsächlich machten David Lynch und Mark Frost mit „Twin Peaks“ (1990-1991) einen Genremix sendefähig, der Drama, Mystery, Krimi und Vorabendsoap vermengt. Doch als in der zweiten Staffel die Story zunehmend surreal, Dale Coopers Träume seltsamer wurden, forderte der Sender ABC, den Zuschauern endlich den Mörder zu präsentieren. Zur dritten Staffel kam es dann gar nicht mehr. Und Kyle MacLachlan bekam seinen Kaffee und Kirschkuchen später in der Wisteria Lane von den „Desperate Housewives“ serviert – bis er auch dort wegen moralischer Differenzen ausziehen musste. GR

08

The Simpsons

Homer

Er ist ungebildet, begriffsstutzig, faul, verfressen, fett, verantwortungslos, egoistisch, voller Vorurteile, alkoholkrank und zudem ein schlechter Vater und Ehemann. Kurz: ein Riesenbaby, dem selbst seine schnullernuckelnde Tochter Maggie geistig und emotional überlegen ist. Doch immerhin ist er zur Selbsteinsicht fähig, was er in der englischen Fassung jedes Mal mit einem schon sprichtwörtlichen „D’oh!“ orchestriert, und in seiner Beschränktheit manchmal fast so brillant wie Pu, der Bär. Und trotz aller charakterlichen und intellektuellen Mängel hat er eine bombensichere Stelle als Sicherheitsinspektor eines Atomkraftwerks, wird mindestens so oft befördert wie gefeuert und übte nebenberuflich vom Totengräber bis zum Hollywood-Produzenten schon so ziemlich jeden Job aus, der sich denken lässt. Denn Homer Jay Simpson ist ein ganz normaler Bürger des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten und hat sich, das ist dort Bürgerrecht, ein besonders großes Stück vom Kuchen des amerikanischen Traums gesichert. MB

09

Kir Royal

Baby Schimmerlos

Schau mal, Mama: top of the world! Dieser Typ, gestern noch Sohn des Trambahnfahrers aus der Vorvorstadt, stößt jetzt im Smoking mit dem Ministerpräsidenten an, wird von Models umgarnt, von Chefärzten nach dem Befinden befragt, hat einen Stammtisch bei jedem Luxus-Gastronomen im Mittachtziger-München. Trotzdem ist Baby Schimmerlos verlässlich mies gelaunt. Weil er weiß, dass alle nur so nett sind, weil sie in die Zeitung wollen.

Das Boulevardblatt, für das Schimmerlos – in Helmut Dietls sagenhafter Serie „Kir Royal“ von Franz Xaver Kroetz gespielt – schrieb, war der „Abendzeitung“ nachempfunden, der Klatschreporter dem schlawinerhaften Journalisten Michael Graeter. Und natürlich waren es in Wahrheit Charaktere wie Kleberfabrikant Haffenloher und Möchtegern-Konsul Dürkheimer, die das Publikum für ihre eitle Dummheit liebte. Baby Schimmerlos dagegen ist das tragische Zentrum der Serie. Der Mann, der zum Aufsteigen verdammt ist, bis es nicht mehr weitergeht. Also zur ewigen Unzufriedenheit. JH

10

Breaking Bad

Walt White

Unter all den „sensationellen“, „wegweisenden“, „revolutionären“ amerikanischen Serien hätte man „Breaking Bad“ kaum eine Saison zugetraut. Krebskranker Chemielehrer produziert Crystal Meth, um seine Familie finanziell abzusichern: Das ist als Plot eine todsichere Angelegenheit. Doch Walt White (Bryan Cranston) hat schon vier Staffeln mit aberwitzigen Wendungen überstanden, und noch immer fallen den Autoren irre Räuberpistolen ein, die nicht mal Tarantino erzählen würde. Weil „Breaking Bad“ keine realistische Serie ist, sieht sie wenigstens so aus: als wäre jeden Tag „Traffic“ von Steven Soderbergh. Am Beispiel von Walt White berichtet sie vom Niedergang der USA: Gangsterbanden, Drogenverkauf, präpotente Millionäre, die Tabuisierung des Sterbens – das Schlimmste aber ist die Gesundheitsversorgung gegen Sofortzahlung. AW

11

Californication

Hank Moody

Mad Men“ kam später, und so war Hank Moody der erste Nichteuropäer seit langer Zeit, der im US-Fernsehen rauchte. Außerdem fährt Moody Porsche, ist Alkoholiker und googelt sich gern selbst. Einzelne Handlungsabschnitte von „Californication“ werden mit einer rittlings auf Moody sitzenden Frau abgeschlossen oder eingeleitet. In einem anderen Leben hatte Hank Moody eine bürgerliche Beziehung, der die Tochter Becca entsprang. Damals schrieb er auch den Erfolgsroman „God Hates Us All“. Der defätistische Autor ist zu gleichen Teilen von sich selbst angeekelter Zyniker und Narziss. Der angeblich sexsüchtige David Duchovny hatte in „Akte X“ geglänzt, aber erst Hank Moody wurde zur Rolle seines Lebens. Es ist ein bisschen wie bei Charlie Sheen. tg

12

Desperate Housewives

Bree Van de Kamp

Unter den „Desperate Housewives“ ist Bree Van de Kamp diejenige, die man theoretisch am wenigsten mögen müsste: Republikanerin, Schusswaffenfreundin, Über-Hausfrau, Putzfetischistin, Mutterglucke – die perfekte Spießerin. Aber hinter Brees blank gewienerter Fassade brodelt es immer, und es gelingt ihr nie, ihre moralischen Überzeugungen wirklich umzusetzen. Sie dreht sogar häufiger durch als alle anderen. Bree (Marcia Cross) ist vielleicht die Verrückteste unter den Verrückten der Wisteria Lane, aber sie wird stets versuchen, das durch noch aufwendigere Menüs und noch gepflegtere Vorgärten zu kaschieren. Grace under pressure. BF

13

Two and a half men

Charlie Harper

Gott hab ihn selig. Mit der verkürzten achten Staffel musste der manische Frauenbeglücker, grandios lakonische Bonmot-Generator und trinkfeste Vollzeithedonist aus Malibu in den Serienhimmel eingehen, weil Charlie Sheen seiner Figur immer ähnlicher wurde. Damit ist ihm der Legendenstatus endgültig sicher. Die kleinen Erniedrigungsdialoge, die Charlie gegen seinen bürgerlich-vertrottelten Bruder Alan inszeniert, sekundiert von dessen naseweisem Sohn Jake und dem Haushaltsdragoner Berta, sind von einem schlafwandlerischen Timing und einer so herzhaften Niedertracht, dass alle Preise absolut in Ordnung gehen. Charlie, obligatorisch in Shorts und Hawai-Hemd, verdient sich als Komponist von kleinen Nichtigkeiten eine goldene Nase. Im Schlaf mithin! Ein Traum aller Burnout-gefährdeten Mittvierziger. FS

14

Für alle Fälle Fitz

Fitz

Er ist Kettenraucher, alkohol- und spielsüchtig, gefräßig und geschwätzig, und bei Gelegenheit wird er seiner Frau untreu: Robbie Coltrane spielte in den 90er-Jahren den Psychologen Dr. Edward Fitzgerald als Dampframme der Empathie und Kanone menschlicher Gelüste. Für die tumben Beamten von der Polizei fragt er die Kindheit, die Eltern, perversen Sex, Fetische, heimliche Leidenschaften und Obsessionen aus den Delinquenten – Coltranes physische Präsenz, sein Sarkasmus und seine Sprache erlauben den schaudernden Blick in die steilsten Abgründe der Existenz. AW

15

Emergency Room

Dr. Mark

Greene

Was fehlt Ihnen?“, fragt Dr. Mark Greene eine seiner letzten Patientinnen. „Ich habe eine Nagelhautentzündung“, schimpft sie, „die ist sehr schmerzhaft.“ „Ich habe einen Hirntumor, der inoperabel ist“, sagt Greene, „ich gewinne!“ „Emergency Room“ (1994-2009) war eigentlich ein Entwicklungsroman, der von John Carter (Noah Wyle) erzählte, der als Medizinstudent am Country General in Chicago anfängt und später nach Afrika gehen wird. Doch Mark Greene (Anthony Edwards) war als Oberarzt der Notaufnahme die gute Seele in Michael Crichtons Serie. Als sie diesen schüchtern-zuverlässigen Typen, der gern so smart wie der Kinderarzt Doug Ross (George Clooney) gewesen wäre, in der achten von 15 Staffeln an Krebs sterben ließen, hörte das Herz der bis dahin besten aller Krankenhausserien auf zu schlagen. GR

16

Miami Vice

Sonny Crockett

Kuriose Idee eigentlich, ausgerechnet Cops so modisch auszustaffieren, dass sie sogar zu Stil-Ikonen des Jahrzehnts taugen. Man erinnere sich an die Bundfaltenhose von Sonny Crockett, das pastellige T-Shirt zum sandstrandweißen Anzug, Jackettärmel gern bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, nicht zu vergessen die Ray-Ban-Wayfarer etc. Aber wir sind hier auch nicht in New York oder San Francisco, sondern in Florida! Damit so ein Mode-Geck zugleich als knallharter Ermittler durchgehen kann, spielt man gern auf seine virile Vergangenheit als Vietnam-Veteran und Beinahe-Football-Profi an, lässt ihn moralisch nicht immer ganz astrein aus der Wäsche schauen und eine impulsive Grundaggressivität an den Tag legen. Die Jacht mit Alligator Elvis als Haustier war dann schon wieder fast etwas zu mondän. FS

17

Alias

Sydney Bristow

Bevor uns J.J. Abrams mit „Lost“ verrückt machte, erfand er eine irre Geschichte um eine Doppelagentin, die sich mit Bösewichten aller Art, einem zwielichtigen Vater und einer Hexe von Mutter herumschlagen muss, der einige geliebte Menschen genommen werden und fast auch der Glaube an das Gute. Es geht um geheimnisvolle Artefakte und unerklärliche Phänomene, aber das Spektakulärste an „Alias“ ist die Hauptfigur: Sydney ist hochintelligent und kann diverse Kampfsportarten, sie schlüpft in die wildesten Verkleidungen und legt mit ihrer Eleganz und Energie fast alle Widersacher rein. Jennifer Garner kostete die Rolle viel physische Kraft, doch sie spielte auch die zarten Momente mit feinem Gespür für diese gebrochene, aber niemals demoralisierte Frau. Trotz des haarsträubenden Endes: Eine stärkere Heldin als Sydney Bristow muss man im Fernsehen lange suchen. BF

18

24

Jack Bauer

Es war wohl ein Zufall, aber „24“ begann kurz nach dem 11. September 2001, und die Serie passte perfekt in die Dekade der Unsicherheit. Jack Bauer wurde zum amerikanischsten aller Fernsehhelden, im Positiven wie Negativen. Als Agent der Anti-Terror-Einheit CTU kämpfte er mit allen Mitteln gegen das Böse, diverse Foltermethoden inklusive. Acht Staffeln lang quälte er zum Schutz des Vaterlandes andere und noch mehr sich selbst, wurde gejagt, betrogen und verraten. Man war geneigt, ihm seine brutalen Fehltritte zu verzeihen, weil er so verzweifelt aussah und jederzeit klar war, dass er am Ende vielleicht eine Stadt oder gar ein Land retten konnte, aber nie seinen Seelenfrieden. Für Kiefer Sutherland die Rolle seines Lebens, und nebenbei erfanden die Drehbuchautoren die „Echtzeitserie“. Wegen der Werbepausen dauerte eine „24“-Stunde zwar nur 42 Minuten, aber wer mal versucht hat, alle Folgen einer Staffel hintereinander zu gucken, der weiß, wie hart ein Tag von Jack Bauer war. BF

19

Magnum

Thomas Magnum

Aloha, Vietnam: „Magnum“ thematisierte Anfang der 80er-Jahre erstmals das Trauma des Vietnamkrieges im Rahmen einer Mainstream-TV-Serie. Mit einem von Kriegserinnerungen geplagten Hauptdarsteller, dem Vorschriften nichts mehr gelten, Freundschaft und Loyalität dafür alles. Thomas Magnum ist ein trauriger Sympath, der im sonnigen Hawaii ein einigermaßen unbehelligtes Leben fernab vom Dschungelkrieg führen will. Und als Privatdetektiv doch das tun muss, was er am besten kann: in Gefahr schweben, Kugeln ausweichen, seine Leute retten. „Magnum“ ist natürlich vor allem eine amüsante Krimiserie mit pointierten Running Gags und exotischen Kulissen. Doch es steckt mehr in den komplexen Plots, und man spürt allen Männern ihre Gebrochenheit ab – dem halbseidenen Rick ebenso wie dem überkorrekten Higgins. JS

20

30 Rock

Liz Lemon

Auf der einen Seite ihr selbstgefälliger Boss Jack Donaghy (Alec Baldwin), der findet, dass das Programmieren von Mikrowellen komplizierter ist, als Fernsehen zu machen. Auf der anderen zwei zankende exzentrisch-egozentrische Stars (Tracy Morgan als Tracy Jordan und Jane Krakowski als Jenna Maroney). Und dazwischen Liz Lemon (Tina Fey) – paranoid, hypernervös, nerdy -, die als Chefautorin versucht, am 30 Rockefeller Plaza in Manhattan die NBC-Show „TGS with Tracy Jordan“ am Laufen zu halten. Wie im wirklichen Leben halt. Tina Fey verarbeitet in „30 Rock“ (seit 2006) als Produzentin, Autorin und Hauptdarstellerin ihre Erfahrungen bei „Saturday Night Live“, macht die Comedyserie zu einer Real- und Mediensatire, einer jazzigen Ensemblekomödie, aber irgendwie auch zur One-Woman-Show der Liz Lemon. GR

21

Die 2

Lord Brett

Sinclair

The Persuaders“ floppten überall. Nur in Deutschland feierten „Die 2“ Erfolge – dank der irren „Übersetzung“ von Rainer Brandt und Karl-Heinz Brunnemann. Roger Moore gab als Lord Brett Sinclair den spreizfingrigen englischen Aristokraten, der mit dem jovialen US-Millionär Danny Wilde (Tony Curtis) nur so aus Daffke „auf Ganovenjagd geht“, weil so eine Schwerreichenexistenz außer schnellen Sportwagen, kühlen Drinks und hübschen Frauen wenig Abwechslung zu bieten hat. Einige Wortschöpfungen gingen sogar in die deutsche Umgangssprache ein („Tschüssikowsky“, „Sleep well in your Bettgestell“). FS

22

Ausgerechnet Alaska

Ed Chigliak

Wir waren es Anfang der Neunziger nicht gewohnt, im Fernsehen auf Charaktere zu treffen, die etwas mit unserem Lebensgefühl zu tun haben, statt nur die bürgerlichen Vorstellungen der Elterngeneration zu ventilieren – deshalb liebten wir „Ausgerechnet Alaska“. Die skurril-eigenartigen Typen in einer entlegenen Kleinstadt in Alaska markierten einen Wendepunkt im Serienfernsehen; fortan gehörten schrullige Typen und etwas sonderbare Geschichten zum guten Ton. Unser Held ist Ed Chigliak – der freundlich zarte und naive Halbindianer wird beim Erwachsenwerden von einem Geist begleitet und erklärt sich das Leben anhand von Filmplots. JS

23

True Blood

Eric Northman

Vampire, das hatten wir bei „Twilight“ gelernt, waren nur etwas für blutleere Teenager, die im Grunde ihres Herzens froh sind, wenn Sex verboten ist. Dann kam „True Blood“. Die Kellnerin Sookie Stackhouse verliebt sich in einem Südstaatenkaff in einen Untoten, es gibt viel Sex und sehr viel Blut zu sehen, außerdem Werwölfe, Elfen und Hexen. Aber richtig spannend wird es stets, wenn Eric Northman auftaucht: ein mehr als tausendjähriger Vampir, ein moderner Wikinger mit unersättlicher (Mord-)lust. Solche Geschichten klingen immer albern, wenn man sie nacherzählt, selbst wenn man betont, dass die Vampire hier nur Stellvertreter für andere Außenseiter sind. Aber Alexander Skarsgård gelingt als Eric etwas Seltenes: Man hofft plötzlich, das Böse möge gewinnen. bf

24

Raumschiff Enterprise

Spock

Nur wenige Seriencharaktere sind tiefer eingegangen in das kulturelle Bewusstsein der 70er- (und 80er-)Jahre als der kühle Logiker Spock. Dabei sind die „Enterprise“ und ihre Crew von Gene Roddenberry ja eigentlich als Bollwerk des Humanismus angelegt: Der Mensch ist überlegen, weil er Gefühle zulässt und moralisch handelt. Warum lieben wir das Spitzohr trotzdem? Weil Spock die Freiheit des Einzelnen nie aufgibt und im Lauf der Serie auf dem Weg der Logik erkennt, dass Menschen doch irgendwie toll sind. Erstaunlich! Damit denkt der Vulkanier, der zudem ein spirituelles, asiatisches Moment in die Serie einführt, eben doch moralisch. Live long and prosper. JS

25

Der Doktor & das liebe Vieh

Dr. James

Herriot

Während James Herriot (Christopher Timothy), der junge, tüchtige Tierarzt, noch bis zur Schulter im Arsch eines Rindviechs steckt, offenbar um dessen Gallensteine mit der Hand einzusammeln, lässt sich sein egozentrischer Praxis-Chef Siegfried Farnon schon von der Bauersfrau in der guten Stube eine Tasse heißen Tee und ein Jumbostück vom hausgemachten Plumpudding reichen. Das ist in etwa die Grundkonstellation, aus der die Serie „Der Doktor und das liebe Vieh“ ihre distinguierte, hübsch unaufdringliche Komik bezieht. Mit Siegfrieds jüngerem Bruder Tristan ist auch ein Hanswurst mit von der Partie, ein stinkend fauler Kindskopf, der den Älteren zur Weißglut bringt. Und Helen, Herriots Braut, sorgt für das allerdings sehr zurückhaltend eingesetzte amouröse Pfeffer. Mehr Schauwerte haben da fast die pittoresken Landschaftsaufnahmen der kargen englischen Provinz North Yorkshire. FS

26

Pastewka

Bastian Pastewka

Ach, Pastewka! Das denkt man ständig, wenn man die skurrilen Geschichten des Komikers verfolgt, der seit 2005 Staffel für Staffel versucht, den Alltag ohne größere Blessuren zu bewältigen. Dauernd verhält sich Bastian Pastewka ungeschickt, beleidigt aus Versehen diesen und verprellt jenen, überschätzt sich selbst oder übersieht mal wieder, dass seine Freundin andere Interessen hat als er, der am liebsten fernsieht und sich über seine Nachbarin aufregt. Die Grenzen zwischen dem „echten“ Pastewka und der Serienfigur verschwimmen dabei – ein Effekt, mit dem die Sitcom gezielt spielt. Und weil Pastewka so viel Wert aufs Detail legt – bei den Dialogen, der Ausstattung und der Auswahl der Gäste -, macht es jede Woche wieder Spaß, mit dieser egozentrischen, aber sympathischen Nervensäge mitzuleiden. BF

27

Akte X

Dana Scully

Einer der tollen Einfälle in Chris Carters Mysteryserie „Akte X“ (1993-2002) war, die gängigen mit Mann-Frau-Klischees verbundenen Rollenzuweisungen von Vernunft und Gefühl zu vertauschen. Während FBI-Agent Fox Mulder (David Duchovny) seine Leichtgläubigkeit, seine leidenschaftliche Begeisterung fürs Irrationale zur Schau stellte („The truth is out there“), war Dana Scully (Gillian Anderson) die kühle Skeptikerin, die Unnahbare, die emotionslose Medizinerin, die bei der Aufklärung unheimlicher Fälle nur an Zahlen, Fakten, Beweisbares und die katholische Kirche glaubt. Inzwischen ist Scully längst Teil des Popdiskurses, ein Synonym für die Verweigerung, sich aufs Übernatürliche einzulassen: „I can’t believe you are trying to Scully me“, empört sich in „Buffy – The Vampire Slayer“ die Vampirjägerin über einen Zweifler. GR

28

Ally Mcbeal

Ally McBeal

Ally McBeal war die Personifikation des Magersucht-Chics um die Jahrtausendwende. Neurotisch und durchgeknallt, nimmt sie sich in der Anwaltskanzlei Fish & Cage sogar noch halbwegs normal aus und avanciert aufgrund ihrer Empathiefähigkeit und schlichten Güte bald zur Seele der Firma. Ihr Chef John Cage schleppt noch ganz andere Macken mit sich herum, stottert, leidet unter dem Tourette-Syndrom, hört Barry White, wenn er in den Spiegel schaut, und macht einen Salto nach dem Toilettengang. Der komische Irrwitz dieses Mikrobiotops wird noch unterstrichen durch die surreale Inszenierung David E. Kelleys, der die Vorstellungswelt seiner Protagonisten immer wieder plastisch ins Bild setzt. So wuchsen den Damen gern lange Sabberzungen, wenn mal wieder ein attraktiver Gaststar (wie Robert Downey Jr.) mitspielte. FS

29

Sex and the City

Carrie Bradshaw

Auch wenn man es gern glauben möchte: Nein, Frauen reden seit „Sex And The City“ nicht anders über Körperlichkeiten und Männer, sie tragen auch nicht häufiger Manolo Blahniks. Aber sie würden gern! Jede Zuschauerin beneidete Carrie Bradshaw (zumindest solange sie nicht zu verzweifelt Mr. Big hinterherlief): eine Kolumnistin in New York, die offensichtlich genug Geld für ein cooles Apartment und ausgefallene Kleider verdiente. Sie stöckelte chaotisch, aber eloquent durch Manhattan – und schenkte (nicht nur) Enddreißigerinnen die Illusion, dass selbstsichere Frauen notfalls auch allein gut leben können, wenn sie die richtigen Freundinnen haben. Es ging dann aber leider doch anders aus: Zum Schluss hatten alle vier ihr Glück gefunden – bei einem Mann. bf

30

Stromberg

Bernd Stromberg

Der deutsche Büroangestellte – Christoph Maria Herbst hat ihm mit Stromberg ein Gesicht gegeben, das ihn in seiner ganzen neurotischen, niederträchtigen, kleinbürgerlichen, spießigen, inkompetenten Verfassung zeigt. Wer das für überzogen hält, sollte mal eine kleinstädtische Versicherungsfiliale aufsuchen. Stromberg stellt Kolleginnen mit miesen Anmachsprüchen nach, begegnet seinen Vorgesetzten mit perfider Selbstüberschätzung und streitet sich wegen Lappalien – und beansprucht einmal sogar einen Behindertenparkplatz für sich. Er heuchelt und verleumdet jeden, solange er einen Vorteil daraus schlagen kann. Und trotzdem bleibt er einem in seiner ausweglosen Beschränktheit, die ihn jederzeit den Job kosten könnte, immer auch ein wenig sympathisch. MG

31

Rauchende Colts

Matt Dillon

Im Juni starb der US-Schauspieler James Arness. James wer? Genau: Arness war Matt Dillon. 20 Jahre lang spielte er den unbeugsamen Marshall, der die Kleinstadt Dodge City vor dem Einbruch des Bösen schützte. Die Rolle wurde ihm zum Schicksal. Dillon prägte unser kindliches Bild vom sogenannten Wilden Westen. Wöchentlich saßen wir vor dem Fernseher, liebten den trotteligen Assistenten Festus und den Saloon von Kitty Russel. Natürlich war Dillon ein Charakter des Kalten Krieges. Ein Hüter der sauberen Vorgärten. Und doch war diese Rolle speziell angelegt: Kein menschlicher Abgrund war ihm fremd, Dillon war grüblerisch und den Untiefen der menschlichen Seele gegenüber aufgeschlossen. Meist vermied der Pragmatiker Gewalt, aber er schreckte auch nicht vor ihr zurück. Arness starb im Bett. Matt Dillon wird ewig weiterleben. tg

32

Gossip Girl

Serena van der Woodsen

Es müssen die Haare sein. Dieser nach hinten gebundene blonde Schopf, der so lässig fällt wie bei keiner anderen auf der Upper East Side. Und das Lächeln, das eine Selbstsicherheit ausstrahlt, die nur sehr junge, sehr schöne und sehr privilegierte Menschen haben. Serena van der Woodsen ist der Star von „Manhattans Elite“, wie es im Vorspann von „Gossip Girl“ so schön heißt. Es ist keine Leistungselite und bestimmt keine intellektuelle, hier haben nur alle unfassbar viel Geld – und noch mehr Gründe, unglücklich zu sein. Serena schwebt von einem Mann zum nächsten, und irgendwann steht sie immer allein vor einem schicken Laden und schaut entsetzt auf ihr iPhone, weil sie schon wieder einen Skandal verursacht hat, den sie gar nicht wollte. Blake Lively spielt diesen Trotzkopf, den man einfach lieben muss, perfekt. Wie auch sonst? bf

33

Alf

Alf

Gordon Shumway kann der Apokalypse seines Heimatplaneten Melmac entkommen und stürzt in einem Vorort von L.A. ab – ausgerechnet in der Garage der Tanners. Die Musterfamilie tauft ihn Alf (Alien Life Form) und muss von nun an viel Energie aufbieten, um mit diesem chaotischen Vielfraß im Zentrum den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten. Es ist das schon in Voltaires „L’ingénu“ erprobte Satiremodell, aus dem die Serie oft komische Funken schlug – und das für gute Quoten sorgte: Ein Naivling wird konfrontiert mit der ihm fremden Gegenwartskultur und stellt das Allzubekannte noch einmal grundsätzlich infrage. FS

34

Verrückt nach dir

Jamie Buchman

In den 90er-Jahren konnte man um Mitternacht von einer Wohnung in einem Backsteingebäude in New York City träumen und sich eine Ehe wünschen, die so erfüllt und ehrlich, so amüsant und profund ist wie die der Buchmans. Paul Reiser und Helen Hunt spielen dieses grundsympathische Paar, das mit schlagfertigem Witz die Unbilden des Alltags bekämpft, gequält von seinem Bruder und ihrer Schwester. Nie saßen Jeans und Pullover besser, nie war eine Einbauküche einladender, nie litten wir mehr mit einem erfolglosen Dokumentarfilmer und einer Werberin. „Mad About You“ zeigt ein chaotisches Idyll vor dem 11. September 2001, als New York bedeutete, zu jeder Zeit alles machen zu können. Hunt gewann einen Oscar für „As Good As It Gets“, drehte ein paar große Filme – und verschwand. AW

35

Die Schöne und das Biest

Vincent

Es gibt nicht viele Serien für Erwachsene, die so ungeniert Kindheitsträume erfüllten, wie es „Die Schöne und das Biest“ von 1987 bis 1990 tat. Eine bessere Welt! Fabelwesen! Die eine, ewige Liebe! Unter dem normal nervigen Leben in New York City gab es in Ron Koslows Fantasy-Romanze noch eine zweite Stadt: eine Gemeinschaft von freundlichen Außenseitern, die in Tunneln lebten und auch einem Wesen wie Vincent eine Chance gaben. Vincent! Halb Mann, halb Löwe – und von beidem die idealisierte Version: Er las seiner geliebten Anwältin Catherine (Linda Hamilton) Gedichte vor, konnte sie bei Bedarf aber auch mit all seiner Kraft verteidigen. Um die Leidenschaft und die Verzweiflung Vincents darzustellen, reichten Ron Perlman seine traurigen Augen und die geheimnisvolle Stimme. Schöner klangen Shakespeares Sonette nie wieder. Bf

36

Entourage

Ari Gold

Ari Gold ist der liebenswerteste Romantiker im Gewand eines abgründigen Zynikers und Schwulen-, Frauen-, Menschenhassers. Wer wissen will, wie politisch inkorrekt klingt, muss einem der Monologe des Agenturchefs konzentriert lauschen. Ari Gold spricht böse und handelt oft genug gut. Nominell kreiste die nach acht Staffeln viel zu früh eingestellte US-Serie „Entourage“ um Vincent Chase, einen jungen Hollywoodstar. Doch es war Ari Gold, der Hyperkapitalist und Familienmensch, der mit jüdisch rabaukigem Humor und genialischen Pointen zum Publikumsliebling wurde. Ari Gold gibt es wirklich: Er heißt Ari Emmanuel und ist der Bruder des Obama-Vertrauten Rahm Emmanuel. „Let’s hug it out“, befriedet Ari Gold sein Gegenüber nach einem Wortgefecht. Eigentlich gilt es die Welt zu umarmen, nur nie naiv. up

37

King of Queens

Doug Heffernan

Doug (Kevin James) ist eine Männerfantasie: Er ist ein Moppel mit miesem Job als Kurierfahrer. Am liebsten frisst und faulenzt er den ganzen Tag und schaut sich Spiele der New York Jets, Mets, Knicks oder Rangers an. Weil er nicht der Schlauste ist, fliegen seine Lügengeschichten, mit denen er sich durchs Leben mogeln möchte, immer wieder auf. Dennoch hat er es geschafft, eine wie Carrie abzukriegen, die nicht nur sexy ist, sondern auch viel schlauer als er (nur nicht so lässig). „King Of Queens“ (1998-2007) vergnügt sich immer aufs Neue an der Seltsamkeit dieser Paarung, Und inzwischen sind Typen wie Doug Heffernan sogar in Hollywood zum role model geworden – vorgeführt wahlweise von Jason Segel, Seth Rogen, Jonah Hill oder eben Kevin James. gr

38

Remington Steele

Remington Steele

Pierce Brosnan hat in „Remington Steele“ (1982-1987) aussichtsreich um den Titel des bestgekleideten Detektivs in der Geschichte des Kriminalfernsehens kandidiert. Er führt als Mann, der sich Remington Steele nennt, einen Gentleman alter Schule vor, der aber meistens Laura Holt (Stephanie Zimbalist), der Chefin der Detektei Remington Steele, die Drecksarbeit überlässt. Lieber fällt er durch ein profundes Wissen des Hollywoodkinos der 1930- und 1940er-Jahre auf und dadurch, dass auch bei halsbrecherischen Aktionen seine Garderobe und Frisur perfekt sitzen. Die fünf „Remington Steele“-Staffeln mit ihrem stylischen Look und dem dezenten Mix aus Krimi und romantischer Komödie waren deshalb auch Pierce Brosnans perfektes Bewerbungstape für die Rolle als James Bond. gr

39

Profiler

Samantha Walker

Samantha Walker erlebt den ultimativen Albtraum: Während sie als nüchterne FBI-Profilerin in Atlanta allen möglichen Serientätern auf die Spur kommt, kann sie den Mann, der sie selbst verfolgt, jahrelang nicht finden. Die Bedrohung, die von „Jack Of All Trades“ ausgeht, ist allgegenwärtig, ein normales Leben für Walker nicht mehr vorstellbar. Sie lebt aber ohnehin in ihrer eigenen Welt: Sie sieht in die Köpfe der schlimmsten Verbrecher, malt sich ihre Grausamkeiten genau aus. Und Ally Walker, eigentlich eine Durchschnittsblondine, eignete sich für die Rolle einen entrückten Blick an, der stets Schlimmstes ahnen lässt. Ende der 90er-Jahre war „Profiler“ eine Sensation, weil es so unheimlich war und so cool. Man konnte die schwüle Südstaatenluft fast riechen. Heute gibt es „CSI“, „True Blood“ und all das, aber Sam Walker bleibt unvergessen. bf

40

Lost

Jack Shephard

Wie haben wir mit ihm gelitten. Erst nach dem Flugzeugabsturz, als Dr. Jack Shephard die Überlebenden auf einer schlecht ausgerüsteten Insel versorgen musste. Noch mehr, als bei „Lost“ (2004-2010) immer seltsamere Dinge passierten – wie das in J.J.-Abrams-Serien eben so ist: Eisbären im Dschungel, schwarzer Rauch, Zeitsprünge. Jack Shephard wurde zum Anführer wider Willen, er hatte einen Messiaskomplex oder zumindest ein Helfersyndrom. Matthew Fox verkörperte ihn als verletzlichen Mann, der seinen schönen Körper geschickt einsetzen kann, aber sein Herz nicht in den Griff bekommt. Bis zum bitteren Ende. bf

41

Ein Colt für alle Fälle

Colt Seavers

I might fall from a tall building/ I might roll a brand-new car/ ‚Cause I’m the unknown stuntman/ That made Redford such a star …“ Etwas frustrierend ist das schon, und deshalb darf Colt Seavers seinen GMC Sierra Grande nicht nur im Film durch die Luft fliegen lassen, sondern auch im Dienste der Justiz: Als Kopfgeldjäger hat er sich eine Nebenkarriere aufgebaut. Damit es auch was zu schmunzeln gibt, hat man ihm den schisshasigen Howie und die drallblonde Jody zur Seite gestellt. Flach, infantil – und nicht uncharmant. fs

42

Lindenstrasse

Gung

Stalking, Aids, Sterbehilfe: Die „Lindenstraße“ hat kein aktuelles Thema ausgelassen. Und keiner verkörpert die Mutter aller deutschen Seifenopern so wie „der Gung“ – seit der vierten Folge 1985. Der Vietnamese, gespielt vom Thailänder Amorn Surangkanjanajai, stahl aus Liebe, arbeitete als Krankenpfleger und bei der Post, rettete das Akropolis. Und mit seiner Spaßkandidatur finden sich die Wurzeln der Piratenpartei bereits 1998 im Unterhaltungsfernsehen. Konfuzius sagt: „Wählt Gung!“ fl

43

Sherlock

Sherlock

Die Geige hat er noch. Sie wurde nicht durch einen Techno-Laptop ersetzt, obwohl das ja ansonsten der selling point der BBC-Serie ist: den alten Detektiv auf den aktuellen Stand bringen. Demnach benutzt Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) im Jahr 2011 SMS und Blogs, trägt Nikotinpflaster, bezeichnet sein Hirn als Festplatte. Der wahre Grund dafür, dass er so geliebt wird, ist trotzdem – seine altertümliche Klasse. „Heroes don’t exist“, sagt Sherlock. Natürlich ist er einer. jh

44

Lie to me

Cal Lightman

So einem Typen wie dem Psychologen Cal Lightman möchte man lieber nicht begegnen – einem menschlichen Lügendetektor, der jede mimische Entgleisung, jede gestische Leichtfertigkeit erkennt und mit skrupelloser Selbstverständlichkeit und Selbstgefälligkeit bloßstellt. Lightman (Tim Roth) enttarnt nicht nur Verbrecher, sondern jeden, der etwas zu verheimlichen hat. Oft auf den ersten Blick. Wahrscheinlich weil diese Vorstellung so schockierend ist, stellte Fox die Serie im Mai nach drei Staffeln ein. gr

45

Eine schrecklich nette Familie

Al Bundy

Er war der Archetyp einer gescheiterten Existenz. Nach seinem 9-to-5-Job im Schuhladen sitzt Al vorm Fernseher, eine Hand im Hosenbund. Kammerspielartig konzentriert sich die Serie auf diese Sofa-Szenerie, in der Al die Möglichkeit bekommt, polemisch dagegenzuhalten: auf sein vergurgtes Leben, dicke Frauen und Nachbarin Marcy zu schimpfen und die Familie zu schikanieren. Der desillusionierte White-Trash-Patriarch, der sein kleines bisschen Würde im witzigen Dialog-Fight mit der Welt zu verteidigen gelernt hat, hat fast etwas Heroisches. fs

46

Kottan ermittelt

Kottan

Die Deutschen fürchteten Derrick, aber sie liebten ihn nicht – weil er sie daran erinnerte, dass sie selbst nie pflichtbewusst, gebügelt und ehrlich genug sein konnten. Adolf Kottan fing in Wien am Ende auch immer seine Gangster. Trug auch ein sauberes Leiberl, hatte auch nie Humor. Aber wenigstens spürte er all die Katastrophen, die viel zu lauten Knirsch- und Stöhngeräusche, die das Leben ständig produziert. „Kottan ermittelt“ lief von 1976 bis 1983 – das Vorbild aller traurigen Kommissare, mit Schmäh statt Chuzpe, viel relaxter als Schimanski. jh

47

Boston Legal

Denny Crane

Denny Crane. Denny Crane. Denny Crane. Das ist kein Name, sondern ein Mantra der Selbstgefälligkeit. Denny Crane (William Shatner) ist außerdem herrlich feist, faul und exzentrisch. Wollten zuvor Anwaltsserien – von „Petrocelli“ über „Liebling Kreuzberg“ bis „Ally McBeal“ – den Gutmenschen im Strafverteidiger entdecken, führt „Boston Legal“ (2004-2008) den Rechtsanwalt als in teure Anzüge gequetschtes, stolz amoralisches Wesen vor: “ I have an erection“, sagt Denny Crane, „that’s a good sign: I’m ready to go to trial.“ GR

48

Falcon Crest

Angela Gioberti Channing

Mehrere verstorbene oder verhasste Ex-Ehemänner und immer eine Hinterhältigkeit im Sinn: Angela Gioberti Channing war in den 80er-Jahren neben Alexis Carrington die böse Frau im TV. Gespielt wurde sie von Jane Wyman, die – kleine Ironie des Schicksals – ewig die Ex-Ehefrau von Ronald Reagan bleiben sollte, obwohl sie bereits 1948 geschieden wurden. Mit versteinerter Miene machte sie aus Angela eine verbitterte, verbissene Intrigantin, die für ihr Weingut Falcon Crest über Leichen geht – und am Ende doch meist gegen die Guten verliert. So viel Moral musste damals in Amerika schon sein. bf

49

Hart aber Herzlich

Jonathan Hart

Das gibt es doch nur im Film: ein „Selfmade-Millionär“, der nicht nur kultiviert und gut aussehend ist, der nicht nur die schnellsten Autos fährt und eine „traumhafte“ Ehefrau hat, sondern auch in den scheinbar ausweglosesten Situationen noch die Ruhe eines Kriminalinspektors beweist, sich für die Rechte seiner Firmenmitarbeiter starkmacht und seinen treuherzigen Butler stets mit Achtung, seinen Hund stets wie ein richtiges Lebewesen behandelt. Man muss nicht extra betonen, dass in Hart ein „e“ fehlt. MG

50

Denver Clan

Alexis Carrington

So überzeugend konnte das nur Joan Collins spielen: das „Denver-Biest“, Ex-Frau von Clan-Patriarch und Ölmagnat Blake Carrington und aufreizend schwarzhaarige Gegenspielerin des sehr blonden, entsprechend moralisch gefestigten Muttertiers Krystle, Blakes Neuer. Alexis, eine Vampirella, böse Stiefmutter und Schwarze Witwe in Personalunion, legt eine geradezu übermenschliche Verschlagenheit und Infamie an den Tag, um Blake wie auch immer in den Ruin zu treiben. Nichts produziert so viel Hass wie enttäuschte Liebe. fs

51

Seinfeld

Jerry Seinfeld

Jerry Seinfeld ist Amerikas wohlhabendster Komiker und nahm mit seinem Co-Autor Larry David bereits Reality-Shows aufs Korn, bevor es sie – zumindest in Europa – überhaupt gab. Denn Jerry Seinfeld spielt in „Seinfeld“ eine Figur namens Jerry Seinfeld. Einen spießigen, zynischen Komiker, der in jeder Folge eine neue attraktive Freundin anschleppt, sich aber als neurotischer New Yorker schon so weit von seinen Gefühlen entfernt hat, dass er selbst staunen muss, als ihm einmal Tränen über die Wangen rinnen: „What is this salty discharge?“ mb

52

Grey’s Anatomy

Dr. Christina Yang

Asiatinnen besetzen in US-Serien gern den Part der kühl kalkulierenden, empathie- und emotionslosen Karrierefrau. Yang bestätigt die Regel, und das steht der mimisch immer etwas zurückhaltend agierenden Sandra Oh förmlich im Gesicht geschrieben. Sie will als Chirurgin Karriere machen – koste es, was es wolle. Aber ihr reduziertes Gefühlsleben wird von ihr selbst als problematisch empfunden, sie arbeitet daran und entwickelt sich zu Meredith Greys Intimfreundin – bis zur nächsten Katastrophe … fs

53

Body of Proof

Dr. Megan Hunt

Wir kannten Dana Delany schon als „Desperate Housewive“ Katherine Mayfair, doch erst in der Kriminalserie „Body Of Proof“ läuft sie zu Bestform auf. Als pathologisch besserwisserische Pathologin Dr. Megan Hunt ist sie es gewohnt, immer recht zu haben, privat wirft sie allerdings der kleinste Stress mit ihrer entfremdeten Tochter um. Den Kollegen gegenüber taut die einsame Akademikerin nur langsam auf, aber man ahnt schon: Da ist noch viel unter der schönen Oberfläche zu entdecken. bf

54

Bezaubernde Jeannie

Jeannie

Jeannie ist eine Filmfigur, wie sie sich nur US-Fernsehproduzenten ausdenken können – oder eben Sidney Sheldon: ein Traum für den traumatisierten Astronauten Major Nelson, der hier stellvertretend für die Wirren des Kalten Krieges (oder einfach der männlichen Spezies) steht. Barbara Eden spielt sie mit hingebungsvoller Naivität. Dass dieser Flaschengeist wie eine orientalische Bauchtänzerin gekleidet und trotz griechischer Herkunft sehr blond ist, verrät allerdings einiges über die Stereotypen im Nachmittagsprogramm der 60er-Jahre. MG

55

Monk

Adrian

Monk

Nach der Er-mordung seiner Frau Trudy leidet Adrian Monk (Tony Shalhoub) unter Phobien und Zwangsneurosen. Das macht ihn zwar zu einem exzellenten Ermittler, aber nahezu lebensuntüchtig. Und die acht Staffeln der Detektivserie „Monk“ (2002-2009) gönnen ihrem Helden nur einen einzigen Moment der Glückseligkeit: als Captain Stottlemeyer (Ted Levine) Monk vor dem Streik der Müllabfuhr rettet. Beim Ausflug in einen absolut sterilen Laborraum lernt Monk endlich wieder zu lächeln. „It’s a jungle out there“, singt Randy Newman dazu. gr

56

The good Wife

Eli Gold

Das muss man erst mal schaffen: neben der bezaubernden Julianna Margulies als besonnener Anwältin und Politiker-Ehefrau, als „The Good Wife“ eben, aufzufallen. Alan Cumming gelingt es als Wahlkampfmanager Eli Gold. Er spielt diesen harten Hund mit hintergründigem Witz, seine Auftritte sind immer eine Überraschung. Eli Gold ist der Lobbyist, den man hassen müsste, wenn er nicht so schlau wäre und so unterhaltsam. Und versteckt lauert auch noch ein Gewissen. bf

57

Leverage

Nathan Ford

Ein wenig erinnert das „Leverage“-Team an die skurrilen Typen von „Ocean’s Eleven“. Ihr Chef, Nathan Ford (Timothy Hutton), war mal Versicherungsdetektiv, bis er sich nach einer privaten Tragödie auf die Seite der Geprellten schlug, die er nun mit illegalen Mitteln gegen Versicherungskonzerne und andere Halsabschneider unterstützt. Ford trinkt zu viel und kann cholerisch werden, aber er weiß noch im größten Chaos, was zu tun ist. Nur hören seine irren Spezialisten oft nicht auf ihn! bf

58

Doctor’s Diary

Gretchen Haase

Margarete „Gretchen“ Haase hat zwei Probleme. Eines heißt Marc Meier, das andere ist die Waage. In den smarten Kollegen ist die schusselige Ärztin seit Kindertagen unglücklich verliebt, und ungefähr genauso lange findet sie sich schon zu dick. Die Ausgangssituation für die Komödie „Doctor’s Diary“ ist schlicht, doch Diana Amft macht eine Schau daraus: Man kann sich kaum entscheiden, ob ihr Lächeln oder ihre Schnute charmanter ist. bf

59

Beverly hills, 90210

Dylan McKay

Wir kannten die Postleitzahl, als wäre es unsere eigene: „Beverly Hills, 90210“ lehrte uns von 1990 bis 2000, dass reiche Teenager es auch nicht leicht haben. Die größten Sorgen hatte und machte immer Dylan McKay (Luke Perry), dessen Frisur und kritischer Blick ihn als „modernen James Dean“ ausweisen sollten. Die Mädchen fielen darauf rein und liebten den Außenseiter (Knastvater, Drogen, Alkohol und so weiter) mehr als den braven Brandon Walsh. bf

60

Royal Pains

Dr. Hank Lawson

Henry Lawson (Mark Feuerstein) arbeitet als Privatarzt in den Hamptons, dem Naherholungsgebiet gestresster New Yorker Schnösel. Er hat es aber nicht nur mit Schönheits-OPs zu tun, oft muss er Leben retten. Das macht er mit der lässigen Beharrlichkeit eines Idealisten, dem nur mal kurz das wahre Leben dazwischengekommen ist. Hanks mannigfaltige Sorgen (Geld, Liebe, Familie) spielen bei der Urlaubsatmosphäre nur eine Nebenrolle. Im Gegensatz zu allen anderen Arztserien braucht man hier nicht mitzuleiden. bf

61

Das Model und der Schnüffler

Maddie Hayes

Drei Jahre lang zofft sich Maddie Hayes (Cybill Shepherd), ein Ex-Model, das eine Detektei eröffnet hat, mit David Addison (Bruce Willis), einem leichtlebigen Privatermittler – in einem schrill-knisternden Mix aus Screwball-Komödie und Krimi. Doch als sich die beiden am Ende der dritten Staffel von „Das Model und der Schnüffler“ (1985-1989) tatsächlich kriegen, ist irgendwie die Luft raus. Kurze Zeit später lässt David Maddie sitzen, um als John McClane langsam zu sterben. gr

62

Cheers

Sam Malone

Eine Bar in Boston. Ein Besitzer, der mal Baseballspieler war. Und Alkoholiker. Und Weiberheld. Gespielt von Ted Danson, der offensichtlich nur in Fernsehserien zu Höchstform aufläuft – siehe auch „Becker“, „Damages“, „Bored To Death“. Was braucht eine klassische Sitcom noch? Nichts. 117 (!) Emmy- und 31 Golden-Globe-Nominierungen beweisen das. In Deutschland lief „Cheers“ (1982-1993) anfangs tatsächlich unter dem Titel „Prost Helmut!“. BF

63

Bonanza

Eric „Hoss“

Cartwright

Hoss Cartwright ist fast schon eine Karikatur des liebenswerten Dicken. Dan Blocker, der in „Bonanza“ (1959-1972) das immer gleiche weiße Hemd, eine braune Wildlederweste und einen cremefarbenen Cowboyhut tragen musste, ging ganz auf in der Rolle des sanften Riesen, der nicht unbedingt der Hellste ist, aber so grundgutmütig, dass man ihn sofort ins Herz schloss. gr

64

Six Feet Under

David Fisher

Haus, Hof und Steuersachen würde man ihm sofort anvertrauen – trotzdem leidet keiner so schön am Riss zwischen Tradition und neuen Existenzentwürfen. David Fisher schultert die Verantwortung im familieneigenen Bestattungsunternehmen, muss als Schwuler gleichzeitig ein Leben führen, für das es in Sichtweite keinerlei Vorbild gibt. Michael C. Hall lässt ihn wunderbar hyperventilieren und heulen – die weniger spektakuläre Rolle als „Dexter“, dafür die nachhaltigere. JH

65

Nurse Jackie

Jackie

Peyton

Wie wahnsinnig muss man sein, um in einer New Yorker Notaufnahme zu arbeiten und trotzdem noch mild lächeln zu können? Wie verzweifelt, um Dutzende von Pillen zu schlucken, nur um die Wut (auf Ärzte, Patienten, das Leben) zu unterdrücken und den Tag zu überstehen? „Nurse Jackie“ macht es uns jede Woche vor. Edie Falco spielt die Krankenschwester mit ähnlich stoischer Würde wie damals die abgeklärte Mafia-Ehefrau Carmela Soprano. Doch Jackie Peyton ist auf eigene Rechnung gesetzlos, sie kennt nur eine Norm: ihr Gewissen. Und auch das überhört sie manchmal. BF

66

How i met your Mother

Barney Stinson

Barney Stinson hat keine Familie und kopuliert sich durch New York, seine Freunde bedeuten ihm alles. Der berufliche Erfolg finanziert seine teuren Anzüge und seine Verachtung für Arme, Blöde und Frauen über 30. Fluchen und Verachten verdichten sich zu einer Kunstsprache des Misanthropischen, hinter der sich – logischerweise – eine verletzte, treue Seele verbirgt. Deshalb hat auch niemand Angst vor ihm, sondern eher Mitleid. Das findet er ebenso wunderbar wie pervers. Also lacht er darüber. Stinsons Röntgenblick funktioniert wie guter Marxismus: Er reduziert jeden Idealismus auf seine ökonomische oder emotionale Basis. up

67

Unsere kleine Farm

Laura Ingalls

Zweitälteste Tochter der armen, aber immer anständigen Farmerfamilie Ingalls, deren allerschnödeste Alltagsabenteuer den Sonntagabend einläuteten. Das alte Amerika (Walnut Grove in den 1880er-Jahren) wird hier noch einmal nostalgieselig beschworen. Die neue Zeit hält bereits Einzug in Gestalt der reichen Krämerfamilie Oleson. Die zimtzickige Tochter Nellie macht der rotzopfigen, sommersprossigen Laura oft das Leben schwer, aber die behält die Oberhand mit Klugheit und Gottesfurcht. Wird später Lehrerin. fs

68

Wunderbare Jahre

Kevin Arnold

Kevin (Fred Savage) wächst in einem kalifornischen Vorort auf. Seine Familie ist eher spießig, die Sechziger sind für ihn „The Wonder Years“: Aufbruchstimmung, aber wohin? Immer lustig, oft rührend wurden die Geschichten vor allem durch die ironischen Kommentare des erwachsenen Kevin aus dem Off. Den Sprecher Norbert Langer identifizierte man sofort – als Magnum. BF

69

Friends

Chandler Bing

Matthew Perry alias Chandler Bing sieht die „Friends“-Welt, wie sie wirklich ist – und wir mögen ihn, weil seine Ironie einen wachen, reflektierten Geist erkennen lässt und er auf sympathische Weise mit seinen Macken ringt. Adoleszenz im New York der Neunziger, Freundschaft als Lebenskitt: guter Stoff für eine virtuos geschriebene Sitcom. js

70

Schwarzwaldklinik

Dr. Brinkmann

Wenn Klaus Brinkmann mit sonorer Stimme am Frühstückstisch für alle Probleme eine Lösung offerierte, flogen ihm nicht nur die Herzen älterer Semester zu. Klausjürgen Wussow verkörperte in den 80er-Jahren den Professor der „Schwarzwaldklinik“ so glaubhaft, dass komplette Busladungen ihn im Glottertal ausfindig zu machen versuchten. fl

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates