Musik im Hipstamatic-Modus
Die Londoner Band Veronica Falls beschwört die großen Zeiten des Gitarren-undergrounds der Mittachtziger – und hat auf die Art eine der betörendsten Indiepop-Platten des Jahres gemacht.
Das Tolle an Musik: wie sie einem oft hilft, sich an Sachen zu erinnern, die man gar nicht erlebt hat. An Raureif-Nachmittage auf englischen Friedhöfen, an Klippenausflüge mit Mädchen, die aussehen, als wären sie aus der Vitrine eines viktorianischen Teehauses gehüpft, und trotzdem – auf blasse, brombeerlippige Art – wahnsinnig sexy sind. An Konzerte von 1987, in Londoner Kunstinstituten und Pubs in Glasgow, mit unordentlichen Haaren, Bands in Parkas, selbst gefalteten Singles von Creation und Sarah Records. So klingen Veronica Falls, und: Ja, jetzt erinnern wir uns!
Veronica Falls sind relativ neu, gegründet Mitte 2009 in London, zwei Mädchen, zwei Jungs, alle Mitte bis Ende 20. Aber ihre Musik ist so schamlos und unverschämt mittachtziger-indiepoppig, von den schraddelnden Wedding-Present-Akkorden, den glockenklingelnden Gitarrentönen und dem Emily-Erdbeer-Gesang bis zum akribisch nachgestellten Kellergewölbehall auf dem Tamburin – man wüsste nicht, wie man die jungen Leute gegen all die Vorwürfe verteidigen sollte, sie hätten wohl seit 25 Jahren nichts mehr mitgekriegt von der Welt. Und ebenso wundert man sich, wieso ihr erstes Album trotzdem eine solche Kraft hat, eine solche Entschlossenheit ausstrahlt. Wie jeder Song einen sofort davon überzeugen kann, dass man ihn jetzt hören muss.
Vielleicht, weil das Retro-Appeal bei Veronica Falls wenig Süßes, Ratloses hat, sondern einfach die einzige Option gewesen sein soll. „Wenn es heute gute, aktuelle Einflüsse gäbe, würden sie sicher in unserer Musik auftauchen“, sagt James Hoare, der pilzköpfige Gitarrist, „aber es gibt keine! Was annehmbar wäre, ist ja selbst schon Reminiszenz an die Sechziger oder Siebziger.“ Er hatte Sängerin Roxanne Clifford und Schlagzeuger Patrick Doyle an Londoner Abenden kennengelernt, Marion Herbain kam später dazu. Vier Zugezogene, die sich die Liebe zu Velvet Underground und Sixties-Vintage-Gitarren durch den Libertines-Fimmel hindurchgerettet hatten. Die ersten behaglichen Proben wurden ehrgeizig, als die befreundete Gruppe The Pains Of Being Pure At Heart fragte, ob die neue Band sie nicht in London supporten wolle.
Dann viele Konzerte, die ersten, unglaublich eingängigen Singles „Found Love In A Graveyard“ und „Beachy Head“, jetzt das Album. Und als Nächstes hätte man an sich nichts dagegen, auch ein bisschen ins Radio zu kommen, ein wenig mainstreamiger wahrgenommen zu werden, sagt Gitarrist James extrem vorsichtig. „Aber natürlich nur, wenn wir trotzdem hundertprozentig zufrieden mit dem Ergebnis sind!“ Verdammte Puristen sind sie nämlich schon. Sehr, sehr hübsche verdammte Puristen.